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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

dem erhöhten Standpunkte aus den geraden Pfad sehen, den Wir hätten gehen müssen? Und auch gehen können? O ja, wenn wir eben nicht jung gewesen wären! Und den wir wahrscheinlich schon um deßhalb nicht gehen durften, weil wir sonst alle die Erfahrungen nicht gesammelt hätten, von deren Höhe wir mit so weisem Kopfschütteln auf jene Irrgänge herabblicken, in welchen die Dornen uns so tiefe Wunden rissen, daß uns die Narben bei bösem Gemüthswetter noch heute schmerzen. Und in denen so viel blaue Wunderblumen blühten, die das dankbare Herz nicht vergißt und nie vergessen kann, weil ihr Duft geblieben ist und uns noch heute in der Erinnerung berauscht!

Nein, gute, herzige Adele, meine Liebe zu Dir war keine geschminkte Lüge! Was Du darin gefehlt hast, Du hast es gut gemeint, und es kann Dir daraus kein Vorwurf gemacht werden, daß Du in der sicheren Reinheit Deiner Liebe die Gefahr nicht sahst, in welcher der Unwissende von Anfang an schwebte und in die er sich so fürchterlich verstricken mußte. Und mein Fehl – vielleicht soll die Moral es mit gewissen Dingen nicht schwerer nehmen, als es die Natur zu thun scheint; ich meine, uns nicht mit der Verantwortung für etwas belasten, das erst zum Verbrechen wird, wenn die Binde fällt, mit der die Natur, als sie uns in das Leben entließ, unsere Augen umhüllte.

Dennoch fehlte es mir an Warnungen nicht, die meine Leidenschaft hätten stutzig machen sollen; aber ich kann der Natur nicht die Ehre geben, daß sie es gewesen wäre, von der die Warnungen ausgingen.

Ich hatte Adele in letzter Zeit wiederholt weniger heiter gefunden, als sonst immer; dann hatten sich diese ernsten Stimmungen vertieft und waren häufiger aufgetreten; zuletzt kamen ganze Tage, in denen ich kaum einmal das alte liebe, herzige Lachen von ihren Lippen hörte. Ich drang geraume Zeit vergeblich in sie, mir zu sagen, was es sei. Aber endlich hatte ich sie einmal in Thränen gefunden und der Anblick mich so außer mir gebracht, daß sie, um mich nur zu beruhigen, halb wider Willen, wie mir schien, meinem Drängen nachgab. Sie wollte sich von ihrem Gatten scheiden lassen. Mit dem Gedanken hatte sie sich schon längst getragen; es waren auch bereits einleitende Schritte geschehen, denen sie aber keine Folge geben konnte, weil sie sich die Freiheit mit der Hingabe ihres ganzen mütterlichen Vermögens erkaufen sollte. Der Mann, dessen Namen sie führte, wollte es billiger nicht thun. Dann aber wäre ihr nur geblieben, was sie der Güte des Herzogs verdankte: die Villa und was er ihr sonst im Laufe der Jahre geschenkt – genug, daß sie damit standesgemäß hätte weiter leben können – in der Möglichkeit der Ungnade des Herzogs. Vielmehr in der Gewißheit dieser Ungnade. Der Heyog hatte sich dem Scheidungsprojckt gegenüber schwankend gezeigt, indem er anfangs nichts davon hören wollte, dann eine halbe Einwilligung gab, die er heute Vormittag, als sie aus endliche Entscheidung gedrungen, ganz zurückgezogen hatte. Das war der Grund ihrer Thränen gewesen, die nun reichlich wieder hervorbrachen, als sie mir am Abend im Wäldchen, wo unsere erste denkwürdige Unterredung stattgefunden und das seitdem mein Lieblingsplatz geblieben war, diese Mittheilungen machte. Wir saßen neben einander auf der Bank. Ihr schönes Haupt war auf meine Schulter gesunken; ich hatte den Arm um ihren Leib gelegt, bebend vor Wonne und doch nicht wagend, sie fester an mein pochendes Herz zu ziehen, in dem bitteren Gefühl, daß es nicht Liebe sei, was mir diese Gunst gewährte, nur der Schmerz, der bei mir, wenn nicht Hilfe, so doch Trost suchte. So bemühte ich mich denn, die Weinende zu trösten: der Herzog werde nicht unerbittlich sein; was sie bitte, sei ja doch nur ihr gutes Recht, das ihr der Herzog uni so weniger vorenthalten könne, als gerade er es gewesen, der sie, die Unschuldige, Unerfahrene, von jedem Rath, jeder Fürsorge Anderer Verlassene, durch seine Autorität, durch seinen Machtspruch in diese unerträgliche Lage getrieben habe.

