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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Was will das werden?

Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)

Baron von Renten, das in Gegenwart seines Gebieters so klug schweigsame Herrchen, war mir gegenüber von einer unerschöpflichen Redseligkeit und jeden Augenblick bereit, über irgend etwas, das in seinem Bereiche lag, einen längeren Vortrag zu halten, der leider nur nie zu Ende kam. Denn da er von den vielen kleinen Dingen, mit denen er hantirte wie ein spielendes Kind, keines länger als eine Minute festhalten konnte, um sofort nach einem andern zu greifen, gerieth er immer von dem Hundertsten in das Tausendste: fing mit der Beschreibung einer von ihm verbesserten Brennscheere an und endigte bei der Schlacht von Sedan. Nicht mit einer Schilderung der Schlacht, die in weiter Ferne vergrollen mochte, während er im Vordergrunde an der Seite seines gnädigen Herrn zu Pferde auf einem Hügel hielt und seufzend seinen linken Stulpstiefel betrachtete, mit dem er, ich weiß nicht wie, in einen Morast gerathen und der in Folge dessen bis an den Rand mit einer grauen Schlammkruste bedeckt war, während der rechte „blitzblank“ geblieben – „wie ein Kanonenrohr – auf mein Wort! wie ein blitzblankes Kanonenrohr! Und dabei konnten jeden Augenblick die anderen höchsten und allerhöchsten Herrschaften kommen! Es war ridicule! Moltke, der mit seinem Stabe vorbeikam und ein paar Minuten bei uns hielt, hat so gelacht!“

Herr von Renten mußte bei dieser tragikomischen Erinnerung selbst wieder lachen, wobei er unter dem blonden, an den Ecken in die Höhe gezogenen Schnurrbärtchen zwei Reihen blendend weißer Zähne nicht ungern zeigte. Alle Rentens hatten blendend weiße Zähne, ein Spiel der Natur, das in so fern sehr scherzhaft war, als die „von Renten“ von ihren Renten eben nicht leben könnten, und Einer und der Andere für seine Zähne sozusagen nichts zu beißen habe. Aber dann hatte er, Fredo von Renten, ein Zahnpulver erfunden, ein aromatisches, alle Damen und Herren vom Hofe bedienten sich desselben, auch der Herzog! „Haben Sie seine prachtvollen Zähne nicht bewundert? Ich erinnere mich bei einer Hirschjagd im letzten Herbst – à propos! Wissen Sie, weßhalb Hoheit heute Morgen in so ungnädiger Laune war? Denn, entre nous, er war es und in einem hohen Grade. Haben Sie gesehen, wie er in den Trüffelpastetchen stocherte? Das ist immer ein schlimmes Zeichen. Gerade diese Pastetchen! Ich habe das Recept davon an die Gräfin Gernsrode geben müssen. Sie behauptet, sie würde wieder jung bei den Pastetchen! Notabene, sie kann es brauchen – entre nous! Aber Sie sagten mir noch immer nicht, ob Sie Jäger sind? Nein? schade! aber das lernt sich – bei uns! Ich gestehe, ich bin selbst kein guter Schütze. Aber Sie reiten doch? Nein? nun, Sie sind noch nicht zu alt dazu, es zu lernen. Allerdings: reiten und Billard! Man ist entweder dazu geboren, oder man ist es nicht. Aber Sie sind’s! auf mein Wort! wollen Sie pariren?“

Himmel! in welche Hände war ich gerathen? Was hatte sich der Herzog dabei gedacht, als er in dem Labyrinth mir völlig fremder Verhältnisse, in welchem ich mich orientiren sollte, mir diesen zum Führer gab, unter dessen Händen mit den perlgrauen Handschuhen der leitende Faden in jedem Augenblick zerriß? War es da ein Wunder, daß ich bei den vier oder fünf Besuchen, die ich mit ihm machen mußte, niemals recht wußte, bei wem wir uns denn nun eigentlich befanden: ob bei Excellenz von Wallenfels, dem Oberhofmarschall; oder bei Excellenz von Brixen, dem Oberhofjägermeister; oder bei dem Herrn Geheimen Kabinetsrath Iffelberger; oder bei dem Herrn Geheimen so und so von Kniffling? Ich wußte so wenig, warum er mich zu dem einen, als warum er mich zu dem andern brachte. Aber der eine dieser Herren war so höflich und zuvorkommend gegen mich wie der andere, und auf dem Wege von einem zum andern kamen wir durch so interessante Straßen mit so altersgrauen Häusern; durch so hübsche Gärten mit schönen Blumen, ein paarmal auch durch den Park mit seinen weiten Wiesenflächen und den prachtvollen Bäumen; dazu schien die Vormittagssonne so hell vom blauen Sommerhimmel, an dem hier und da schneeweiße Wolken unbeweglich standen; schließlich war die ganze Lage, in die ich mich so plötzlich versetzt sah, so völlig anders, als ich sie mir gedacht hatte, so – Alles in Allem – wundersam, das Gemüth mit seltsamen Eindrücken und noch seltsameren Ahnungen füllend – ich hätte wahrlich weniger jung sein müssen und meine Vergangenheit weniger dunkel, wenn ich mich der Gegenwart nicht hätte freuen und der Zukunft mit einer keineswegs unerfreulichen Spannung hätte entgegensehen sollen.

