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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

dem Drama, soll es anders ein wirklich historisches und nicht ein bloßes Phantasma sein, zur Geltung kommen müsse. Ich gebe auch die Hoffnung nicht auf. Denn nach dem, was Sie mir eben gesagt, muß ich schließen, daß Sie mich keineswegs völlig verstanden haben, und so möchte ich mir erlauben, von dem schlecht unterrichteten Poeten an den besser zu unterrichtenden zu appelliren. Dazu ist freilich heute nicht mehr die Zeit.“

Er warf über die Breite des Zimmers einen Blick nach der Stutzuhr auf dem Kamin, von der trotz der Entfernung und der mangelhaften Beleuchtung seine falkenscharfen Augen Stunde und Minute abzulesen vermochten.

„Der Tausend! schon so spät!“ rief er. „Also nun – Ende gut, Alles gut: ein paar hübsche Gedichte!“

(Fortsetzung folgt.)

Noch heute „das geheimnißvolle Grab“.

Neue Studien und alte Erinnerungen von Friedrich Hofmann.
(Schluß.)

Der Graf starb am 8. April Mittags 12¼ Uhr und ward am 11. früh 9 Uhr mit großer Feierlichkeit und Theilnahme beerdigt. Die ganze Gemeinde von Eishausen und die Zöglinge des Waisenhauses von Hildburghausen, dem er ebenfalls viel Wohlthaten erwiesen, geleiteten den Trauerzug zum Friedhof des Dorfs, wo der Vollendete neben dem Grabdenkmal des Pfarrers Kühner endlich seine letzte und wirkliche Ruhestätte fand. Der Pfarrer Pfitz, ein auch dichterisch hochbegabter Mann, mit dem der Graf in den 17 Jahren ihres Zusammenlebens im Dorfe nie eine Annäherung suchte, hielt die Grabrede, welche Human (Theil I, S. 84) abgedruckt hat.

Dem Gericht machte diesmal der Arzt Dr. Knopf die Anzeige noch am 8. April Nachmittags 3 Uhr, und am folgenden Tag erschien die Gerichtskommission zur Aufnahme und Versiegelung der Verlassenschaft.

Was in den Zimmern des Grafen, der Gräfin und den übrigen Schloßräumen sich vorfand an barem Gelde, Kostbarkeiten, Möbeln und sonstigem Schmuck und Hausrath aller Art, hat Human ebenfalls (I, S. 24) mitgetheilt. Wichtiger für die Charakteristik des Grafen war seine Bibliothek, reich an klassischen, historischen, politischen, juristischen und medicinischen Werken und Broschüren; ebenso eine reichhaltige Familienkorrespondenz, welche Human zum Theil zugänglich gemacht wurde, während eine Sammlung von Briefen fürstlicher Personen, wie Human beklagt, verschwunden ist und neben Briefen von Gelehrten, Kaufleuten, Agenten etc. auch manche andere Zuschrift erhalten war, die ein rücksichtsvoller Mann wohl vernichtet hätte. Das Wichtigste aber wurde, wie ich oben bereits verrieth, in einem verschlossenen Kutschenkasten entdeckt. Diese Papiere, welche über Geburt und Jugendleben eines Leonardus Cornelius van der Valk Aufschluß geben, haben wir ebenfalls bereits erwähnt. In demselben Kasten lagen aber noch neben zwei seidenen Beutelchen voll Goldstücken und Brabanter Thalern dreizehn Briefe einer Dame, Angès Berthélémy née Daniels aus Le Mans, aus den Jahren 1798 und 1799. Wenn auch in diesen Briefen der Name des Grafen nicht vorkommt, so rechtfertigt doch der Umstand, daß sie in seiner geheimsten Verwahrung gefunden worden sind, die Annahme, daß sie an ihn gerichtet gewesen, und daß aus ihnen Auskunft zu schöpfen sei über Herkunft und Vergangenheit der geheimnißvollen Dame. Und wenn das Gericht in seinen Ediktalien keinen Anstand nahm, auch den aufgefundenen zweiten Namen zur Auffindung der Erben mit zu benutzen, so konnte man eben so gut die 13 Briefe für die Gräfin sprechen lassen. Dies führte zur Aufstellung der schon mehrerwähnten – schauerlichen Hypothese.

Diese Bezeichnung trug eine Schrift, welche dem Verfasser der ersten Veröffentlichung über „Die Geheimnißvollen in Eishausen“, Dr. Karl Kühner (weiland Direktor der Musterschule in Frankfurt a. M.), von befreundeter Hand übergeben und von ihm als Anhang zu der seinigen mitgetheilt wurde. Sie stellt mit Benutzung jener 13 Briefe Folgendes auf.