„Das ist es ja eben,“ sagte sie, ihren Kopf von meiner Schulter hebend und sich die Thränen trocknend. „Er sieht nichts Unerträgliches in meiner Lage. Er begreift nicht, weßhalb ich nicht so weiter leben könne, leben wolle, wie bisher. Ich habe ihm erwidert, das Märchen, daß Trümmnau seiner Gesundheit wegen jahraus jahrein in Monaco spielen müsse – denn weiter thut er da unten nichts – könne doch nicht ewig aufrecht erhalten werden. Er müsse doch einmal zurückkommen, und was dann? – ,Dann ist es so wie früher,’ erwiderte er; ,ihr lebt eben so neben einander.’ – Nein, sage ich, es ist nicht so wie früher, denn ich bin nicht mehr, wie ich früher war. Wenn ich jenes gräßliche Nebeneinanderhergehen damals ertrug – heute, nachdem ich jahrelang unbehelligt habe leben dürfen, heute, nachdem ich über so Manches anders denke, als ich damals gedacht habe, ertrüge ich nicht mehr, was ich jetzt als Unanständigkeit und eine Schmach empfinde.“

„Hast Du ihm das gesagt?“ rief ich.

„Ja,“ erwiderte sie nach einigem Zögern.

„Und er will Dich dennoch zu dieser Schmach zwingen?“

„Er hat die Achseln gezuckt und gesagt, die Sache sei nicht so schlimm, wie ich sie mache, und wenn da wirklich ein Opfer von meiner Seite zu bringen wäre, so glaube er, dies Opfer beanspruchen zu dürfen.“

„Aber das ist ja doch die abscheulichste Tyrannei,“ rief ich empört, „und einen Menschen zu tyrannisiren, dazu hat Keiner das Recht, er sei auch, wer er sei, und stehe zu dem Menschen in einem Verhältnisse, in welchem er wolle. Dann freilich bleibt Dir nichts übrig, als der Gewalt mit Gewalt zu trotzen. Du bist sein Sklave nicht. Wenn er Dir das Recht eines freien Menschen verweigert, so holst Du es Dir an einer anderen Stelle – sein Herzogthum ist Gott sei Dank nicht Deutschland.

Und wenn Du dies Alles hier zurücklassen und mittellos in die Fremde gehen müßtest, ich gehe mit Dir, und wäre es bis ans Ende der Welt. Ich will für Dich arbeiten, daß mir das Blut aus den Nägeln spritzt: ich will für Dich betteln, wenn es sein muß.“

„Und stehlen und morden, nicht wahr? Du Wilder, Du – lieber Kerl!“

Sie hatte mir beide Hände auf die Schulter gelegt, mich, durch Thränen lächelnd, anblickend, und so gab sie mir einen herzlichen Kuß. Ich taumelte von meinem Sitze auf. Sie war zu gleicher Zeit aufgestanden und sagte, meinen Arm nehmend:

„Komm! laß uns ein wenig promeniren! Wir haben uns da beide in eine Aufregung hineingespr[o]chen, welche die Sache am Ende wirklich nicht verdient. Denn darin muß ich ja dem Herzog Recht geben: so eilig ist es nicht. Wenigstens amüsirt sich Trümmnau vorläufig noch ganz gut in Monte Carlo und wird sich auch weiter amüsircn, vorausgesetzt, daß der Herzog fortfährt, ihm seine Spielverluste zu decken. Manchmal wünsche ich freilich, Trümmnau’s Ansprüche steigerten sich derart, daß sie der Herzog beim besten Willen nicht mehr befriedigen kann, und es dann, so oder so, zur Entscheidung kommt. Daß sich der Herzog in der letzten Stunde gegen mich entscheiden sollte, kann ich mir nicht denken. Dazu ist er zu gutmüthig und hat mich auch viel zu lieb.“

So sprach sie, schon wieder in dem alten herzigen Plauderton; ich hörte stumm und verdrossen zu. Wenn die Sache so stand, wenn sie sicher war, daß der Herzog, mochte er sich jetzt noch so sehr sträuben, zuletzt nicht Nein sagen werde, weßhalb dann diese Sorge und Angst? weßhalb dann diese Verzweiflung, diese heißen an meiner Brust vergossenen Thränen? Auch sonst hatte der Herzog so Unrecht nicht: sie konnte warten, bis der Herr Gemahl da unten rebellisch wurde. Es hatte ja gar nicht den Anschein – sie gab es ja selbst zu – daß das so bald eintreten würde. Und wenn es eintrat und er zurückkam: seine Zimmer in dem großen Hause standen immer unbenutzt: sie betrat dieselben nie; sie brauchte sie auch hernach nicht zu betreten. Sie mochten so „neben einander hinleben“, wie der Herzog sagte: was ging ihr dabei an ihrer Freiheit verloren? Und was an Freiheit sie bei der Scheidung gewinnen mochte, wem immer es zu Gute kam – ich war es sicher nicht. Wäre ich unsinnig genug gewesen, je daran zu zweifeln, der Kuß vorhin hätte mich eines Anderen belehren müssen. Ich hatte keine Erfahrung in diesen Dingen, bedurfte derselben aber auch nicht. Ich wußte, wie sie mich geküßt hatte, und wie ich sie geküßt haben würde, hätte ich gedurft.

„Und dazu kannst Du mehr, als irgend ein Anderer,“

sagte sie.

„Wozu?“

„Du bist verzweifelt unaufmerksam: den Herzog umzustimmen.

Du darfst ihm jetzt schon sagen, was ihm Keiner sogst sagen darf. Und diese Deine Macht über – Dein Einfluß, wenn Dir das besser klingt, auf ihn, muß immer noch wachsen. Ja, ich

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