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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Dame war, uns erwartend, jetzt auf die oberste Stufe des Treppchens getreten, welches an der Schmalseite zur Veranda führte, und das Renten bereits hinaufgehüpft war, als ich am Fuße anlangte. Er küßte ihr lebhaft die Hand, was sie geschehen ließ, ohne sich zu ihm zu wenden, oder auf seine Bitte um Entschuldigung, daß er die gnädige Frau nicht sofort bemerkt habe, etwas zu erwidern. Der Blick ihrer dunklen Augen war fest auf mich gerichtet, der ich langsam die Stufen hinaufstieg, mich bereits dicht vor ihr befand und nun, da sie weder Miene noch Haltung veränderte, ein paar Stufen unter ihr stehen blieb, verlegen und verwundert über diesen Empfang, dessen ich nach dem lustig und freundlich klingenden Anrufe von vorhin nicht gewärtig war. So blickten wir uns ein paar Momente einander an, ich so regungslos wie die Dame, mit jedem Momente verlegener und verwunderter. Auf einmal war der Ausdruck des Gesichtes da vor mir verwandelt, wie wenn die Sonne über einen Garten scheint, der eben noch in ernstem Schauen lag, und die Blumen auf den Beeten erglänzen, den Rasen schimmern, die Vögel in den Bosketts singen macht. So lieblich erhellten sich die braunen Augen; so reizend spielte ein Lächeln über die rosigen Wangen, in denen zwei Grübchen sich vertieften, um die schwellenden Lippen, zwischen denen die Perlenzähne schimmerten; so freundlich klang die helle Stimme, mit der sie mich „schönstens willkommen“ hieß, indem sie mir zugleich eine kleine, weiße, reich beringte Hand reichte.

Der Uebergang war so plötzlich gewesen, daß ich meinen Gleichmuth noch keineswegs wieder erlangt hatte. Als wir bereits in dem Salon, aus dem sich die breite Fensterthür nach der Veranda öffnete, auf niedrigen Fauteuils behaglich plaudernd saßen. Renten gab in seiner Weise eine Relation unserer morgendlichen Erlebnisse, welche dadurch noch konfuser wurde, daß Frau von Trümmnau ihn alle Augenblicke lachend unterbrach. Mir blieb so glücklicher Weise die Zeit, mich in die Situation zu finden und vor Allem die reizende junge Dame – sie mochte wenig über zwanzig sein – immer wieder und mit erhöhter Lust zu betrachten. Ja, es war eine Lust; schon um der Lustigkeit willen, die ihr ganzes Wesen zu durchdringen schien, wie die Sonne einen Thautropfen, und in bunten, schimmernden, immer wechselnden und immer gleich reizenden Farben von ihr ausstrahlte. Man brauchte nicht zu wissen, worüber sie ihr kurzes silberhelles Lachen aufschlug – man mußte mit fröhlich werden. Und wenn sie nun selbst das Wort nahm und zu plaudern begann, so klang das wieder so silberhell und fröhlich, wie das Plätschern des Baches, der den Wiesenrain hinabhüpft. Zu dem freudigen Leben, das in ihr pulsirte und an dem man unwillkürlich seinen bescheiden frohen Antheil nehmen mußte, stimmte ihre Erscheinung, als sei auch sie nur ein Akkord in der fröhlichen Melodie: der Kopf nicht klein, aber von herrlich reinster Form, Hals, Hüfte, Arme bei aller augenscheinlich gesunden Kraft und Fülle von herrlichstem Ebenmaß; die ganze kaum mittelgroße Figur wohlgefügt und in allen Gliedern beisammen, daß keine Bewegung vereinzelt, sondern immer das ganze entzückende Geschöpf sich mit zu regen und zu bewegen schien, wie ein durch das Wasser gleitender Fisch.

Ich merke, daß ich, um meine Empfindung zu erläutern, aus einem Gebiete der Natur in das andere gerathe. Aesthetisch ist das wohl nicht berechtigt, aber verzeihlich für Jemand, der zu schildern versucht, was ihm in dem Augenblick als eine Offenbarung der schönen Natur, ja als die Quintessenz aller schönen Natur erschien und so in seiner dankbaren Seele geblieben ist.

Und während das in jenem Augenblick immer klarer in meiner Seele aufging und ich mich ohne Widerstand (der auch schwerlich genutzt haben würde) einem Eindrucke, wie ich ihn nie empfunden, hingab, vergaß ich darüber völlig die inhaltschwere Mittheilung, welche mir Herr von Renten beim Betreten des Gartens gemacht hatte; oder, wenn ich daran dachte, war es nur ein Ferment mehr in dem Sonderbaren, das da in meinem Herzen vorging und von mir, ohne daß ich ihm einen Namen geben konnte oder auch nur wollte, als etwas ganz einzig Köstliches empfunden wurde. Wenn sie einen Herzog zum Vater hatte, was lag daran? vor Allem, was lag mir daran, der ich gestern in dem Herzog nur den geistvollen Menschen verehrt, und heute Morgen, als sich in dem Menschen der Herzog aufreckte, nur eine Abminderung der Verehrung verspürt hatte! Und daß des Herzogs Tochter, wie ganz augenscheinlich, in der Fülle des Glückes und des Reichthums lebte, auf Höhen der Gesellschaft, in denen ich immer nur ein verflatterter Vogel sein würde – ich gönnte der Schönen, Lieben von Herzen die Sternenpracht, die ich nie begehrt hatte, und die je zu begehren mein guter Genius mich in Gnaden behüten mochte!

