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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Nordpol, und Parry drang westwärts bis zur Melville-Insel, jenseit des 110. Grades vor.

Wichtiger und folgenreicher als alle früheren Reisen versprach aber jene Entdeckungsfahrt zu werden, die im Jahre 1845 von dem englischen Marine-Ministerium ins nördliche Eismeer hinausgesandt wurde. Ihr Befehlshaber war der schon vielfach bewährte John Franklin. Er sollte mit den beiden Schiffen „Erebus“ und „Terror“ aus der Baffinsbai über die Melville-Insel hinaus westwärts vordringen und erst bei 98 Grad westlicher Länge eine südwestliche Richtung nach der Beringsstraße einschlagen.

Am 26. Mai verließ Franklin mit den genannten Schiffen und einer Bemannung von l40 Mann die Themse, seine letzten Berichte datiren vom 12. Juni 1845 aus der Baffinsbai.

Als über drei Jahre alle weiteren Nachrichten ausblieben, begann die schier endlose Reihe der Nachforschungen von Osten, Süden und Westen, die als unvergängliches Denkmal von Menschenliebe und selbstloser Aufopferung in allen Zeiten glänzen werden. Allein in den ersten sechs Jahren, 1848 bis 1854, wurden 19 Expeditionen unter dem Kommando der tüchtigsten Officiere, mit 31 Schiffen und einem Kostenaufwand von weit über eine Million Pfund Sterling ausgesandt. 1859 fand man zwar die Nachricht vom Tode Franklin’s; aber erst nach weiterer 20jähriger mit großen Opfern und Anstrengungen ausgeführter Forschung gelang es Schwatka im Jahre 1879, die Unglücksstätte des Untergangs der letzten Gefährten Franklin’s zu finden, jene grauenvolle Stätte, welche Payer in seinem berühmten, so erschütternden Bilde auch uns veranschaulicht hat.

So waren die Resultate aller Anstrengungen der bisherigen Polarforschung nur negative: die gefundenen Durchfahrten waren unpraktikabel, und die Rettung Franklin’s war nicht gelungen. Aber dadurch wurde der Eifer, den Pol zu erreichen, nicht gedämpft, und endlich verliefen alle Anstrengungen der Engländer und Nordamerikaner in eine Hetzjagd, in einen wahren Sport, sich dem Pol zu nähern, um festzustellen, ob derselbe von Eis, offenem Meer oder Land umgeben sei, wobei man durch den Smithsund bis über den 82. Grad vordrang.

Inzwischen hatte August Petermann in Deutschland für Polarreisen zu agitiren begonnen. Diese Reisen sollten indeß nicht, wie die bisherigen, im Westen, sondern im Osten von Grönland ausgeführt werden. Was die deutschen nordischen Argonauten Koldewey, Payer, Weyprecht geleistet haben, ist noch in frischem Andenken. Wohl standen die beiden Letztgenannten in österreichischem Dienst; aber ob dieselben Käppis oder Helme, blaue oder graue Hosen trugen, ob das neuentdeckte Land Franz Joseph oder Wilhelm, ob ein eisumwalltes Vorgebirge auf den Namen Andrassy oder Bismarck getauft wurde, was verschlägt das bei einer Unternehmung, die von Deutschen angeregt, in deutschem Geiste geleitet, von Deutschen ausgeführt wurde. Auch Nordenskjöld, der glücklich die ganze Nordküste Sibiriens befuhr und durch die Beringsstraße drang, ist germanischen Stammes.

So befriedigend auch die letzten Resultate für die Kenntniß der Nordpolarzone waren, brach dennoch Weyprecht 1875 den Stab über alle bisherigen Ziele und Methoden der Polarreisen, wies darauf hin, daß die Erforschung physikalischer Verhältnisse wichtiger sei, als topographische Entdeckungen, und daß Beobachtungsstationen zu diesem Zwecke das geeignetste Mittel wären. Seine Anregungen wurden im Jahre 1881 durch die vereinigten Regierungen Europas verwirklicht und somit die internationale Polarforschung der Zukunft inaugurirt. In weiterem Verfolg der Bestrebungen in diesem Sinne wurde auch die Nothwendigkeit anerkannt, der Erforschung der Südpolarzone die gleiche Aufmerksamkeit zuzuwenden, wie der nordpolaren.

