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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wenn Größe der Gesinnung die Vornehmheit, Reinheit des Herzens den Adel macht, wie tief stand die Hoheit unter der Niedrigkeit, der Herzog unter dem Sargtischler! An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Wohin der Sargtischler seine verstümmelte Hand legte, da waren Früchte der Liebe emporgequollen, eine Wunde geheilt, ein Schmerz gelindert. Hier, in diesen Bergen, diesen Thalen, über denen des Anderen mächtige Hand schaltete, waren seltsame Früchte zu schauen von seiner Liebe zum Volk, der Barmherzigkeit mit den Armen und Elenden, die er doch so gern und mit so pomphaften Worten im Munde führte!

Denn ich war jetzt aus den reicheren Breiten am Fuße und den noch immer wohl angebauten Strichen zwischen den lang sich streckenden Hängen des Gebirges heraus in Regionen gelangt, wo entweder schier undurchdringlicher Wald die Kämme bedeckte und die Schluchten füllte, oder da, wo der steinige Boden dem Walde keine Nahrung mehr bot, sich der Mensch angesiedelt hatte und der Wüstenei seinen kümmerlichen Unterehalt abzuringen suchte: armselige, aus Feldsteinen, wenig Holz und viel Lehm zusammengeklebte Hütten, umgeben von steineübersäeten Oeden mit einem Stück dürren Hafers hier, einem bischen Kartoffeln da; die Hütten selbst schwarz von Alter und Rauch, mit vergilbten Scheiben in den viereckigen Fettstern (und oft mit einer alten Zeitung oder einem Lappen statt der Scheiben); vor der Thür, wenn es hoch kam, ein paar umfriedete Quadratfuß, die mit ihrem Küchenkraut und ein paar Sonnenblumen ein Gärtchen darstellen sollten; an der Giebelwand ein oder zwei Ställchen mit dem Hof, auf dessen Dung und zertretenem Stroh Schweine, Hühner und Kinder einträchtlich sich umtrieben. Halbnackte Kinder, wenn es zum Besten war; ich hatte aber auch schon mehr als ein gänzlich nacktes gesehen und mich der armen Würmer willen des heißen Sonnenscheins gefreut, wie arg er mich auch auf meiner Wanderung belästigt hatte. Und die erwachsenen Personen, wie sie eben aus diesen krankhast abgemagerten oder ausgedunsenen Kindern mit den stumpfen Augen werden konnten: dürftigste Gestalten von lange vor der Zeit gealterten Männern und Weibern, alle mit dem stumpfen dumpfen Ausdruck des Hungers und der Hoffnungslosigkeit in den gelben verwelkten Gesichtern.

Sa war ich wieder in eine dieser Ortschaften gekommen, die man nur zum Hohn ein Dorf nennen mochte. Es war womöglich noch trostloser als die bisherigen, wenn es gleich weniger alt und verfallen schien. Ich hörten dann auch von Einem, den ich ansprach, daß es erst vor fünf Jahren gänzlich abgebrannt gewesen sei bis auf ein Haus, das nur hätte mit abbrennen sollen, denn es sei das allerälteste und wohl schon viele hundert Jahre alt. Ich wollte mir eine solche Merkwürdigkeit nicht entgehen lassen, und das Männlein führte mich in eine Art Seitengasse, in der nur noch zwei oder drei Häuser standen, von denen das letzte das verschonte war. In der That ein seltsames Haus - wenn man dies andere so nennen konnte - von einer Baufälligkeit, daß man nicht begriff, wie es zusammenhielt, und das doch mit seinen tief durchgebogenen Balken, die an den hervorstehenden Enden Spuren von Schnitzwerk zeigten, und dem windschiefen Giebel über der zweigetheilten Thür, und dem steinernen Treppchen mit seinen ausgetretenen Stufen, das zu der Thür hinaufführte, etwas Ungewöhnliches, ja Ehrwürdiges hatte.

Aber der Anblick, trotzdem man heute nach seines Gleichen wohl weit herum in deutschen Landen vergeblich suchen möchte, war doch nichts Neues für mich. Dies hier und die Umgebung, die reinlicher, aber womöglich noch dürftiger war, als bei den andern Häuseln, hatte ich doch schon gesehen. Das monotone gleichmäßige Pochen, das aus der offenen Hausthür zu kommen und mit einem schwälenden Feuerchen in dem Halbdunkel des Flurs in Verbindung zu stehen schien, an welchem eine gekrümmt sitzende Person irgend etwas schaffte - ich hatte es doch schon gehört, aber wo? Im Traum?

Und auf einmal fuhr es mir durch die Seele: nein, nicht in einem Traum: in der Erzählung des Vaters von seinen Kinderjahren; von dem Leben der armen Nägelschmiede, deren einer sein Vater gewesen, wie dessen Väter, die alle in dem alten zerfallenen Hause gewohnt hätten mit der Esse aus dem Flur, auf welcher das Feuer nicht ausging!

Warum sollte dies nicht das Haus seiner Erzählung, sein Geburtshaus sein? Alt und verfallen war es genug. Und war ich doch oben „auf dem Walde“! Ich hatte den Vater nie gefragt, wo ich das zu suchen habe „oben auf dem Walde". Aber warum sollte es hier nicht sein? Es mußte hier sein.

