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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Sie mit ihren vierundzwanzig Jahren!

Und mit denen sie mich doch und mit ihrer Frauenwürde und ihrer gesellschaftlichen Stellung in Schranken hielt, die ich nach kurzer Zeit nicht mit einem Wort, einer Gebärde, einem Blick zu überschreiten wagte. Hätte ich mich doch lieber in mir selbst verzehrt, als sie erzürnt! Und was die Furcht nicht that, mich vor jeder Unbedachtsamkeit zu bewahren, durch die ich ihre Gunst verscherzt, die mich wohl gar aus der geliebten Nähe verbannt hätte, das bewirkte jene schwärmerische Anbetung, die dem begehrlichen Manne lächerlich erscheint, und die dem Jüngling, wenn er wahrhaft liebt, so natürlich, so selbstverständlich ist.

Ich durfte ihr die Hand küssen, wenn ich kam und ging - das war Alles, und hatten meine Lippen eine Sekunde länger verweilt, als ihnen erlaubt war., ging auch dies „Alles" verloren, und ich konnte sicher sein, auf Tage nicht einmal die Spitzen ihrer Finger berühren zu dürfen. So war ich denn klug und weise, mich begnügend mit dem, was mir blieb. Und das ja so viel war, daß mich die Emgel in himmlischer Höhe darum hätten beneiden müssen: ihr süßer Anblirk, ihr silberhelles Lachen, ihr holdes Geplauder und der beschämende Triumph, in allem Anderen von ihr gehalten und behandelt zu werden wie ein Bruder von einer Schwester, die, wie sie sein volles Bertrauen hat, so ihn ihr Vertrauen rückhaltlos schenkt.

Ich meinte, sie könne nichts mehr vor mir zurückbehalten haben. Daß sie des Herzogs Tochter sei, hatte sie mir freilich nie in direkten Worten gesagt, und ich glaube bestimmt, für diesen einen Punkt versiegelte ihren Mund ein Eid, den sie sich selbst gegeben oder der Herzog ihr abgenommen hatte. Dafür nahm sie aber an, wie mir aus tausend Anspielungen und Wendungen zweifellos hervorging, daß mir das Geheimniß so gut bekannt sei, wie jedem, der am Hofe verkehrte, und vermutlich auch der ganzen Stadt, womöglich dem ganzen Ländchen.

Und es währte nicht lange, so hatte ich auch von ihr selbst die traurige Geschichte ihrer Ehe erfahren, in der ich sie freilich in meinem Gewissen nicht von aller Schuld freisprechen konnte, und hätte dieselbe auch nur in einem Uebermaß von kindlichem Gehorsam bestanden.

Ihr Gatte war dreißig Jahre älter als sie. Sie hatte ihn, wie sie selbst zugeben mußte, nie geliebt, nie einen Augenblick auch nur die Illusion der Liebe für ihn gehabt. Er war auch, was ich durch mein Allerweltsorakel wußte, einer edleren Liebe so wenig fähig wie werth gewesen: ein völlig blasirter Roué von dem Schlage des Kammerherrn von Trechow, des windigen Genossen seines wüsten Lebens, dessen schale Neige er einem in der herrlichsten Blüthe der Schönheit und Jugend prangenden Mädchen anzubieten wagte. Und das Mädchen hatte den traurigen Freier annehmen können! Wie war das möglich gewesen?

„Mein Gott," sagte Adele in einer jener Stunden, in denen sie mit mir sprach, wie mit sich selbst; „ich gebe zu, es würde mir heute nicht so leicht geworden sein; ich würde vielleicht - gut! wenn Du willst, ich würde bestimmt Nein sagen. Aber damals! lieber Himmel, mit meinen siebzehn Jahren! Was wußte ich von der Welt! was hatte ich vom Leben gesehen in meiner Pension, in die ich noch als halbes Kind gekommen, und die ich nur verließ, um zu heirathen! Ein Glück erwartete ich von der Ehe nicht. Nach den dunklen Andeutungen unserer Stiftsdamen - meine Pension war nämlich ein adeliges Frauleinstift - so eine Art Kloster - mußte ich die Ehe für ein Martyrium halten, das man lieber nicht auf sich nimmt, oder doch nur auf sich nehmen kann in der Zuversicht, sich schneller der himmlischen Freuden würdig zu machen, nachdem man den Jammer und das Elend des Lebens so recht gründlich ausgekostet. Und schien doch, was ich von Ehen hörte oder wußte, diese trübselige Ansicht zu bestätigen. Die herzogliche Ehe sollte eine glücklose sein; und meine Mutter, die nach wenigen Jahren von ihrem Gatten geschieden und deren einziges Kind ich war, hatte ich nie lachen, aber desto öfter weinen sehen. In unserm Kloster war es nicht gerade amüsant, aber doch ein vergnügliches Dasein im Vergleich mit meinen trübseligen Kinderjahren bei der melancholischen Mutter auf unserem einsamen Landgute. Dann starb die Mutter, der ich mehr als halb entfremdet war; ihren Gatten, der sich längst wieder verheiratet - glücklicherweise weit von hier - hatte ich meines Wissens nie zu Gesicht bekommen. Mit den eigenen Verwandten war meine Mutter zerfallen; Niemand kümmerte sich um mich, Niemand nahm sich meiner an, als der Herzog. Nun, er wünschte mich in seiner Nähe; er wünschte, daß ich Herrn von Trümmnau heiratete, und so habe ich ihn geheiratet."