In solche Betrachtungen und Empfindungen war ich so versunken, daß ich verwundert aufblickte, als Renten sich plötzlich erhob. Vermuthlich hatte ich den letzten, in der That leiser geführten Theil ihrer Unterhaltung gar nicht mehr gehört, denn die schöne Frau sagte:

„Also, es bleibt dabei! Sie machen jetzt Ihre anderen Besuche, bei denen Sie unseren jungen Freund nicht brauchen, und er bleibt, wenn es ihm recht ist, so lange bei mir, bis Sie ihn wieder abzuholen kommen. Ich bitte mir aber aus, daß das nicht vor einer Stunde geschieht – wenn ich bis dahin mit den verschiedenen Anliegen, die ich an ihn habe, fertig werde.“

Mein blonder Mentor war davongetänzelt, nachdem er seiner „gnädigen Gönnerin“ ehrfurchtsvoll die Hand geküßt und mir von der Verandathür aus einen verbindlichen Gruß mit den Fingerspitzen zugeweht hatte. Ich stand noch vor meinem Stuhle; die schöne Frau, die sitzen geblieben war, spielte, in den Schoß blickend, mit ihren Ringen. Ein lebhafteres Roth, als ich es vorher bemerkt, lag auf ihren sammetnen Wangen, über welche die langen dunklen Lider fielen. Der liebliche Busen hob und senkte sich. Es mußte sie irgend etwas innerlich lebhaft beschäftigen; es war, als hätte sie meine Gegenwart gänzlich vergessen. Die Verlegenheit, welche ich glücklich überwinden zu haben glaubte, wollte sich wieder in mir regen; aber ich erschrak ernstlich, als sie, die Augen langsam aufschlagend, mich mit einem Blick ansah, dessen warme, liebevolle und doch, wie mir schien, von Wehmuth oder Trauer umflorte Herzlichkeit unmöglich mir gelten konnte. Aber wem? da doch Niemand sonst im Zimmer war? Und jetzt sahen die schönen Augen auch schon niederwärts, und sie sagte, während die Gluth auf ihren Wangen erblich, mit bebender Stimme:

„Der Herzog hat mir so viel Gutes von Ihnen gesagt, mir so viel Interessantes und Rührendes aus Ihrem Leben erzählt. Ich freue mich wirklich recht sehr, daß Sie bei uns sind.“

Ich stammelte etwas von allzu großer Güte, und daß mein Leben bis jetzt so arm und einsam gewesen sei – ich könnte nicht begreifen, wie der Herzog, wie sie selbst daran ein Interesse nehmen könnte.

Sie athmete tief auf und erhob sich plötzlich.

„Kommen Sie,“ sagte sie; „wir wollen ein wenig in den Garten gehen. Es ist da um diese Stunde so schön und es plaudert sich da so gut. Ich möchte gern mit Ihnen so recht von Herzen plaudern.“

Sie schritt mir voran durch einen zweiten Salon, der sich nach dem hinter dem Hause gelegenen Garten öffnete, welcher bedeutend größer war, als der vordere: zuerst ein offenes Rondel mit vielen schönen Blumenrabatten und einem von großen Blattpflanzen umgebenen Springbrunnen in der Mitte; dann Bosketts, durch die verschlungene Pfade zu einem Wäldchen leiteten, dessen dichtbelaubte breitkronige Bäume selbst in dieser Mittagsstunde den köstlichsten kühlsten Schatten spendeten.

Hier ließ die holde Frau meinen Arm los und bat mich, auf einem bequemen Gartenstuhle Platz zu nehmen, während sie sich mir gegenüber auf eine Bank setzte, neben der ein Tischchen mit einem Arbeitskörbchen stand, aus welchem sie eine feine Stickerei nahm.

„Es plaudert sich besser so,“ sagte sie.

Und sie begann zu plaudern, ich weiß nicht mehr recht über was, das im Grunde auch nur „Chiffons“ sein mochte, aber mir aus diesem reizenden Munde gar nicht so erschien. Und dann, ich weiß wieder nicht wie, waren wir aus der Plauderei in ein ernsthaftes Gespräch gerathen; oder vielmehr, ich war es, der eigentlich allein sprach und ihr erzählte von meinem vergangenen Leben, von dem alten Hause in der alten Stadt und dem lieben Vater und von meiner Mutter und meinen Freunden. Und wenn ich einmal aufhören wollte und meinte, das könne sie doch gar nicht interessiren, sah sie mich mit den klaren braunen Augen treuherzig an und sagte eifrig: „Doch, doch! es interessirt mich! Alles! weiter, weiter!“ Und ich erzählte weiter, weiter, so daß nach einer Stunde – es kann aber auch länger gewährt haben,

ich weiß es nicht; mir war, als träumte ich das Alles, was ich

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