Seite:Die Gartenlaube (1886) 352.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Ein Deutscher vom rothen Kreuz.

Erinnerung an den serbisch-bulgarischen Krieg, December 1885.0 Von Karl Braun-Wiesbaden.

Bulgarische Frauentracht.

Im Jahre 1878 habe ich in meinen Reise-Eindrücken aus dem Süd-Osten (Band III, Seite 145) Bericht erstattet, wie sich die Genfer Konvention und das rothe Kreuz in den Aufständen und den Kriegen, deren Schauplatz in der Zeit von 1875 bis 1877 die Balkan-Halbinsel war, bewährt hat, wie die Türken aus religiösen Bedenken statt des rothen Kreuzes den rothen Halbmond im weißen Felde annahmen, wie aber gleichwohl das rothe Kreuz so wenig wie der rothe Halbmond überall den nöthigen Respekt fanden, wie vielmehr von allen Bethelligten – von den Türken, den Russen, den Bulgaren, den Serben und den Montenegrinern – Beschwerden wegen Verletzung der Genfer Konvention erhoben und leider vielfach begründet befunden wurden.

Heute, 1886, bin ich in der Lage, ein erfreulicheres Bild ungehemmter und segenbringender Thätigkeit des rothen Kreuzes aus Anlaß des serbisch-bulgarischen Krieges von l885 entrollen zu können. Ich folge bei meiner Erzählung den Mittheilungen meines verehrten Reichstags-Kollegen, des schlesischen Rittergutsbesitzers von Hoenika, der sich seit zwanzig Jahren mit opferfreudiger Hingebung dem Dienste des rothen Kreuzes gewidmet und sowohl 1866 im preußisch-österreichischen Kriege und 1870 und 1871 im französischen Feldzuge, als auch 1877 und 1878 im türkischen und 1885 im serbisch-bulgarischen Kriege eine hervorragende Thätigkeit im Dienste der leidenden Menschheit, ohne Unterschied der Rassen und der Religionen, entfaltet hat.

Seine Mittheilungen aus Serbien und Bulgarien waren mir von dem höchsten Interesse, da ich diese Länder wiederholt bereist habe, und ich glaube, auch den zahlreichen Lesern der „Gartenlaube“ einen Dienst zu erweisen, wenn ich aus seinen Berichten und meinen Erinnerungen dasjenige mittheile, was allgemein wissenswerth ist.

Von dem deutschen Centralkomité des rothen Kreuzes, das unter dem Protektorate der deutschen Kaiserin steht, erhielt Herr von Hoenika am 8. December 1885 den Auftrag, eine große Sendung von Lazarethgegenständen, als da sind Verbandzeug, Medikamente, Decken, Kleider etc., – in Summa im Gewichte von nahe an 4000 Kilo – möglichst bald, schnell, sicher und billig von Berlin nach Sofia, der Hauptstadt von Bulgarien, zu transportiren. Das ärztliche Personal, die Herren Doktoren Gluck, Grimm und Langenbuch, waren schon auf anderem Wege vorausgeeilt. Einer besonderen Instruktion bedurfte es für Hoenika nicht. Er kannte aus dem Jahre 1877 die Gegend zwischen Rustschuk und Plewna. Man überließ ihm vertrauensvoll alle Einzelnheiten der Ausführung, deren Schwierigkeit auf der Hand lag.

Die Donaudampfschifffahrt wird im Winter eingestellt, und zwar in der Regel Mitte December. Wenn aber auch die Dampfer noch gingen, so waren dieselben doch schon bedroht durch Eisgang und Nebel, und zum Oefteren mußte sie auch in Orsowa liegen bleiben. Dann gingen auch wieder Schiffe von Turn-Severin, auf rumänischem Boden, donauabwärts. Auf telegraphische Anfrage erhielt Herr von Hoenika Auskunft, das letzte Schiff von Pest gehe am 12. und das letzte von Turn-Severin am 18. December 1885 donauabwärts, falls kein Eisgang eintrete; und der Chef des bulgarischen rothen Kreuzes, Metropolit Clement in Sofia, antwortete, der Weg von Lom-Palanka nach Sofia (über den Balkan) stehe offen, freilich sei er bei schlechtem Wetter schwer passirbar. Der tapfere Ritter vom rothen Kreuze wählte die schwierigste, aber auch kürzeste Route, nämlich mit der Eisenbahn von Berlin bis Turn-Severin und von da mit dem Dampfschiff nach Lom-Palanka. Die Verwaltungen der Eisenbahnstrecken, welche er zu befahren hatte, kamen ihm bereitwilligst entgegen. Sie erlaubten ihm, den großen Packwaggon, der die Lazarethgegenstände enthielt, an die Eilzüge anzuhängen. Denn nur so war es möglich, Turn-Severin noch zur richtige Zeit zu erreichen; und um zu verhüten, daß nicht irgendwo der große Wagen, der für die Bahnverwaltung eine höchst unangenehme Zugabe des Eilzuges bildete, abgehängt werde und stehen bleibe, mußte Herr von Hoenika sich bequemen, selbst in dem Packwagen Platz zu nehmen und seine Schätze zu bewachen.