Wir bringen am heutigen Tage diese gedrängte Uebersicht der Wandlungen in den Zielen und Methoden der Polarforschung in den letzten 100 Jahren, um an den großen Märtyrer der Polarforschung, John Franklin, zu erinnern und in gewissem Sinne einen warnenden Spiegel vorzuhalten vor menschlichen Irrthümern, aber auch die leuchtende Fackel für die idealen und wissenschaftlichen Bestrebungen der nächsten und späteren Zeiten. J. Loewenberg.     


Blätter und Blüthen.


Vom deutschen Büchermarkte. Après nous le déluge – heißt es, doch die Sündfluth der Bücher bricht schon über die Lebenden herein. Wer daran zweifeln sollte, der lese die litterarische Uebersicht der Hinrichs’schen Buchhandlung im „Börsenblatt“. Von Jahr zu Jahr nimmt die Zahl der erschienenen Bücher zu: 1884 belief sie sich auf 15607, im folgenden Jahre betrug sie 16305. Die trockene statistische Zahl, die überall eine große Rolle spielt, ist auch für die Beurtheilung der litterarischen Produktion eine bedeutungsvolle Ziffer.

Da rücken stets neue, junge Dichter ins Feld; sie haben die Zukunft auf ihr Banner geschrieben; sie sprechen von Reform, von Revolution und stellen sich gegenseitig glänzende Zeugnisse aus. Sie haben Talent, wir wollen es zugeben – aber ein Blick auf die Statistik des Buchhandels muß ihnen genügen, um ihre Hoffnungen herabzustimmen. Die schöne Litteratur ist mit 1345 Werken verzeichnet, gegen 1303 im Vorjahre. 1345 dichterische Werke – und dazu die Ungunst des Publikums für die Poesie, wenigstens für die Lyrik und das Drama! Sich durch eine derartige Konkurrenz siegreich durchzukämpfen, dazu gehört viel Energie, viel Talent – und viel Glück. Es ist unglaublich, wie viel in Deutschland producirt und verlegt wird! In keinem andern Staate findet ein ähnliches Verhältniß statt. Darum sind ja auch die Litteraturkalender überfüllt, und eine neue Generation von Schriftstellern tritt der vorausgehenden auf die Fersen. Für die Himmelsstürmer aber sollten jene 1345 Werke als ein besänftigendes Mittel wirken. Gedruckt werden ist leicht, aber ein Publikum finden ist schwer, und von vielen dieser Neuesten gilt wohl der Spruch:

„Steht aber immer schief darum,
Denn Ihr habt kein Publikum.“

Daß in der That auch Hervorragendes durch diese Massenproduktion erstickt werden kann, während der Zufall oft Unbedeutendes an die Oberfläche spült, ist wohl keine Frage. Die belletristischen Schriftsteller mögen sich indeß mit den Pädagogen trösten: diese sind noch eifriger bei der Arbeit und haben im letzten Jahre 2169 Schriften auf den Büchermarkt geschickt. Freilich zählen dabei die Schulbücher mit, und da ist ja ein Bedarf vorhanden, der nicht leicht zu decken ist. Die Juristen und Politiker haben 1472 Schriften veröffentlicht, die Theologen 1391, die Mediciner 904, die Militärs 435, die Geographen und Reiseschriftsteller 495. Was würde Karl Moor sagen zu diesem „Tintenklecksenden Säculum“, welches das vorige noch so weit hinter sich läßt? Und dabei werden im Gänzen wenig Bücher in Deutschland gekauft! Die Fachschriftsteller haben es hierin freilich besser als die Belletristen, die entweder nur für die Leihbibliotheken arbeiten oder, wenn sie Lyriker sind, für vereinzelte „schöne Seelen“. Freilich, wer Mode ist, der darf auf großen Absatz rechnen: doch das sind nur die Auserwählten, nur 20 von den 1300; die große Mehrzahl muß sich Schritt für Schritt die Leser und die Käufer ihrer Werke erkämpfen. G.     