Mein Begleiter hatte mich verlassen. So stieg ich denn das Treppchen hinauf und trat in den Hausflur.

Die dunkle Gestalt schaute auf und nickte, als ich fragte, ob ich hereinkommen dürfe; fuhr dann aber alsbald mit ihrer Arbeit fort, die darin bestand, daß sie mit einem Hammer ein Stückchen an der Spitze glühendes Eisen auf einem winzigen Amboß zu einem Nagel klopfte, dergleichen bereits fertig neben seinem Schemel ein ganzer Haufen auf dem Estrichfußboden lag - jedenfalls das Produkt seines morgendlichen Fleißes- Es war ein alter Mann in schäbiger Kleidung, aus dessen geschwärztem abgemagerten Gesicht ein paar geröthete Augen so hilflos blickten, wie das Feuer auf der Esse, das nur um ein Weniges aus seiner grauen Aschenhülle aufglimmte, wenn der Mann, um es aufzuschüren, oder auch nur nicht ausgehen zu lassen, mit dem Fuß einen kleinen Blasebalg in Bewegung setzte.

Aus dem Alten war nichts herauszubringen; er murmelte Unverständliches auf meine weiteren Fragen; ich mußte ihn für stumpfsinnig oder schwerhörig halten. Daß er das Letztere sei, bestätigte eine alte, aber doch ein wenig intelligenter aussehende Frau, die jetzt aus der Stube rechter Hand auf den Flur trat. Ich fragte sie, ob dies das Haus sei, in welchem eine Familie Namens Lorenz sonst gewohnt hätte? .- „Ja, sonst." erwiderte die Alte; „der Letzte ist bei dem Brande vor fünf Jahren umgekommen, als er ein Kiud rettete, das ohne ihn verbrannt wäre. Er hatte keine Kinder und keinen Anhang. So hat mein Alter sich hier festgesetzt. Denn wir waren auch abgebrannt, und mein Alter und der Lorenz waren die einzigen Nägelschmiede. Früher waren hier Alle Nägelschmiede; aber nach dem Brande haben sie's nicht wieder angenommen und suchen sich nun so durchzuhelfen. Mein Alter ist aber schon zu alt, um noch umzulernen. So ist er denn dabei geblieben, und sie lassen uns hier, weil Keiner sich mehr in dem Hause zu wohnen getraut, und wenn es uns mal über dem Kopfe zusammenfällt und uns todt schlägt, so schadet es auch nichts."

„Haben Sie denn keine Kinder?"

„Gott sei Dank, nein!“

Ich blickte der Alten in die hohlen Augen, und ein Schauder durchrieselte mich. Es war so aus tiefstem Herzen gekommen, das fürchterliche: „Gott sei Dank, nein!“

Die Thür zu der Stube hatte sie offen gelassen. Ob ich einen Blick hinein werfen dürfe? - Gern.

Die Thür so niedrig - ich mußte mich bücken um einzutreten; die durchgebogenen Balken der Decke so dicht über mir - ich berührte sie beinahe mit dem Scheitel. Ein Spinnrad in der Nähe des Fensterchens mit den vergilbten Buzzenscheiben; ein Tischchen, auf dem das gesponnene Garn lag; ein Schränkchen mit ein paar thönernen Tellern und Kannen - Alles von großer Sauberkeit. Ein sorgfältig gemachtes, reinliches, breites Bett unter einer Art von Betthimmel, zwischen dem und der Decke noch gerade Raum blieb für ein Bild in braunem, wurmstichigen Rahmen - ich hätte wohl kaum erkannt, was es darstellte, hätte ich es nicht gewußt und hätte es nicht so oft vor meiner Seele gestanden: der hochbeinige Hirsch, auf den sie den Schacher gebunden haben; hinter ihm her die Meute; vor ihm der Wald, über dem die Sonne aufgeht; in den Sonnenstrahlen Gott Vater und seine Engelscharen!

Sah ich das Alles? glaubte ich nur, es noch zu sehen auf dem rauchgeschwärzten Bilde? Ich weiß es nicht; ich hatte mich auf einen Schemel, der mitten in der Stube stand, gesetzt und weinte - weinte, wie ich noch uie geweint, seitdem ich ein Kind gewesen.

Die verwunderte, rathlose Alte trippelte auf und ab und rief ihren Alten, ob er nicht wisse, was dem fremden jungen Herrn fehle? Ich ermannte mich und beruhigte, noch immer mit meinen Thränen kämpfend, die guten Leute. Ich sei der Pflegesohn von einem Lorenz, der auch hier in dem Hause geboren sei, einem Bruder des letzten Insassen, der in dem Brande umgekommen.

Das war ein Erstaunen. Selbst der halbtaube Alte, als ihm die Alte die seltsame Mähr ins Ohr geschrieen, wachte ein wenig aus seiner Stumpfheit auf. Eiha, der Lorenz, der Sargtischler! Ja, das sei ein guter Mann gewesen. Der habe dem Bruder hier oben auf dem Walde immer zu Ostern und Michaelis

regelmäßig Geld geschickt. Viel sei's just nicht gewesen; aber er

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