Aus der Jugendgeschichte des Leonardus Cornelius van der Valk ist bekannt, daß er mit seiner Familie zerfiel, weil dieselbe seine Verehelichung mit einer Deutschen vom Niederrhein (A. Daniels aus Köln) nicht gestattete. Diese wurde die Gemahlin eines französischen Officiers, Berthélémy, und lebte 1798 in den dürftigsten Umständen mit ihrer Tochter in Le Mans, schon seit vier Jahren von ihrem Gemahl getrennt, weil dieser sie im Verdacht hatte, daß ihr Herz einem Andern gehöre, mit dem sie heimlich korrespondire und von dem sie reiche Geschenke annehme. Dieser Andere war unser „Graf“, welcher von Paris aus die geheime Korrespondenz unterhielt. Berthelémy drang auf Ehescheidung; Angès widerstrebt jedoch derselben, weil sie auf Aussöhnung mit ihrem Gemahl hoffte. Van der Valk scheint dagegen auf diese Trennung hingewirkt und sie zur Flucht mit ihm nach Deutschland aufgefordert zu haben. Aus den Briefen geht ferner hervor, daß van der Valk aus Schwermuth entschlossen war, sich in die Einsamkeit zurück zu ziehen; sie beschwört ihn, eine glänzende Verbindung, die sich ihm dargeboten zu haben scheint, einzugehen. Als aber Berthélémy ihre Scheidungsbedingung, ihrer Tochter eine Pension auszusetzen, abschlug, schreibt sie im Herbst 1799, daß sie sich nunmehr gezwungen sehe, sich nach Deutschland, zu ihren Brüdern zu begeben, mit welchen der Graf ebenfalls in Briefverkehr stand. So weit gehen die Briefe, und nun wird weiter gefolgert. In Deutschland scheinen die so lange Getrennten sich wieder gefunden und die Dame, ohne gesetzliche Scheidung von Berthélémy, ihr Los mit dem ihres Wohlthäters für immer verbunden zu haben. Da aber in Ingelfingen und Hildburghausen nur eine jugendliche Dame von 15 bis höchstens 18 Jahre unter der Verhüllung erscheint, so hat die Mutter offenbar ihre Tochter dem Schutz des Grafen anvertraut, und sie ist’s, die man in Ingelfingen oft so bitterlich weinen hörte, die früher ihre Mutter oft mit Fragen bestürmte, wer ihr Wohlthäter sei, und der ihr leicht möglich als ein Bourbone bezeichnet wurde, welcher um ihretwillen die glänzende Welt verlassen habe. Daher wohl der Brief an den lieben Ludwig und die große Dankbarkeit für den „Herrn“. Nachdem endlich in Eishausen eine sichere Stätte gefunden war, kann auch die Mutter Angès sich eingestellt haben, und dann hatten der Chausséewärter und die Anderen, welche stets behaupteten, zwei Damen, abwechselnd eine junge und alte, im Wagen des Grafen gesehen zu haben, ja doch Recht. Die Frage, warum aber Niemand die ältere Dame ankommen und abreisen sah und wohin sie schließlich wohl verschwunden sei, ist müßig, denn zur Nachtzeit war jeder Ein- und Ausgang der Schloßbewohner ohne Aufsehen möglich, und was im Schlosse geschah, war das Geheimniß von nur drei Menschen, dem alten Squarre, der Köchin und der Botin, – und alle drei hatten Schweres zu verschweigen, das bewies ihr Ende.

