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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wie Sammet geschorenen Rasen blinkten im matten Schein des aufgehenden Mondes. Die Musik der Kapelle zog in süßen italienischen Melodieen in die schweigende Nacht hinaus.

Die hohen Flügelthüren der Säle waren geöffnet und eine Fluth von Licht strömte aus ihnen hervor. Seidene Schleppen rauschten, Sporen klirrten die breiten Stufen hinauf und hinab; Fächer wehten, Locken flatterten, und leise Worte flüsterten durch die von Blüthenduft und feinen Odeurs erfüllte Luft.

Im ersten Saale herrschte die Roulette.

Wie ein Tempel des Goldes erschien der hohe gewölbte, von weißen Marmorsäulen getragene Raum. Riesige vergoldete Gaskronen, die unzählige Flammen umspielten, erhellten ihn. Die blitzenden Lichter vervielfachten sich in den Spiegeln, welche die Wände bekleideten, bis in das Unermeßliche; sie funkelten aus den breiten Goldrahmen derselben und leuchteten auf dem gelben Seidenstoff, welcher die Draperien an den Fenstern und Thüren bildete und die schwellenden Polster der Causeusen, Chaise-longues und Fauteuils überzog, die zu kleinen Gruppen zwischen den Marmorsäulen zusammengestellt waren.

In der Mitte des glänzenden Raumes stand das Allerheiligste des modernen Götzentempels, der Roulettetisch, an dem die schwarz gekleideten Kroupiers mit eiserner Ruhe ihren Dienst verwalteten.

Um denselben hatte sich ein dichter Kreis gebildet. Frau von Nihiloff setzte in Gesellschaft einiger Französinnen mit der Ruhe routinirter Spieler ihre Louisd’or, Vera mit glühenden Wangen ihre Silberguldenstücke, die sie zu ihrer Unterhaltung bekommen hatte. Die reizende Gräfin Scultizka mit dem defekten rothseidenen Portemonnaie ließ sich herab, aus der Börse des Baron Pölz zu spielen. Und Mister Montagu hatte den Spleen, unablässig auf eine bestimmte Zahl zu setzen, die er mit seinen Goldstücken attakirte, obgleich die Rateaux der Kroupiers dieselben immer wieder einzogen.

Alles Licht aber schien sich zu koncentriren auf Leonoren’s Gestalt. Sie hatte den Hut abgenommen. Ihr Haar, das von Goldpuder überstreut schien, gleißte um die Wette mit dem Kleide von goldig schimmernder Seide.

Eine heiße Röthe lag auf ihren Wangen, ein erwartungsvolles Lächeln kräuselte die purpurrothen Lippen und ließ die Reihen feiner Zähne wie Perlenschnüre hervortreten.

Hinter ihr im Rahmen der weit geöffneten Pforte dämmerte die Sommernacht, vom ungewissen Mondlichte und den Gaskandelabern erhellt. Ueber dem Bette der Lora webte ein weißer Nebelstreif wie ein langer flatternder Schleier.

Als Heino zu Leonoren trat, strahlten ihre Augen auf wie die großen Sapphire ihres Schmuckes.

„Die Priesterin im modernen Tempel des Pluto, märchenhaft schön wie immer,“ hauchte er mit heißer Stimme in ihr Ohr.

„Und erscheine ich ihnen in dieser Gestalt verdammenswerth?“ fragte sie lächelnd, aber mit gespanntem Blick.

Seine trunkenen Augen tauchten selig in die ihren.

„O, die Schönheit verklärt Alles. Wenn sie in solcher Gestalt mir vorschwebte, ich würde ihr folgen, selbst in die Hölle.“

„Und wenn Sie beim Wort genommen würden?“ flüsterte Leonore in einem zitternden warmen Tone, der ihm das Blut zum Sieden brachte.

„Ich bin zu Allem bereit,“ lachte er ausgelassen „und beginne das Opfer im Tempel.“

Er setzte eine Anzahl von Goldstücken auf eine Nummer der Roulette.

Ein Ausdruck von verstecktem Triumph trat in ihre Züge.

Sie folgte ihm und setzte auf eine andere Nummer.

Es wurde todtenstill. Nur die Kugel rollte, und das Rauschen der Lora drang herein, als hielten beide eine geheimnißvolle Zwiesprache.

Dann zog der Kroupier Heino’s Goldstücke ein und ließ in unfehlbarem Wurf Leonoren eine Summe zufliegen.

Sie schob die ganze Summe auf eine andere Nummer.

Heino setzte abermals.

Er verlor wieder. Sie gewann.

Sie lachte leise, während ihre schöne von Brillanten funkelnde Hand mit den vor ihr aufgehäuften Goldstücken spielte wie ein Kind mit Rosen.

Heino leerte sein Portefeuille auf eine neue Nummer.

Ein dichter Kreis von Zuschauern hatte sich um sie gebildet.

