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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Und Frau von Giera rückte ihr großes schwarzes Kreuz, das sie auf der Brust trug, in das rechte Licht, Ravensburgk sah spöttisch von Einer zur Andern, „Wie weit sind Sie mit Ihren rothen Strümpfchen für die Mohrchen, Gräfin?“ fragte er die Komtesse Schwuggensee, welche in größerer Gesellschaft stets für den Missionsverein arbeitete.

„Ich finde es sehr ungehörig, daß über so ernste Dinge gescherzt wird,“ verwies die Komtesse.

„Gnädige Gräfin, fürchten Sie nicht, daß ich einen Faux-Pas begehe,“ erwiderte Ravensburgk höhnisch, „Sicheren Anzeichen nach hat die Frömmigkeit diesmal ihren Höhepunkt überschritten. Die Gesellschaft wird nächstens ein anderes Steckenpferd reiten, und die armen Kerlchen werden in ihrem heißen Klima wieder barfuß gehen dürfen.“

„Warum gefallen mir nur die Pietisten in der Gemeine, während die, welche in der Welt dieselbe Glaubensrichtung zur Schau tragen, mich anwidern?“ fragte Leonore.

Der alte Präsident hatte ihre Worte gehört. „Weil nicht umsonst geschrieben steht: ‚Wenn du betest, gehe in dein Kämmerlein‘,“ erwiderte er in gedämpftem Tone.

„Es ist der Kontrast mit Ihrem alltäglichen glänzenden Weltleben, der Sie angezogen hat,“ sagte Pölz.

„Das erste Symptom der Bußfertigkeit ist’s,“ lachte Ravensburgk. „Es zeigt sich etwas früh, aber das ist egal: einmal kommt’s!“

Es wurde Zeit zum Aufbruch.

Hcino zog seine Brieftasche, um die Rechnung zu berichtigen, und dabei flatterte ein zusammengefaltetes Billet zur Erde.

Ravensburgk lugte mit seinem eingeklemmten Glas darauf nieder. Als er das Wappenzeichen im Siegel erblickte, hob er es rasch auf und gab es Heino zurück. „Ein theures Andenken,“ sagte er leichthin, aber mit forschendem Blick.

Hcino nahm es zerstreut an sich. „Das Billet wurde mir heute überbracht, als ich mich zur Gesellschaft begab. Meine Kousine schrieb mir die zwei Zeilen, um ein Mißverständniß zwischen Mama und mir aufzuklären.“

Ravensburgk’s „Aha“ drückte deutlich aus, daß er Mißverständnisse sehr begreiflich finde.

Leonore hatte aufgehorcht. „Ist Ihre Frau Mutter mit in Jungbrunnen?“ fragte sie, und es lag wie Beklommenheit in ihrer Stimme.

In Heino’s Wangen schoß eine Röthe, und Ravensburgk antwortete mit fester Betonung: „Seine Mutter und seine Kousine.“

Leonore wechselte die Farbe. „Ist Ihre Kousine schön? geistreich?“ fragte sie gespannt.

„Schön ist sie eigentlich nicht,“ erwiderte Heino nachlässig.

Aber Ravensburgk unterbrach ihn: „Eine große Schönheit ist Fräulein von Grundleben allerdings nicht, und auch kein geniales Weib,“ sprach er, diesmal in ernstem warmen Tone. „In ihrer äußeren Erscheinung ist sie ein holdes Mädchen, ihrem inneren Wesen nach eine starke Frau. Verschlossen und zart wie eine Knospe und doch fest und durchsichtig wie ein Krystall.“

Heino nickte lächelnd. „Sie und Hedwig verstehen sich vortrefflich zu charakterisiren.“

Ravensburgk horchte auf. „Hat mich Fräulein von Grundleben charakterisirt?“

Heino hörte nicht auf ihn. Sein Blick hing an Leonoren, die sichtlich betroffen vor sich hinstarrte. Er sagte sich, daß sie die Zurückgezogenheit seiner Familie ihr gegenüber peinlich empfand.

Als Ravensburgk noch einmal dringend fragte: „Was hat Fräulein von Grundleben von mir gesagt? Bitte, genieren Sie sich nicht,“ wurde Heino ungeduldig und erwiderte rücksichtslos: „Ach, es ist nicht der Rede werth. Hedwig sagte, Sie erschienen ihr wie eine Harfe mit verstimmten und zerrissenen Saiten; die aber, welche noch anklängen, legten Zeugniß ab, welch schöner Töne sie ursprünglich mächtig gewesen sei.“

Ravensburgk hielt die Augen nachdenklich auf den Becher in seiner Hand gesenkt.

„Nun, welche tiefsinnige Betrachtungen stellen Sie über die Bowle an?“ fragte Pölz hinzutretend.

„Traubenblüthen in den Wein gemischt, Frühling und Herbst in einer Person,“ antwortete er; „das Bild eines gereiften Mannes, der den dummen Streich macht, sich noch einmal zu verlieben.“ Er lachte dumpf und trank das Glas aus.