Durch diese Hypothese werden manche hingeworfene Aeußerungen des Grafen und Aussagen der Dienerschaft erklärt. Zunächst kann die Dame von ihrer Mutter so viel Deutsch gelernt haben, um mit den Dienstboten (und auch mit den Landleuten in der ersten Eishäuser Zeit) sprechen und den Brief von 1808 schreiben zu können. Ferner ist’s richtig, wenn der Graf sie „eine arme Waise“ nennt und zu Hohnbaum sagt, daß seine Verbindung mit ihr etwas Romantisches, einer Entführung Aehnliches gehabt habe. Erklärlich wird nun auch seine fortwährende Angst vor Verfolgung und Entdeckung, denn durch seine Agenten wußte er, daß Berthélémy den Entflohenen nachspüre, und bei den vielen französischen Truppendurchzügen gerade auf den Heerstraßen durch Thüringen und Franken lag die Gefahr der Entdeckung nahe. Auch Augereau’s Korps zog diese Straße, und später gestand der Graf: „Damals war ein Mann hier, der, wenn er mich gesehen hätte, mein Schicksal entschieden haben würde.“ – Eben deßhalb der andere Name, als den er in Frankreich geführt hatte; eben deßhalb die Sorge, keine Zeile seiner Handschrift in und um seinen damaligen Wohnsitz in andere Hände kommen zu lassen; eben deßhalb die stete Fluchtbereitschaft, denn daß gerade diejenigen Papiere, welche über seine Person und sein Verhältniß zu Berthélémy’s Frau und Tochter den alleinigen Aufschluß geben, zugleich mit dem nöthigsten Reisegeld im Chaisekasten aufbewahrt werden, läßt sicherlich diese Deutung zu.

In ähnlicher Weise werden die 13 Briefe in zwei Artikeln des „Nürnberger Korrespondenten“ und von O. Müller in Saalfeld benutzt. Und schließlich stellt sich doch all diese Bemühung als eine vergebliche heraus. Human berichtet uns „nach einer weitverzweigten Korrespondenz und aus zuverlässigster Quelle“ als Thatsache, daß die jüngere Berthélémy in Rheinbayern verheirathet gewesen und vor 18 Jahren gestorben sei und nie von ihrer Mutter getrennt gelebt habe. Ob nicht die Bestätigung dieser Nachricht noch heute aus der Rheinpfalz zu erwarten sein sollte?

Gegen die ganze Hypothese spricht vor Allem Eines: Wie ist’s möglich, daß der Mann, welcher in einem Augenblick, der für ihn verhängnißvoll werden konnte, den Ausspruch thut: „Keine Macht der Welt soll mir mein Geheimniß entreißen, ich nehme es mit ins Grab!“ gerade diejenigen Briefe, welche „die steten Ankläger während seines Lebens und die Verräther nach seinem Tode“ sein mußten, nicht nur nicht vernichtet, sondern sogar auf das Sicherste und so aufbewahrt, daß ihre Auffindung die größte Aufmerksamkeit auf sie lenken muß? Ist nach vierzigjährigem Kampfe mit sich und der Welt um die Bewahrung seines Geheimnisses eine solche Preisgebung desselben denkbar?

Es ist aber nicht allein die Schuld des Geheimnißvollen an sich, das den Grafen nicht von der Hülle des Unheimlichen für unser Auge befreien läßt, sondern die Widersprüche, die offenbaren Unwahrheiten, die nach seinem Tode zu Tage kamen, riefen Hypothesen ins Leben, die wir erst recht als schauerlich bezeichnen können.

Der Zweifel, ob der Geheimnißvolle Vavel de Versey oder van der Valk gewesen oder Keiner von Beiden, mußte wachgerufen werden, als – in Folge des gerichtlichen Aufrufs nach den Erben unter Angabe beider Namen – ein Advokat Dr. Martini aus Amsterdam mit einem Notar Schiefbaan aus dem Haag als Vertreter der van der Valks schon am 15. September 1845 (der Termin war auf den 30. Juni 1846 festgesetzt!) in Hildburghausen eintraf und die Erklärung abgab: „Der Graf habe seinen Verwandten mitgetheilt, Vavel de Versay sei sein bester Freund, an ihn möchten sie seine Briefe richten, dann werde er sie sicher empfangen.“ Ja, noch mehr: „Versay habe ihm gegen eine gewisse Verpflichtung auf Ehrenwort sein ganzes Vermögen vermacht.“

Und der Mann treibt die Ausbeutung dieser Freundschaft so weit, daß er selbst den Namen des Freundes sein ganzes Leben lang führt? Wo aber hätte der wirkliche Vavel gelebt? Wohin ist sein Vermögen gekommen? Hat der Graf die Renten dieses Vermögens bezogen und zugleich als ein van der Valk die aus dem Familienvermögen?

Wie nahe liegt da der Verdacht, daß der Mann, den wir in Ingelfingen und später in Hildburghausen mit der verschleierten Dame sehen, gar nicht der Pariser Diplomat van der Valk, sondern wirklich ein Baron oder Graf Vavel war, der sich des ganzen Nachlasses des in Paris gestorbenen van der Valk’s bemächtigt, aus den Briefen die Familien-Verhältnisse und -Mitglieder aufs Genaueste kennen gelernt, des Todten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_338.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2024)