Wieder einmal waren wir in ein Stück des Parkes gelangt und schritten auf eine Villa zu, die ich schon längere Zeit durch die Bäume hatte schimmern sehen und von der uns nur noch ein breiterer Vorgarten trennte.

„Zu wem diesmal?“ fragte ich heiter.

„Aber zu Frau von Trümmnau!“ erwiderte mein Mentor, die Klingel an der Pforte ziehend und erstaunt die blauen Puppenaugen auf mich heftend.

„Ja so, Frau von Trümmnau!“ sagte ich. „Wenn ich nicht irre, hat der Herzog mir von ihr gesprochen.“

„Wenn Sie nicht irren!“ rief mein Mentor ganz erschrocken, „Aber, Bester, wie kann man in solchen Dingen irren! Natürlich hat Hoheit zu Ihnen von Frau von Trümmnau gesprochen.“

„Und wer ist Frau von Trümmnau?“

Herr von Renten antwortete nicht sogleich, sondern betrachtete den etwas bestaubten Lackstiefel, auf dessen Spitze er mit dem Elfenbeinstöckchen leise klopfte, höchst nachdenklich, als wäre es der famose Kanonenstiefel aus der Sedaner Schlacht. Plötzlich hob er den Kopf und blickte mich so forschend ausdrucksvoll an, wie blaue Puppenaugen nur immer blicken können.

„Sie wissen es also nicht?“

„Was?“

„Weißfisch hat nichts gesagt?“

„Wenn Sie nur die Güte haben wollten, anzudeuten, was er gesagt haben soll!“

„Hier ist andeuten so viel wie Alles sagen. Ich habe es nicht in meiner Instruktion – ich muß es auf meine eigene Verantwortung nehmen – indessen, da Sie es von Jedermann erfahren können, zweifellos an einem der nächsten Tage erfahren würden – es ist vielleicht besser, Sie erfahren es von mir. Aber bitte, Ihr Wort, daß Sie es nicht von mir erfahren haben!“

„Ich versichere Sie –“

„Gut. Also Frau von Trümmnau ist die Gemahlin unseres früheren Gesandten in Petersburg; er ist jetzt im Süden – seine Gesundheit ist sehr angegriffen; sie wird den Sommer über bei uns bleiben.“

„Das ist doch nichts so Merkwürdiges,“ erwiderte ich. „Viel interessanter ist mir, was mir jetzt einfällt, daß der Herzog mir befohlen hat, ich solle, was mir die Dame, die sein volles Vertrauen habe, sagen würde, als von ihm selbst gesagt betrachten.“

„Haben Hoheit das befohlen?“ rief mein Mentor, dessen Augen jetzt wirklich kreisrund waren. „Nun, dann darf ich es wohl wagen.“

Er ließ die Blicke nach allen Seiten schweifen, obgleich kein Mensch in unserer Nähe war, neigte seinen blonden Schnurrbart dicht an mein Ohr und sagte flüsternd:

„Frau von Trümmnau ist seine Tochter.“

Ich gestehe, daß mir bei dieser Mittheilung das Lächeln, mit welchem ich der geheimnißvollen Offenbarung entgegen gesehen hatte, auf den Lippen erstarb. Glücklicher Weise blieb zu einer Erwiderung meinerseits keine Zeit, denn in diesem Momente erschien auf der Veranda der Villa eine Dame in weißem Kleide, die sich mit beiden Armen auf die Brüstung lehnte und mit heller lustiger Stimme herüberrief:

„Aber Renten, sind Sie denn da festgewachsen? Ich beobachte Sie nun schon seit einer Viertelstunde. Wollen Sie wohl machen, daß Sie hereinkommen!“




4.

Wir schritten durch den Vorgarten; Renten, welchen der Ruf der Dame zur Eile angetrieben, etwas schneller als ich, der ich im Gegentheil nach der seltsamen Mittheilung am liebsten umgekehrt wäre, ohne daß ich zu sagen gewußt hätte, warum. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_301.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2021)