Gleich den Zugvögeln, die an die Abreise denken, zog die Gesellschaft sich in immer engeren Kreisen zusammen; die Eselsbuben führten ihre Grauthiere heran, die Reitknechte nahten mit den Pferden, die Wagen rollten herbei.

Die Gesellschaft verließ mit wehenden Locken und Schärpen unter Geplauder und Gelächter den Ort.

Leonore brach aus dem Getümmel hervor. Ihre Augen schienen Funken zu sprühen; ein finsteres Fältchen lag zwischen den Brauen und gab ihr einen Ausdruck rücksichtsloser Entschlossenheit.

„Nun aber einen lustigen Ritt,“ rief sie, ihr Pferd antreibend.

Das schöne Thier ging in Galopp über. Die weiße Mähne flatterte mit den weißen Federn auf Leonorens Hut um die Wette. Lachend sah sie zu Heino zurück, mit dem Blick ihn sich nach ziehend. Seite an Seite flog das Paar davon.

Sie jagten an der Rückseite der Gärten vorüber, auch an dem, in welchem die Heimgegangenen schliefen, und dem anderen, in dem die feierlichen Lilien leise im Abendwind schwankten.

Mit einem einzigen scheuen Blick sah Leonore zwischen den Blüthenstengeln eine hohe schwarze Gestalt stehen. Mitten im wilden Dahinbrausen war es, als beuge sie etwas plötzlich nieder. Es war nicht der ihr eigene graziöse Gruß; sie bückte sich, wie Kinder beim Betreten der Kirche thun.

Aber da lag das stille Bild schon hinter ihr.

Und nun fuhr plötzlich die Reitgerte durch die Luft. Das feurige Thier bäumte auf und stürmte dann in rasender Karriere fort, Heino neben ihr, – eine wilde Jagd nach dem Glück.

Johannes sah ihr nach. „Ist’s eine Versuchung oder eine Mission, die da an mich herantritt?“ fragte er sich.

Der Abendwind strich vorüber, die Schwingen beschwert von Blüthenduft. Er schien zu flüstern: „Genieße, genieße; jetzt ist die schöne Sommerzeit!“

Die weißen Steine, die hinter den grünen Ranken schimmerten, schienen zu mahnen: „Bald ist die kurze Spanne Zeit vorbei, und Du liegst still im dunklen Grabe, und der Traum des Lebens ist ausgeträumt.“ Eine tiefe Sehnsucht erfaßte ihn wie alle Kinder der alten Mutter Erde in dieser Zeit und diesen Dämmerstunden, in denen sie mit ihrer ganzen Kraft die ihr Entstammten an ihr Herz zieht.

Stille Sammlung bei ernster Lektüre mußte die Seele wieder in ihr ruhiges Gleichgewicht bringen.

Er ging nach der Jelängerjelieberlaube, wo sein Buch noch lag.

Gleich einem Mönchsgewand trug es einen schwarzen Einband. Der Thomas a Kempis war es, der mit seiner gesunden Weisheit allezeit den Nagel auf den Kopf traf, wie es seinem wirklichen Namen „Hämmerlein“ entsprach.

Als Johannes es aufschlug, las er: „So oft ich unter Menschen gewesen bin, war ich weniger Mensch, als ich heim kam.“ Und dann folgte der Seufzer: „Nirgends habe ich Frieden gefunden denn in Hoekens und Boekens,“ d. h. in Wäldern und Büchern.

Er steckte den Rathgeber in die Tasche, nahm den breitrandigen schwarzen Hut, wie ihn die Presbyter tragen, und schritt hinaus den waldigen Höhen zu, die sich allmählich in die Schleier der Dämmerung hüllten.

Immer empfahl der alte Weise Einsamkeit; er war der echte Mönch.

Aber es durfte doch nicht die höchste Aufgabe des Menschen sein, sich selbst in eine ruhige reine Höhe zurückzuziehen, unbekümmert darum, ob neben ihm seine Brüder und Schwestern in den Stürmen des Lebens untergingen! Er war doch berufen zu warnen, zu lehren, zu retten!

Und dennoch! Konnte der heiße Wunsch, diese eine Seele gerade dem Untergang zu entreißen, nicht eben die Versuchung sein, welche im Gewand einer Mission an ihn herantrat?

Auf der Straße, welche er ging, war auch das Weltkind dahin gejagt. Er sah die Hufspuren im Staube eingedrückt. Er, der in der Wildniß daran sich gewöhnt hatte, auf diese Zeichen zu achten, meinte die feine Spur des arabischen Rosses zu erkennen. Da war sie geritten, und daneben der schöne junge Mann.

Er hatte die Sprache verstanden, welche die beiden leuchtenden Augenpaare mit einander redeten, während sie in wildem Fluge an ihm vorüber sausten.

Nein. Er wollte diesen Weg nicht weiter gehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_310.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2021)