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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nach der Hochzeit zu sterben. Die junge Frau folgte ihm, wiederum ein halbes Jahr später, nachdem sie einem Kinde das Leben gegeben, dessen Geburt ihr eben selbst das Leben kostete.

Hatten Sie von diesen Dingen in der Familie wirklich nichts gehört?“

„Nur im Allgemeinen,“ erwiderte ich, „nicht in diesen Details.“

„Die ich eben auch nur aus den amerikanischen Zeitungen kenne,“ fuhr er fort. „Sie wissen, daß ich diese, sowie die englischen, stets mit Interesse verfolge; sie sind jetzt voll von der Sache, besonders natürlich die amerikanischen. Ein Fall, in welchem es sich um viele Millionen handelt, ist eine nationale Angelegenheit, Uebrigens hätten Sie die Geschichte nur bis zu diesem Punkte, von den Bogtriz hören können, die, wie aus dem weiteren Verlauf hervorgeht, zu der amerikanischen Familie, in welche ihr Verwandter geheirathet, wohl von Anfang an kaum in nähere Beziehung traten und jedenfalls später mit derselben außer allem Konnex gekommen sind. Aber wo war ich stehen geblieben?“

„Bei der Geburt des Kindes,“ erwiderte ich, dessen düstere Zerstreutheit nun doch der Theilnahme an dem Geschicke dieser Menschen gewichen war, von denen ich zuerst in den guten Schlagodvdro-Tagen gehört hatte: von dem Freunde in dem Ahnensaale der Bogtriz vor dem Bilde jenes seines Großonkels. Ich hatte demselben ja ähnlich sein sollen, obgleich ich es nicht finden konnte und eine Aehnlichkeit höchstens darin sah, daß der junge Mann, wie ich, weder Glück noch Stern gehabt.

„Richtig,“ sagte der Herzog, „bei der Geburt des Kindes, der Heldin dieser nach den Zeitungen wahrhaftigen Geschichte. Sie wuchs aber in dem Hause der Großeltern auf, die außer jener Tochter eben keine Kinder hatten und deren Abgott sie natürlich war und blieb, trotzdem sie schon früh eine Neigung zu Extravaganzen an den Tag gelegt zu haben scheint. Mit sechs Jahren – immer den wahrhaftigen Zeitungen folgend -– war sie bereits ihren Großeltern entlaufen, um mit einer braunen Zigeunerin, die es ihr angethan – es treibt sich in New-York viel dergleichen Gesindels umher, das an den Straßenecken singt oder sonstige brotlose Künste ausführt – ich habe oft, als ich drüben war, meinen Spaß daran gehabt – kurz mit einem solchen Weibe war die Kleine davongelaufen, für die Hexe, die sie ,so gejammert’, mit dem Teller zu sammeln und, wenn die Person, was oft geschah, zu betrunken war, die Zotenlieder derselben mit ihrer hellen unschuldigen Kinderstimme zu singen. Dic Polizei hatte ihre liebe Noth, die kleine Vagabundin wiedereinzufafgen. Als sie knapp zwölf Jahre, kam statt der Ziegeunerin irgend eine verrückte religiöse Sekte an die Reihe, die es ihr wiederum ,angethan’, und diesmal war der Fall insofern ernster, als sie mit der ehrenwerthen Gesellschaft von New-York fortgezogen und verschwunden war, bis sie, ich weiß nicht wo, endlich entdeckt und zu ihren Großeltern zurückgebracht wurde, die natürlich abermals ein Freudenkalb schlachteten. Dann scheinen sie Ruhe vor den Emancipationsgelüsten der jungen Miß gehabt zu haben; aber mittlerweile war sie achtzehn Jahre alt geworden und besann sich darauf, daß sie nach der extravaganten Seite etwas Entscheidendes thun müsse. Dies bestand denn darin, daß sie sich in einen Schauspieler verliebte – einen strolling actor – dessen unrühmliche Bekanntschaft sie in einem Seebade gemacht hatte, und den sie heirathen zu müssen erklärte, ob mit ob ohne Einwilligung der Großeltern. Die dann zu einem sehr mißlichen Vertheidigungsmittel griffen. Sie schickten nämlich den jungen Herrn in den fernsten Westen mit einer Entschädigungssumme, die ganz anständig gewesen sein wird, aber nur ein paar wilde Nächte in den Spielhöllen von San Francisko – dem San Francisko von damals! – vorhielt, worauf denn der arme Teufel ohne einen Pfennig in der Tasche, dafür aber mit einer Revolverkugel im Leibe an einem schönen Morgen von dem Straßenpflaster oder aus dem Straßenschmutz aufgehoben und in ein Hospital oder dergleichen gebracht wurde. Leider hatte er noch Leben genug, an die Miß in New-York einen Brief zu diktiren, den diese kaum empfangen hatte, als sie auch schon auf dem Wege nach San Francisko war mit einer nicht unbedeutenden Summe – der Erbschaft irgend einer reichen Tante – die sie stets selbst verwaltet und längst für alle Eventualitäten bereit gehalten hatte. Sie gelangte unangefochten bis an das Ziel ihrer Reise, die freilich insofern resultatlos ausfiel, als sie den jungen Mann bereits als Leiche fand. Von dem pompösen Begräbnisse, das sie ihm bereiten ließ, verschwand sie in der zusammengelaufenen Menge in dem Augenblicke, als der bekümmerte Großvater, der ihr nachgeeilt war, auf dem Plane erschien. Verschwand und blieb verschwunden. Wie das möglich gewesen trotz der angestellten Recherchen, die bei den Mitteln des alten New-Yorker Banquiers sicherlich mit großem Nachdruck betrieben wurden, darüber wissen selbst die sonst allwissenden Zeitungen keine Auskunft zu geben. Die Vermuthung ist, daß sie sich längere oder kürzere Zeit in einem der selbst für die Polizei unzugänglichen ,camps' der Goldgräber verborgen gehalten und sich dann auf einem ostindischen Dampfer heimlich – trotz aller Ueberwachung der Häfen – eingeschifft hat.“