„Sie spielen mit hohem Einsatz,“ krächzte Ravensburgk hinter Leonoren, welche abermals die gewonnene Summe auf eine andere Zahl schob.

„Ich riskire nichts,“ lachte sie übermüthig. „ich kann hier nicht verlieren, nicht gewinnen.“

„Das klingt ja verteufelt mysteriös,“ brummte Ravensburgk.

„Leonore!“ mahnte leise Frau Paloty, welche an der Seite in einem Fauteuil saß.

„Was hat es auch weiter auf sich, ein paar Hände voll Gold auf eine rollende Kugel zu setzen?“ scherzte Leonore. „Stehen wir nicht alle auf einer Kugel, die uns heute noch zu rosigem Licht erhebt, morgen vielleicht schon in schwarze Grabesnacht stürzt?“

Im nächsten Augenblick war der goldene Berg vor ihr wieder um das Doppelte gewachsen.

Heino’s hohen Satz hatte die Geldkrücke abermals eingezogen. Er nahm Ravensburgk vertraulich bei Seite. „Können Sie mir ein paar hundert Louisd’or leihen? ich erwarte in diesen Tagen eine Geldsendung von dem Inspektor meines Gutes."

Schweigend willfahrte dieser ihm. Aber dem Präsidenten flüsterte er zu: „Blachrieth verliert heute kolossal. Er hat die Besinnung ganz verloren. Geht das noch eine Weile so fort, dann kann morgen eine tüchtige Hypothek auf das Gut aufgenommen werden.“

Mit leisen Schritten war Frau Paloty zu ihrer Tochter getreten. „Wie kannst Du so unüberlegt handeln?“ flüsterte sie ihr zu.

Leonore schnippte mit den Fingerspitzen. „Ich wollte, ich könnte ihn ruiniren, um ihm dann Alles zurück zu geben.“

„Weißt Du so bestimmt, ob er es aus dieser Hand nimmt?“ fragte Frau Paloty.

Von der andern Seite ertönte der Unkenruf Ravensburgk’s: „Nehmen Sie sich in Acht! Allzuviel Glück im Spiel bedeutet Unglück in der Liebe.“

„Bah!“ lachte Leonore. „Meine erhabene Schutzpatronin Fortuna treibt keinen kleinlichen Schacher. Wem sie einmal hold ist, der ist gefeit gegen jede unheilspinnende Macht.“

„Fordern Sie das neidische Schicksal nicht heraus,“ mahnte der Präsident. „Nach alten Erfahrungen haben die dunklen Mächte keine Gewalt über Gefühle und Gedanken; aber das gesprochene Wort entfesselt die Tückischen.“

„Dem Falkneck kann es ja bange werden für seine Tantième bei ihrem Glück,“ bemerkte der ‚Sohn seiner Mutter‘.

„Wem?“ fuhr Leonore herum.

„Nun, dem sogenannten Faucon, dem Kroupier,“ antwortete Ravensburgk. „Da sitzt er ja vor ihrer schönen Nase: Der Herr mit dem schwarzen Henri quatre.“

„Die Falkenecks sind verschollen,“ widersprach Leonore schroff.

Ravensburgk sah sie erstaunt an. „Möchten sie es bleiben. Aber diesem Kerl ist bei seinem erbärmlichen Leben selbst das letzte Restchen Schamgefühl abhanden gekommen. Er giebt es zu, daß er der letzte Falkeneck ist.“

„Er giebt es zu?“ fragte Leonore wie geistesabwesend, indem ihre Augen mit zorniger Verachtung zu dem stattlichen Kroupier hinüber flogen.

Dieser hatte jedenfalls bemerkt, daß er der Gegenstand der Konversation war. Der Blick seiner schwarzen Augen begegnete dem ihren. Eine Sekunde lang kreuzten sie sich wie zwei blanke Klingen.

„Betrüger!“ zischte es von Leonoren’s Lippen leise und doch hörbar durch die Stille.

Die Lora rauschte auf. Frau Paloty schrak zusammen.

„Gehen wir, Leonore!“ sagte sie.

Verstört trat diese von der Roulette zurück. Mit dem Fächer schob sie ihren Gewinn, den ihr der stattliche Kroupier abermals zufliegen ließ, vom Tisch auf die Erde. „Pour le garçon!“ kam es von den zusammengepreßten Lippen.

Heino eilte schon fort, um den Wagen zu bestellen.

„Wohl bekomm’s, mein Poet, Du bist artig gerupft worden,“ murmelte Ravensburgk, als er Heino nachsah, der die Damen zu dem Wagen geleitete.

Auch er trat den Heimweg an.

Die Lichter in den Zimmern der Kurgäste waren bereits erloschen. Nur in Leonoren’s Boudoir schimmerte noch heller Schein.

Eine einzelne Gestalt wandelte vor den Fenstern auf und ab. Es war Blachrieth.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_348.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2021)