Seite:Die Gartenlaube (1886) 309.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

No. 18.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 21/2 Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Lora-Nixe.
Novelle von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Als der Gottesdienst zu Ende war und die Gemeine sich entfernte, schloß sich Leonore dem alten Mädchen an.

„Am großen Scheidewege trafen wir heute mit Ihnen zusammen,“ sagte sie. „Sind Sie um des Festes willen hierher gekommen?“

Die Andere verneinte die Frage. „Ich war bis jetzt in England,“ entgegnete sie, „und wirkte an einer gesegneten Anstalt für Erziehung der Kinder nach dem Sinne Christi. Da empfing ich die Weisung, hinfort hier zur Ausbreitung seines göttlichen Reiches thätig zu sein. Der Ruf des lieben Heilandes war mir eine doppelt frohe Botschaft. Himmelgarten ist meine irdische Heimath, und der Sohn meiner verstorbenen einzigen Schwester ist jetzt Prediger in hiesiger Gemeine. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Er war als Missionar thätig und ist nur zurückgerufen worden, um sich von schwerer Krankheit zu erholen, die das Klima von Südafrika verursacht hatte.“

„Auf so fernem und gefährlichem Posten war Bruder Johannes?“ fragte Leonore erstaunt.

Schwester Jakobine nickte. „Er hat einen weiten und mühseligen Pfad schon zurückgelegt trotz seiner Jugend. In Brasilien ist er von dem wilden Indianerstamm der Barbados in harter Gefangenschaft gehalten worden. Seine Handgelenke zeigen noch die von den Fesseln roth geriebenen Ringe. Aber Gott war bei ihm in der Noth und hat ihn seiner Bande entledigt.“ Dann empfahl sie sich.

Ravensburgk, der dazu kam, bemerkte, ihr nachschauend: „Die Verneigungen hier sind vollständig kourfähig; sie stammen jedenfalls in gerader Linie vom Grafen Zinzendorf ab.“

Der zurückkehrenden Gesellschaft trat unter der Linde Heino entgegen. „Kommen Sie endlich?“ rief er. „Meine Bowle ist längst fertig.“

„Ich denke, Sie wollten Verse machen,“ sagte Ravensburgk. „Sie zogen sich doch an den Röhrbrunnen zurück.“

„Wie kann man in Stimmung kommen, angesichts eines Fischkastens und Krebskorbes? Beides stak statt einer Nixe im Brunnentrog,“ klagte Heino. „Wo waren Sie nur so lange?“ wandte er sich mit einem Ausdruck zärtlicher Empfindlichkeit an Leonoren.

„Ja, das frage ich auch,“ sagte Frau Paloty, die ruhig auf einem der hölzernen Gartensofas saß, mit einer Handarbeit beschäftigt, welche allerhand silberne Werkzeuge in Bewegung setzte, um mehrere Fäden zu verknüpfen zu einem Zweck, der unerfindlich blieb, wenn man nicht annehmen wollte, daß ein Strick verfertigt werden sollte, um unnütze Finger damit zu peitschen.

„In Ohnmacht war Fräulein Paloty,“ erwiderte Ravensburgk an ihrer Statt.

„Der einfache Gottesdienst hat mich allerdings tief ergriffen,“ erwiderte Leonore etwas verwirrt.

„Wir lesen jeden Morgen die Losung der Brüdergemeine,“ bemerkte ein Fräulein von Gokel, welche Leonoren keinen Vorsprung lassen wollte in frommer Empfindung.

„Meine Fifi verdankt ihr feines Französisch, das ihr specieller Fall ist, der Erziehung bei den Herrnhutern,“ fügte Frau von Tromsdorf hinzu.

Das Kloster Oliva bei Danzig.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_309.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2021)