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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

habe selbst wohl nimmer viel gehabt. Und was der Lorenz gewesen, der Nägelschmied, der hab’ es immer weiter gegeben an die, die noch ärmer waren. Denn auch er habe ein gutes Herz gehabt, wie alle Lorenz, sonst hätte er nicht sein Leben gelassen, um ein halbjähriges Wurm zu retten, das hernach doch gestorben sei – am Scharlach.

Ich hätte das Bild gern mit mir genommen; aber eine abergläubische Furcht hielt mich zurück, den Wunsch auch nur zu äußern. Ich meinte, das Haus müsse zusammenstürzen, wenn ich das Bild von dem Platz nähme, wo es nun gehangen, wohl so lange als das Haus stand. Nein, da sollte es nun auch bleiben und untergehen mit dem Hause!

Und wenn es untergegangen – ein Abbild blieb. So lange ich lebte, würd’ es in meiner Seele bleiben. So lange mir ein Herz in der Brust schlug, das schneller pochte, so oft ich eine Kreatur leiden sah, würde ich des Bildes gedenken mit dem Hirsch, auf den sie den Schächer gebunden, hinter dem die Meute her jagte dem Walde zu, über welchem in Strahlen der aufgehenden Sonne Gott Vater thronte mit seinen heiligen Engelscharen!

(Fortsetzung folgt.)

Die deutschen Fehmgerichte in Wahrheit und Dichtung.

Von Fr. Helbig.

Wer in Heinrich von Kleist’s anmuthigem Schauspiele „Das Käthchen von Heilbronn“ beim Aufzuge des Vorhangs die vermummten Gestalten in der nur düster von einer Lampe erleuchteten „unterirdischen Höhle“ um einen Tisch herum hat sitzen sehen, auf welchem der Todtenkopf und ein blankes Schwert liegen, der weiß, daß hier das heimliche Gericht der Fehme seines furchtbaren Richteramtes waltet. Es ist so tief geheim, daß Kläger, Angeklagter und Zeugen nur mit verbundenen Augen hinein- und herausgeführt werden. Die andächtige Menge im Theater hält dabei auch an dem Glauben fest, daß dies Alles so gewesen ist, die Sage hat es ja so überliefert, der Glaube des Volks so festgehalten, die Feder des Dichters und der Pinsel des Malers es also verewigt.

Im Lichte der Geschichte ist das freilich ganz anders gewesen.

Der nüchterne Geschichtsforscher, der seine Weisheit nicht aus der Phantasie, sondern aus vergilbten Pergamenten und verstaubten Akten herausholt, hat vom Institute der Fehme schon längst den geheimnißvollen Nimbus abgestreift, er weiß, daß dieselbe ihre Gerichtssitzungen weder in Höhlen und Verstecken noch im Dunkel der Nächte abhielt, vielmehr im Freien möglichst auf einer luftigen Anhöhe, von der aus man einen weiten Umkreis beherrschen konnte, und in der Zeit vom Sonnenaufgange bis zum Sonnenuntergange, wie es die alten Fehmordnungen vorschreiben. Auch waren Haupt und Angesicht der Richter bloß und unbedeckt zum Wahrzeichen, „daß sie kein Recht mit Unrecht bedeckt haben noch decken wollen“.

Ebenso wenig waren die Fehmgerichte Gerichte, welche das Richteramt gewissermaßen auf eigene Faust vollzogen, eine Art Lynchjustiz übten ohne Titel und Recht. Im Gegentheil hatten sie das Recht zu richten unmittelbar vom Kaiser. Es waren kaiserliche Gerichte in aller Strenge des Wortes.

Das war so zugegangen.

In Westfalen hatten sich neben den herrschaftlichen Gaugerichten, als Bruchstücke der alten, schon von Karl dem Großen eingesetzten Grafengerichte, Freigerichte (Freistühle) erhalten, in denen ein vom Stuhl- oder Gerichtsherrn ernannter Freigraf mit den zum Freistuhle gehörenden Schöffen unter Königsbann richtete. Die Belehnung mit letzterem erfolgte durch den Kaiser selbst, später in des Kaisers Namen durch den Erzbischof von Köln, nachdem Westfalen unter dessen Botmäßigkeit gekommen war. Obwohl diese Frei- oder Fehmgerichte nur „auf rother Erde, im Land Westfalen“ tagten, konnte doch Jedermann im Reiche sich dort sein Recht holen, und zwar hauptsächlich in dem Falle, wenn er vor den Gerichten im eigenen Lande kein Recht fand. Das war das besondere Privileg der kaiserlichen Gerichte.

