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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

alle zusammen, Fischer und Schiffer, Handelsleute und Seefahrer, die mit einander um den Besitz der sicheren Ankergründe, der Fischerei und der Marktstätten gestritten haben; mischen sich doch alle diese Elemente selbst heute noch kenntlich in dem festen Stamm der deutschen Bevölkerung, welche sie sämmtlich aufgesogen und verarbeitet hat.

Schon mit den Heeren des deutschen Ordens ist die Gothik in das Land gekommen. Das Höchste, was sie hier geschaffen, zeigt uns die Marienburg, der großartige Einzelbau. Danzig aber ist damals als gothische Stadt erbaut worden, die einzige im alten Preußen, eine der wenigen im ganzen deutschen Reiche. Was vorher gewesen, ist zerstört, verschwunden, oder es ist von einer Kümmerlichkeit, welche auf den Baucharakter der Stadt ohne Einfluß geblieben. Wohl mögen noch Häuser mit schweren Rundbogen derben Pfeilern, breiter Giebelung, wie das am Pfarrhof, zu finden sein, die dem früheren mittelalterlich romanischen Baustil angehören, doch mögen bei deren Erbauung wohl mehr Sonderzwecke oder Neigungen des Bauherrn bestimmend gewesen sein.

Altes romanisches Haus am Pfarrhof in Danzig.

Aus vorgothischer Zeit ist also sehr wenig in Danzig erhalten geblieben. Und doch hat schon Erzbischof Adalbert von Prag, als er um die Scheide des ersten Jahrtausends am Ausfluß der Weichsel das Kreuz aufpflanzte, eine slavische Burg, umgeben von einem Haufen Häuser, hier vorgefunden. Noch 300 Jahre aber mußten wohl vergehen, ehe der Deutschorden von Marienburg her hier neben der unregelmäßigen slawischen „alten“ die „rechte“ Stadt gegründet hat, jenes gothische Danzig, das wir heute noch um seiner imposanten Schönheit willen bewundern. Da entstanden regelmäßige Straßen mit hohen Giebelhäusern, spitzbogig gegliedert, schlank und schmal, hohe Fenster, knappe Pfeiler, da wuchsen die Monumentalbauten der baltischen Gothik aus dem Boden: Kirchen, Rathhäuser, Zunfthallen, Klöster. Ernst und massig war diese baltische Gothik, sie ermangelte, weil der gemeißelte natürliche Haustein ihr fehlte, der phantastischen Leichtigkeit und Grazie. Dafür war diese Rechtstadt wie aus einem Gusse, in kaum 50 Jahren vollendet. Das Deutschthum hatte sich hier einen festen Stützpunkt im eroberten Lande gegründet, ein bürgerliches Gemeinwesen erblühte schnell und kräftig. Alle Gaue des Ordenslandes wurden verwaltet und beherrscht von Gebietigern, Komturen, Landmeistern, die, von Marienburg entsendet, in eigenen Burgen oder Schlössern residirten. Die Rechtstadt Danzig besitzt bürgerliche Gemeindehallen, Kirchen, Klöster, die zu den erhabensten Schöpfungen der gothischen Zeit gehören, sie besitzt aber kein Schloß, keine Burg, die Vertreter des Ordensstaats residirten auf der Burg der ehemaligen slavischen Herzöge, die erst gründlich zerstört worden, als das Bürgerthum die Herrschaft der entarteten Deutschritter brach.

Wir würden aber wohl kaum an dieser ernsten gothischen Stadt so großes Gefallen finden, wenn nicht eine spätere Zeit hier umgestaltend und schmückend gewirkt hätte. Wieder ist da der Anstoß von Deutschland hergekommen. Fast drei Jahrhunderte hatte das gothische Danzig der Ordenszeit sich unverändert erhalten. In den engen, tiefen Häusern wohnten die Handelsherren nicht allein, dort war Raum vorhanden zu Waaren, Lagern und Handelsgütern. Ein enges Stübchen zur Seite des weiten, durch mehrere Stockwerke gehenden Hausflurs, eine Hinterstube fürs Geschäft, im Zwischengeschoß, das sich wie eine Altane nach dem Flur öffnete, einige niedrige Räume, darüber die „Saaletage“ als Lokal für Festmahlzeiten, Familientage, Gelage – das genügte den alten Patriciern der mächtigen Hansestadt an der Ostsee. Der weite Flur ward mit Waaren vollgestaut, die Braupfanne, die von einem der mit Braugerechtigkeit ausgestatteten Häuser zum andern wanderte, ward hier aufgestellt, wenn das Bier gesotten werden sollte, und in den Speicherkammern der höchsten Stockwerke lagerte der Kaufherr seine Waaren. Das änderte sich nun freilich nicht mit der neuen Zeit, wohl aber gewann da die Stadt ein freundlicheres Ansehen, manchen prachtvollen Schmuck.

Schnell hat die Lehre Luther’s Eingang gefunden in die altpreußischen Städte. Als dann Deutschland sich zu zerfleischen begann in blutigen Glaubenskämpfen, herrschte hier im äußersten Nordosten Ruhe und Frieden. Handel und Gewerbe, im Herzen des Reiches vernichtet, blühten damals hier kräftig, der Reichthum wuchs und damit die Prachtliebe der Patriciergeschlechter. Die düstere gothische Stadt wollte ihnen nicht mehr gefallen. Sie waren weit umhergekommen, ihre Schiffe hatten sie in die herrlich mit stolzen Architekturen, mit Festungswerken aller Art ausgestatteten holländischen Städte geführt, hatten in Genua, in Venedig gelandet, hatten wohl selbst die Erzeugnisse des Landes, den goldigen Bernstein bis nach Byzanz und in den Orient gebracht. Dort überall ward das Auge geblendet von märchenhafter Pracht, von einer Schönheit, die seltsam kontrastirte mit den bescheidenen Reizen der kalten Heimath. Das sollte anders werden, denn an Geld mangelte es ja nicht. Und es ward anders in Danzig. Ganz deutlich verrathen sich bei dieser am Ende des 16. Jahrhunderts begonnenen Umwandlung holländische, venetianische, selbst orientalische Einflüsse, die zusammenwirken zu malerischen Wirkungen, wie kaum eine andere alte Stadt sie bietet.

Ueberall ward heiterer Schein über die alte Spitzbogen-Architektur gebreitet. Auf den kräftigen Rathhausthurm setzte man eine zierlich durchbrochene Haube mit Glockenspiel, kleine Thürmchen, Statuen, Fähnchen. Die mit wundervollen gothischen Wölbungen geschmückte Gildenhalle, in welcher die Patricier ihre Verhandlungen hielten, ihre Gelage feierten, der „Artushof“, ward völlig überkleidet mit Friesen, Konsolen, Voluten, Medaillons, schmückenden Gliedern, auf denen Imperatoren, Helden der Mythe und der Bibel, stark vergoldet standen; große Wandmalereien, Jagdscenen, Mythologisches, christliche Legenden bedeckten die Felder im Innern; eine Bühne für die Spielleute, ein ungeheurer Kachelofen kamen hinzu, um ein prächtiges Durcheinander von bezaubernd malerischer Wirkung zu schaffen. Glücklicherweise wußte man damals nichts von stilistischer Strenge und Korrektheit, überall trieb die neue, fromme und farbenfröhliche Zeit ihre schönsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_298.jpg&oldid=- (Version vom 29.2.2024)