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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Immer am Bache entlang, der lustig lieben mir herplätscherte, dem gutgehaltenen Pfade folgend, war ich in wenigen Minuten zu dem Mühlengehöft gelangt, das einen ziemlich geräumigen Hof umschloß, in welchen der Pfad mündete. Auf dem Hofe war es still, wie denn das ganze Gehöft gar verschlafen schien, außer daß noch ein paar Tauben auf dem Dache eines offenen Schuppens gurrten. In dem Schuppen entdeckte ich einen alten Mann, der Holz gespalten hatte und jetzt dem Fremden entgegenkam. Es war der Müller selbst. Ich richtete meinen Gruß aus, ohne selbstverständlich der bösen Geschichte zu erwähnen, in welcher der alte Mann eine so rühmliche Rolle gespielt hatte. Ich sagte nur, daß ich nach dem Schlosse wolle, und ob ich von hier aus über den Bach dorthin gelangen könne? Der Wirth hatte mich recht berichtet: es führte hier eine Brücke über den Bach und ein kurzer Wiesenweg bis zu einer Rebenpforte des Parkes, die meistens nicht verschlossen sei. Schlimmsten Falles müßte ich um die Parkmauer herum bis zu dem Schlosse selbst gehen. Der Weg durch den Park sei nicht schwierig. Doch wolle er mich, wenn's mir recht sei, gern begleiten. Ob der Herzog schon im Schlosse sei, wisse er nicht; doch drüben würden wir es bald erfahren, wenn wir in den Park kämen, wo wir dann das Schloß sähen, und ob eine Fahne auf dem Thurme wehe oder nicht.

Ich nahm das Anerbieten des alten freundlichen Mannes, der aber doch etwas Gedecktes, ja Trauriges hatte, gern an Wir verließen den Hof, nachdem er seiner Frau ein Paar Worte in das stille Haus hineingerufen, und gingen über die Brücke, welche unmittelbar vom Hofe über den Bach führte. ich bemerkte, daß die Mühle, deren großes Wasserrad in geringster Entfernung von dem Brückenstege sich befand - es war aber mehr ein Steg, als eine eigentliche Brücke - nicht arbeitete. Aus Wassermangel, erzählte mir der Müller auf mein Befragen. Es habe in den letzten Tagen nicht geregnet, außer heute, und das auch nur reichlich oben auf dem Walde, weniger hier unten. In einer Stunde werde das Wasser wohl kommen und mehr als man brauche. Es sei eben kein Verlaß auf das Wasser, seitdem der Herzog da, wo der Bach sich weiter oben gabele, den Theil, der durch den Schloßpark führe, habe erweitern, austiefen und mit Schleusen versehen lassen, so daß nun wohl er für seine Teiche immer das richtige Wasser habe, aber keineswegs die Mühlen, die Schloßmühle - denn so heiße sie, obgleich sie Gott sei Dank, nicht zum Schlosse gehöre - ebenso wie die anderen weiter unten, deren es, Alles in Allem noch acht gebe. Alle die acht Müller, mit ihm, dem Schloßmüller, als dem neunten, lägen schon seit zwei Jahren mit dem Herzog in einem Proceß, der jetzt, gottlob, in die letzte Instanz gekommen sei, und den sie wohl gewinnen würden. Sonst könnten sie nur freilich Alle nach Amerika auswandern.

Ich mochte auf diese Sache, die mir der alte Mann weitschweifig aus einander setzte, nicht eingehen. Wollten denn die Klagen über den Herzog heute kein Ende nehmen? und war mir das Herz für den Abschied von ihm, der mir vielleicht noch heute Abend bevorstand, nicht schon schwer genug? Ich wäre den alten Mann, der immer eintönig auf mich einsprach, gern los gewesen. Und warum blickte er mich von Zeit zu Zeit so seltsam prüfend aus seinen tiefliegenden Augen an?

„Verzeihe der Herr,“ unterbrach er sich selbst plötzlich; „sind Sie der junge Herr, der bei dem Herzoge jetzt in so großer Gunst stehen soll?“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen,“ erwiderte ich verlegen.

„Ich glaube es schon, daß Sie es sind,“ sagte er, mich wieder mit einem jener seltsamen Blicke betrachtend. „Und dann wollte ich den Herrn nur um Eines recht schön bitten: wenn Sie die Rede einmal auf den alten Müller Siebenpfeiffer bringen und Hoheit dabei erinnern wollten, daß ihm der Siebenpfeiffer einmal einen großen Dienst erwiesen hat! Hoheit wird das schon verstehen, wenn - der Herr es ihm sagt. Es ist nur, daß der Proceß am Ende doch für uns verloren gehen könnte. Und sehen der Herr, ich bin ein alter Mann und möchte ungern auf meine alten Tage nach Amerika.“

Er war stehen geblieben. Vor uns, die wir längst im Parke waren, lag, durch breite, mit Bosketts geschmückte Wiesengründe von uns getrennt, das Schloß. Von dem Thurme bauschte sich an ihrer Stange die seidene Fahne lässig in dem Abendhauche, von dem man hier in der Tiefe nichts spürte. Der Herzog war im Schlosse.