Nun war in Deutschland, begünstigt durch das lange Interregnum zwischen dem letzten Hohenstaufen und dem ersten Habsburger, jener „kaiserlosen schrecklichen Zeit“, im 13. und im Anfange des 14. Jahrhunderts eine große Rechtsunsicherheit eingetreten. Es waren die Zeiten des Faustrechts, da allein der Starke und Mächtige regierte, der Arme und Schwache aber ihm machtlos preisgegeben und geradezu rechtlos war. Da wandten sich Alle, die in ihrem guten Rechte gekränkt waren, an das Freigericht in Westfalen. So wurde dasselbe geradezu ein Hort aller Bedrängten, ein Schutzherd der Kleinen wider die Gewalt der Großen. Und damit erlangten diese westfälischen Stuhlgerichte eine von ihnen selbst wohl nicht geahnte Bedeutung.

Die Zahl der Freischöffen beschränkte sich nicht mehr auf die im Stuhlbezirke sässigen Freien, sondern sie verbreitete sich über das ganze Reich. Selbst Fürsten und Herren drängten sich dazu, Freischöffen zu werden, da man dadurch einen gewissen Schutz vor der vernichtenden Gewalt der Freigerichte bekam. Alle diese Schöffen wurden von einem westfälischen Freigrafen, der in den meisten Fällen nichts war als ein schlichter Bauersmann, durch einen feierlichen Eidschwur und unter geheimnißvollem Ceremoniell verpflichtet. Knieend und entblößten Hauptes, den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf ein bloßes Schwert legend, hatte der Aufzunehmende zu geloben, daß „er die heilige Fehme fortan wolle helfen halten und verhehlen vor Weib und Kind, vor Vater und Mutter, vor Schwester und Bruder, vor Feuer und Wind, vor alldemjenigen, was die Sonne bescheint und der Regen bedeckt, vor alledem, was zwischen Himmel und Erde ist, und daß er dem freien Stuhle, darunter er gesessen sei, Alles vorbringen wolle, was in die heimliche Acht des Kaisers gehört, er für wahr wisse oder von wahrhaften Leuten habe sagen hören, das zur Rüge oder Strafe geht, das Fehmwrogen (d. h. ein vor die Fehme gehörendes Verbrechen) sei, auf daß es gerichtet oder mit Willen des Klägers in Gnaden gefristet werde und daß er das nicht (unter-)lassen wolle um Lieb noch um Leid, um Gold noch Silber noch um Edelgestein und er stärken dies Gericht und Recht nach allen seinen fünf Sinnen und Vermögen und daß er das Gelobte wolle festhalten, als ihm Gott helfe und sein heiliges Evangelium.“

Nach Leistung dieses Eides wandte sich der Freigraf zu dem anwesenden Frohnboten mit der Frage: „Ich frage Dich, Frohne, ob ich diesen Mann zu Recht gestürt habe des Eides und der heimlichen Acht und ob er mir auch zu Recht gefolgt habe?“

Der Frohn antwortete hierauf: „Ja, Herr Graf, Ihr habt dem Manne den Eid zu Recht vorgestürt und er hat dem Recht nach gefolgt und geschworen.“

Die Freischöffen erkannten sich gegenseitig an gewissen Erkennungszeichen als „Wissende“. Sie begrüßten sich beim Begegnen unter Auflegung der rechten Hand auf die linke Schulter mit der Anrede: „Ich grüße Euch, lieber Mann, was fanget Ihr hier an?“ worauf der Begrüßte erwiderte: „Alles Glück kehret ein, wo die Freischöppen sein.“ Das Geheimzeichen bestand in den vier Buchstaben S. S. G. G. (Stock und Stein, Gras und Grein, das heißt Ast). Bei Tisch hielten sie das Messer immer mit der Spitze gegen sich gekehrt. Auf diese Weise nahm der Schöffenbund den Charakter eines Geheimbundes ganz unwillkürlich an, der in seiner guten Zeit den Wahlspruch: „Gott, König und Recht“ immer treu und hoch hielt.

Die Aufgenommenen wurden vom Freigrafen in das Schöffenbuch eingetragen; sie gehörten nun zu den „Wissenden“ und hatten die in dem Eide enthaltenen Verpflichtungen sowohl des Anklägers (Rügers) als des beisitzenden Richters. Ja sie hatten nach Findung des Urtheils aber auch die Pflicht, dasselbe an dem Verurtheilten zu vollstrecken. Der Eidbruch eines Schöffen wurde furchtbar bestraft. „Wäre es,“ heißt es in einer Fehme-Ordnung, „daß ein Freischöffe die Heimlichkeit und Losung der heimlichen Acht oder irgend etwas davon in das Gemeine brächte oder unwissenden Leuten einige Stücke davon klein oder groß sagte, den sollen die Freigrafen und Freischöffen greifen unverklagt und binden ihm seine Hände vorne zusammen und ein Tuch vor seine Augen und werfen ihn auf seinen Bauch und winden ihm seine Zunge hinten aus seinem Nacken und thun ihm einen dreisträhnigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_358.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)