Der Herzog schwieg und zündete sich eine neue Cigarre an.

Ich mischte ihm ein drittes Glas und sagte: „Die Geschichte kann doch nicht zu Ende sein, Hoheit.“

„Weßhalb nicht?“

„Weil ich sonst nicht wüßte, weßhalb sich die Zeitungen mit derselben beschäftigen sollten, gerade jetzt, nachdem doch eine, wie mir däucht, geraume Zeit darüber verflossen ist. Oder ist der Banquier etwa jetzt erst gestorben, und man weiß nicht, wohin mit den Millionen?“

Ein flüchtiges Lächeln zog über das Gesicht des Herzogs.

„Sieh, sieh!“ sagte er. „Nun, die Vermuthung macht Ihrem Scharfsinn alle Ehre. Sie ist nämlich richtig. Der alte Banquier Gilmore – oder hatte ich den Namen schon genannt?“ – „Nein, Hoheit.“

„Also, der alte Banquier Gilmore ist gestorben, nachdem ihm seine Gattin schon ein Paar Jahre vorausgegangen, und man hat in der That, kurze Zeit wenigstens, nicht gewußt, wohin mit den Millionen, oder doch mit dem größten Theil derselben. Der alte Herr hatte nämlich ein Testament hinterlassen des Inhalts, daß, im Falle seine geliebte Enkelin, Miß Katharina Bogtriz – denn das war ihr legitimer Name, – noch lebe und sich bis zu einer bestimmten Frist melden würde, ihr zwei Drittel der Hinterlassenschaft auszuliefern seien, wenn sie unvermählt geblieben, dagegen das Ganze, wenn sie sich vermählt und Nachkommenschaft habe.

Wiederum dieser Nachkommenschaft ein Drittel, wenn sie selbst inzwischen gestorben wäre. Der Rest im ersten Falle sollte für bestimmte wohlthätige Stiftungen verwandt werden, und das Ganze, falls keiner jener Fälle eintrete; also, wenn weder sie – sei es nun mit, sei es ohne Nachkommenschaft – noch betreffende Nachkommen ohne sie als Erben bis zu jener Frist ihre Ansprüche geltend machten. Dieses seltsame Testament war nach dem Willen des Testators in allen Hauptzeitungen der Erde, wenigstens der Hauptsache nach, veröffentlicht worden, und es währte denn in der That auch nur wenige Wochen, als bereits – nun rathen Sie einmal!“

„Sich die Erbin meldete?“ sagte ich auf gut Glück.

„Bravo! aber nun: mit oder ohne Nachkommen?“

„Im Interesse meiner Nonnendorfer Freunde hoffe ich das Letztere,“ erwiderte ich. „So bleibt für sie doch die Aussicht, wenn nicht auf einen reichen Onkel, so doch auf eine reiche Tante aus Amerika.“

„Nun, die haben sie freilich,“ sagte der Herzog. „Es hat allerdings vorher noch einen scharfen Rechtshandel gegeben, da man die Reklamautin natürlich nicht ohne Weiteres als legitimirt gelten lassen wollte. Aber sie muß doch ihre Identität überzeugend nachgewiesen, oder, was auf dasselbe herauskommt, sehr gute Rechtsbeistände gehabt haben – jedenfalls haben ihr die zuständigen zwei Drittel, die nebenbei noch immer die erfreuliche Summe von fünf oder sechs Millionen Dollars betragen, ausgeliefert werden müssen. Nun, was sagen Sie?“

„Daß Hoheit die Geschichte, wie alle, die ich von Hoheit noch zu hören bekommen, meisterhaft erzählt haben.“

„Danke unterthänigst. Aber ist das Alles?“

Der Herzog blickte mich so gespannt an – mit Augen, die wieder einmal den starren gläsernen Glanz hatten.

„Was können Hoheit sonst noch meinen?“ fragte ich verwundert.

„Ist Ihnen denn bei der Geschichte wirklich nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen, daß die Heldin derselben – Ihre Mutter sein könnte?“

„Hoheit belieben zu scherzen.“

„Ganz und gar nicht. Sie haben mir mitgetheilt, was Ihnen Ihr Adoptiv-Vater gelegentlich von dem Vorleben Ihrer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_335.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2019)