Am 12. December 1885 verließ Herr von Hoenika Berlin mit dem Personenzuge, um über Ratibor und Pest nach Turn-Severin zu fahren. Unterwegs erfuhr er, daß die Dampfschifffahrt von Pest donauabwärts schon eingestellt sei wegen Eisgangs. Es schneite unaufhörlich. In Ungarn schon lag der Schnee meterhoch, dabei wehte ein eisiger Wind, der die Schneemassen auf dem Bahndamme aufhäufte und eine gänzliche Einstellung des Eisenbahnverkehrs fürchten ließ. Ein Grund mehr, den Packwaggon mit dem anvertrauten Gut nicht zu verlassen. Denn hier galt der Satz „Doppelt giebt, wer schnell giebt“ noch mehr, als im gewohnlichen Leben.

So machte Herr von Hoenika, nur von seinem Diener begleitet, die endlos lange Fahrt in dem Packwagen, immer wachsam, „toujours en vedette“.

Man denke sich die Situation in dem Wagen!

Eine Stalllaterne diente nur nothdürftig, mehr die Finsterniß erkennen zu lassen, als den Raum zu erhellen. Dabei herrschte eine grimmige Kälte und der Schnee drang durch alle Spalte und Ritze bis in den hintersten Winkel. Kleider und Decken vermochten kaum noch Schutz zu gewähren. Ein Spirituskochapparat versagte den Dienst; das Wasser in den Flaschen war eingefroren. Wurst und Brot, die man mitgenommen hatte, waren nicht zu genießen. Sie waren festgefroren, und wenn man hineinbiß, knirschten die Eissplitter zwischen den Zähnen. Während der langen Fahrt – sie dauerte drei Tage und drei Nächte, ohne Unterbrechung, bei 15 bis 20 Grad Kälte – versagten alle Hilfsmittel, mit Ausnahme eines feinen Kognak, den man von Berlin mitgenommen hatte, und eines unbekannten Wohlthäters, dessen Namen man niemals erfahren. Dieser warf nämlich auf einer ungerischen Station ein großes Bund Stroh in den Packwagen, und Herr von Hoenika beeilte sich nun, unter Beistand seines Dieners nach Möglichkeit die Ritze und Spalten des Packwagens zuzustopfen, wodurch etwas Schutz gegen Schnee, Kälte und Wind gewonnen wurde.

Am 16. December Abends wurde endlich Turn-Severin erreicht. „Am nächsten Morgen früh geht das letzte Schiff donauabwärts nach Galatz,“ lautete die Nachricht auf dem Bahnhof, welcher jedoch weit entfernt ist von der Schiffslände an der Donau. Bis tief in die Nacht galt es nun zu arbeiten, um durch den tiefen Schnee auf unwegsamer Strecke die etwas zu groß gerathenen Kisten auf den Dampfer zu schaffen. Endlich konnte der Ritter vom rothen Kreuz sich auf dem Dampfer wieder eines warmen Essens und eines bequemen Nachtlagers erfreuen. Sein erquickender Schlummer wurde Morgens um fünf Uhr durch die Bewegung der Schaufeln des Dampfers und das Rauschen des Wassers unterbrochen.

„Gott sei Dank,“ sagte Hoenika, „die schwierige Mission ist gelungen!“

Palast des Fürsten Alexander in Sofia.

Allein die Enttäuschung folgte der Freude auf dem Fuße. Ein toller Schneewirbel und dann ein Nebel, den man mit dem Messer schneiden konnte, machten die Fortsetzung der Fahrt alsbald unmöglich und zwangen, nach Turn-Severin zurückzukehren. Nach drei Stunden siegte die Sonne, und der Dampfer fuhr aufs Neue donauabwärts. Die erste Landestelle war Widdin. Diese befestigte Stadt war auf der Landseite von siebentausend Mann Serben eingeschlossen und belagert. Auf der Flußseite war sie offen. Herr von Hoenika hatte von Turn-Severin aus dem Metropoliten von Widdin, dem dortige Chef des rothen Kreuzes, seine Ankunft telegraphisch gemeldet. Er wurde, als das Schiff in Widdin anlegte, von dem Metropoliten und dem Kommandanten der Festung empfangen. Der Letztere, Hauptmann Jusunof, hat sehr Rühmliches im

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_352.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2021)