Das war eine lange Erklärung, durch die für mich nichts klar wurde, als daß der Herzog das Glück seines Kindes, nachdem er den Frieden des Hauses, welches ihr Elternhaus hätte sein sollen, zerstört, seinem eigenen Interesse rücksichtslos geopfert hatte. Dann freilich hatte er sie nicht ganz „in seiner Nähe", ganz für sich, die schöne liebenswürdige Tochter, die in der prächtigen Villa, welche er ihr geschenkt, nur für ihn blühte, während ihr alternder Gatte an fremden Höfen die nutzlosen Tage und Jahre verzettelte und jetzt bereits seit Jahr und Tag bald hier bald da im Süden lebte, „die angegriffene Gesundheit womöglich zu kräftigen".

„Ich weiß nicht, was Du willst," sagte Adele, wenn sie mir wieder einmal solche Gedanken, die ich nicht äußern durfte, von der Stirn gelesen; „mehr als glücklich kann man doch nicht sein, und ich bin es ja in einem Maße, daß ich den lieben Gott alle Morgen bitte, er möge ein Auge zudrücken und mich kleinen Nestvogel in seiner Gnade so ruhig weiter singen und flattern lassen. Nun hat er mir noch in meine fröhliche Einsamkeit einen jungen Freund geschenkt, der mir den Bruder ersetzt, nach dem ich mich all mein Leben lang schmerzlich gesehnt habe und der wirklich ein lieber prächtiger Junge und so recht nach meinem Herzen ist, wenn er nur das abscheuliche melancholische Wesen lassen wollte, das ihn immer zur Unzeit und am unrechten Orte befällt, - nämlich in meiner Gegenwart, während er in der Gesellschaft seiner Herren Freunde, höre ich, ein sehr munterer und ausgelassener Kamerad sein soll, der so leicht kein Spiel verdirbt. Da sehe ich doch wahrhaftig nicht ein, weßhalb er mir just mein harmloses verderben muß."

War ihr Spiel wirklich so harmlos? Die Quelle ihrer Fröhlichkeit und was den kleinen Nestvogel, wie sie sich nannte, so aus voller Lust erquicklich singen und so lustig flattern machte, war es wirklich nur ihr angeborenes lebenskräftiges Temperament? ich hätte nicht in den jahren stehen müssen, wo Man gewohnt ist, alles Glück und Leid der Welt nach dem Stande seiner eigenen Herzensangelegenheiten zu bemessen, und mein Herz hätte nicht so tief getroffen sein dürfen, wollte sie, daß ich mich dabei beruhigte und nicht vielmehr ruhelos nach der wahren verborgenen Quelle ihres Glücks spähte, die doch keine andere sein konnte als die Liebe; in diesem Falle eben eine der Gegenliebe gewisse Liebe. Aber umsonst zermarterte ich mich in spürender Eifersucht. In ihrer Umgebung war Niemand, den ich mit meinem Verdachte auch nur im Vorübergehen hätte beehren können. Dann wurde mir wohl ein Herr von Pahlen genannt, ein russischer Officier, der in irgend einer diplomatischen Mission vor vier Jahren sich mehrere Wochen an unserem Hofe aufgehalten hatte und von ihr ausgezeichnet sein sollte. Aber selbst die Nachrichten meines allwissenden Mentors über diesen verdächtigen Punkt lauteten sehr unbestimmt, und wenn ich, was ich nicht unterließ, bei einer schicklichen Gelegenheit ihr gegenüber des genannten Herrn (von dessen Liebenswürdigkeit ich Wunderdinge gehört!) erwähnte, nahm sie das so unbefangen auf, wußte von dem famosen Russen noch ein paar harmlose Geschichten so harmlos zu erzählen - nein, der Russe war es sicher nicht. Ich mußte schon die Stunde abwarten, die mir das Räthsel löste.

Als ob das Schicksal nicht beschlossen hätte, daß mir diese Stude nur zu bald kommen sollte! Als ob nicht vorauszusehen gewesen wäre, daß diese Stunde die letzte meines eigenen Glückes sein mußte - alles dessen, was ich für beseligende Wirklichkeit nahm und das doch nichts war - für mich nichts war und nichts sein konnte, als eine geschminkte Lüge und ein eitler Traum!

6.

Aber heißt, so hart aburteilen über diese Phase meines Lebens , nicht, das Kind mit dem Bade ausschütten? Sind die Irrgänge der Jugend Irrgänge für die Jugend selbst, oder nicht

vielmehr für uns, die wir die Jugend hinter uns haben und von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_319.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2019)