„Vergessen der Herr mich nicht!" sagte der alte Mann, indem er sein Käppchen zog.

Ich war froh, daß er ging. Mir war seine Gegenwart förmlich unheimlich geworden. Ein großer Dienst, den er dem Herzoge geleistet, und an den ich den Herzog erinnern sollte? Es war also wahr und wahrhaftig der Mann, der damals das unglückselige Weib und ihr Kind gerettet hatte. Und der Herzog lohnte ihm den Dienst jetzt mit einem Proceß? Nun, so konnte er auch nicht auf diese Rettung so großen Werth legen, wie es mir doch nach seinen Worten an jenem Abend erschienen war.

Die Bosketts hatten mich einen Teich übersehen lassen, an den ich jetzt, schon ganz nahe dem Schlosse, gerieth. Ich mochte wohl, ihn zu umgehen, mich nach der unrichtigen Seite gewandt haben, denn ich kam nun, anstatt um das Schloß herum und auf die Vorderseite desselben, an die Hillterseite in herrliche Gartenanlagen vor den weithin sich streckenden Stufen zu einer niedrigen, mit einer Balustrade eingefaßten Rampe, von welcher man unmittelbar in die Parterrezimmer gelangen mochte. In einer Allee von Orangebäumen in großen Halzkübeln und Götter- und Heroenköpfen auf Hermensäulen langsam hinwandernd, vervahm ich von der Seite her, wo ein Wald von hochstämmigen Rosen mir die Aussicht verdeckte, endlich die ersten Stimmen. Ich hoffte, es würden Gärtner oder Diener sein, die ich nach dem Eingange zum Schlosse fragen könnte. Meine Schritte beschleunigend, um die Redenden, deren Stimmen zeitweise schwiegen, nicht zu verlieren, wandte ich mich links, erst das Rosenwäldchen umkreisend, dann, da es kein Ende nehmen wollte, mich vorsichtig zwischen den Stöcken durchwindend, und erblickte, auf einen breiteren Gartenweg heraustretend, in geringer Entfernung den Herzog und eine Dame - Adele. Ein jäher Schrecken überfiel mich. Ich war auf die Begegnung mit dem Herzoge vorbereitet; an ein Wiedersehen Adelet hatte ich nicht gedacht; ich hatte gehofft, es werde mir erspart bleiben. Und ich fühlte sofort, daß ihre Gegenwart gerade jetzt für meinen Entschluß verhängnissvoll werden könne. Das durfte nicht sein. Sie hatte mir den Rücken gewandt; ich vermeinte, unbemerkt zwischen den Rosen zurückschlüpfen zu können.

Es war zu spät. War es Zufall, ader hatte mein Fuß auf dem Kies des Weges geknirscht - Adele hatte sich umgewandt und mich erblickt. Sie stieß einen leisen Schrei aus und machte ein paar Schritte auf mich zu, blieb aber wieder stehen, wie mir schien, auf ein kurzes Wort des Herzogs, der mir seine mächtige Gestalt nun ebenfalls zugekehrt hatte. Adele's liebliches Gesicht war mit einer lebhaften Röthe übergossen; aus dem des Herzogs schien ein finsterer Ausdruck zu liegen, der sich aber etwas erhellte, als ich, mich aus meiner Bestürzung aufraffend, nun grüßend rasch herantrat.

„Das ist wahrlich seltsam," sagte der Herzog, „wir sprechen eben von Ihnen, und da sind Sie, wie aus der Erde gewachsen! Wie kommen Sie denn hierher?"

Er hatte mir die Hand gereicht, mit einem herzhaften Druck, der mir sagte, daß ich ihm, trotzdem seine Worte noch immer nicht eigentlich freundlich klangen, willkommen sei.

Ich stammelte etwas von „direkt aus dem Walde".

„So sieht er aus,“ sagte der Herzog, jetzt wirklich mit einem Lächeln. „Nicht wahr, Adele?"

Adele hatte offenbar nur auf dies Lächeln gewartet, denn sie lachte sogleich hell auf, iudem sie mir jetzt erst die Hand reichte mit einem Blick, dessen strahlende Freudigkeit mich durchschauerte.

„Wahrhaftig, so sieht er aus," rief sie. „direkt aus dem Walde!“

Dabei wandte sie mich, indem sie mich an der Hand fest hielt, um mich selbst, lustig meinen Anzug musternd, der in der That während dieser acht Tage nicht besser geworden war. Ich murmelte etwas von dem Unwetter, das mich heute Nachmittag im Walde überrascht habe, indem ich sie mit den Augen bat, die Scene abzukürzen, welche mir mit jeder Sekunde peinlicher zu werden begann.

Sie hatte mich sofort begriffen.

„Und ich glaube, er ist noch nicht einmal ganz wieder trocken,“ rief sie. „Ich glaube, Hoheit schicken ihn vorerst auf sein Zimmer. damit er sich einigermaßen restauriren kann. Da sehe ich einen

von den Leuten. Darf ich rufen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_372.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2019)