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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Die Frage der Tante, ob die Jalousien in ihrem Zimmer geöffnet seien, kam ihr zu Hilfe. Sie eilte hinaus, um sich wieder zu fassen.

Georg sah ihr schelmisch lächelnd nach.

Frau von Blachrieth entriß ihn seinen angenehmen Gedanken.

„Sie könnten mich zu tiefem Danke verpflichten,“ sagte sie mit der sanften Würde, die ihr zu Gebote stand, „wenn Sie Ihren Einfluß auf Heino dazu verwenden wollten, ihn zu Ihren Ansichten zu bekehren. Unser Familienprojekt ist Ihnen bei Ihrer Intimität mit Heino wohl nicht verborgen geblieben. Die Beiden ergänzen sich auf das Glücklichste. Hedwig hat die Stätigkeit, den praktischen Sinn, welche Heino’s geniale Begabung ausschließt; sie besitzt so viele Kenntnisse von der Landwirthschaft, in der sie aufgewachsen ist, um ihrem Gatten die Last der täglichen Arbeit abnehmen zu können, wenn sein Genius die Flügel regt. Und sie erhält einen in jeder Hinsicht ausgezeichneten Mann zum Lebensgefährten und einen würdigen Wirkungskreis, wo sie als Frau ihre Bestimmung erfüllen kann. Selbst Alter und Namen fügen sich passend zu einander, als wäre diese Ehe im Himmel beschlossen. Es steht nichts im Wege als meines Sohnes ungestümer Freiheitsdrang, Wenn Sie also Heino ein wenig ins Gewissen reden und ihn auf Hedwig’s Vorzüge aufmerksam machen wollten, würden Sie mir, meinem Bruder, uns Allen einem wahren Liebesdienst erweisen.“

Der arme Georg saß ihr gegenüber wie aus dem Himmel gefallen. Er war so zuversichtlich auf sein Ziel los marschirt, daß ihn das Hinderniß, welches Frau von Blachrieth enthüllte, vollständig aus der Fassung brachte. Jetzt fiel ihm freilich Heino’s geheimnißvolles Lächeln ein, als dieser erzählte, daß er von seiner Mutter hierher geführt worden sei. Hedwig’s Entwischen deutete er als Ausweichen; die Betonung der harmonisch klingenden adeligen Namen stieß ihn vor den Kopf. Er hätte aus der Haut fahren mögen.

Verletzt und beschämt erhob er sich und griff nach dem Hut.

„Ich werde das Mögliche thun,“ erwiderte er mit gepreßter Stimme, indem er einen verzweifelten Nachdruck auf ‚das Mögliche‘ legte. Der wieder eintretenden Hedwig machte er eine so gemessene Verbeugung und sah dabei so blaß und verstört aus, daß diese ganz versteinert stehen blieb und sprachlos ihm nachschaute, als er eilig davon schritt.

„Was hatte der Hauptmann?“ fragte sie bestürzt. „Er war so sonderbar gegen mich, als er ging.“

„Was sollte er haben?“ erwiderte die Tante. „Gewöhne Dir die übertriebene Empfindlichkeit ab, liebes Kind. Nichts ist den Männern lästiger als ein fortwährendes Uebelnehmen.“

Lauter Lärm vor den Fenstern unterbrach das Gespräch. Hedwig benutzte die Gelegenheit, um die Stirn an die Scheiben zu drücken und nach dem Hauptmann, der davon gestürmt war, auszuspähen. Aber er war bereits verschwunden.

(Fortsetzung folgt.)




Bilder von der Ostseeküste.

Danzig.
Von Fritz Wernick.0 Mit Originalzeichnungen von Robert Aßmus.
(Schluß.)


Rekognoscirender Schwede vor Danzig.

Die Wandlungen neuer Zeit sind an Danzig nicht spurlos vorübergegangen; aus Rücksichten der Gesundheitspflege und des Verkehrs ist vieles Schöne zerstört worden, Vieles der Nüchternheit vergangener Jahrzehnte zum Opfer gefallen. Andererseits sind würdige Baudenkmäler, die bisher in Schutt und Trümmern gelegen, in ursprünglicher Schönheit wieder hergestellt worden. Die prachtvollen Rathsstuben des alten Rathhauses, die gothischen Wölbungen einiger Gemächer stehen jetzt wieder in früherer Schönheit da, Thore sind freigelegt, Thürme von den angeklebten Schmarotzerbauten befreit, und auch das neu erstandene Landeshaus fesselt den Blick des Wanderers. Aber Danzig ist auch eine gesunde Stadt geworden. Unsere Altvordern haben sich wenig gekümmert um reine Luft, gutes Wasser, um die Hauptbedingungen eines gesunden Lebens. Aus versumpften Kanälen qualmten giftige Fieberdünste auf; das beste Trinkwasser der Stadt sickerte durch ein Leichenfeld, in den engen, tiefen Häusern herrschte dumpfe Kellerluft.

Diese Uebelstände sind durch die großartigen Reformen der letzten Jahrzehnte zwar beseitigt, von jener früheren Zeit aber hat sich die feste Gewohnheit erhalten, den Sommer draußen im Freien zu verleben. Von allen malerisch und architektonisch interessanten altdeutschen Städten ist keine andere von so herrlicher Landschaft umgeben wie Danzig. Ein Höhenzug, der den Lauf der Weichsel westlich begleitet, schmiegt sich weit hinaus an das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_312.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)