Der Trompeter von Bronzell †. Die musikalische Feststadt Richard Wagner’s hat ihren ältesten und tapfersten Tonkünstler verloren; am 17. März starb in Baireuth Peter Göttling, der Stabstrompeter des 6. bayerischen Chevauxlegers-Regiments, dessen vielbewegten militärischen und künstlerischen Lebensgang wir mit Beigabe seines Bildnisses in dem Artikel „Auch eine Erinnerung an unsern großen Krieg“ im Jahrgang 1883, Nr. 19, geschildert haben. Göttling war 1815 (den 1. Nov.) in Bamberg geboren und trat, 19 Jahre alt, als Trompeter in dasselbe Regiment, bei dem er nicht nur 1850 das Signal zu der Affaire von Bronzell mit ihrem so komisch berühmt gewordenen Schimmel zu blasen hatte, sondern mit dem er sich im Jahre 1866 gegen die Preußen ebenso tapfer schlug, wie er als Fünfundfünfziger den ganzen Krieg von 1870 bis 1871 vom ersten bis zum letzten Tage, und zwar immer kerngesund, mitmachte. Wie sein 50jähriges Dienstjubiläum 1882 ein Freudenfest der ganzen Stadt Baireuth war, so rief sein Tod eine allgemeine Trauer hervor, und die Liebe und Ehre, die man dem Lebenden allezeit erwiesen, begleitete ihn auch zu Grabe. F. H.     


Unterricht in der Baumveredelung. (Mit Illustration S. 289.) Es ist zwar eine einfache, aber keineswegs leichte Kunst, das Veredeln der Obstbäume. Ein scharfes Auge, eine sichere geschickte Hand gehören ebenso zu ihrer Ausübung, wie die Kenntniß der verschiedensten Methoden. Im Frühjahr ist die eine, im Herbst die andere zu wählen, selbst im Sommer kann man mit Erfolg zur Baumveredelung schreiten, nur muß stets das richtige Mittel angewandt werden. Aus Büchern würde man die Kunst schwerlich lernen können, obwohl eine Legion Werke über dieses Thema erschienen ist und der berühmte A. Thouin allein in seiner 1821 erschienenen „Monographie des greffes“ gegen 200 verschiedene Veredelungsarten aufführt.

Hier ist es besser, zu probiren, als zu studiren. Diesen Grundsatz befolgt auch der erfahrene Landwirth, der seinen Enkel in die schöne Obstanlage mitgenommen hat, um ihm zu zeigen, wie man auf Wildlinge Edelreiser „pfropft“ oder „kopulirt“. Vielleicht vollbringt er soeben ein kleines Kunststück, indem er das wilde Stämmchen zu zwingen versucht, künftighin verschiedene Obstsorten. auf seinen Zweigen zu tragen. Dabei erzählt er plaudernd dem Knaben von dem Wesen der Baumveredelung, von Bäumen des Waldes, die zufällig zusammengewachsen sind und den Menschen das Geheimniß des „Pfropfens“ verriethen, und von den Kunstwerken berühmter Gärtner, durch welche alte absterbende Stämme verjüngt und mit Dutzenden frischer, die herrlichsten Früchte tragender Zweige versehen wurden. Wie schnell vergeht eine solche Unterrichtsstunde unter dem blauenden Himmel des erwachenden Frühlings! Unvergeßlich bleibt sie Jedem, dem es vergönnt war, sie in früher Jugend zu genießen. *     


Auflösung der Schach-Aufgabe Nr. 2 auf S. 276:
Weiß: Schwarz:
1. S d 7 — c 5 L g 1 — h 2!
2. D f 3 — f 6 † beliebig.
3. D, S oder B setzt matt.

1. . . . K d 4 — e 5 oder c 5: 2. D f 3 — f 6 (†) beliebig (K : D) 3. S b 6 — d 7 resp. b 2 – b 4 matt. Es droht: 2. D f 6 † nebst 3. S c 4 resp- b 2 — b 4 matt. Auf 1. . . . S e 2 zieht, setzt 2. D c 3 gleich matt.


Auflösung des Räthsels auf Seite 276: 0 Stern – Ostern.



Kleiner Briefkasten.

Stotterer in B. Die Rudolf Denhardt’sche Sprachheilanstalt, auf deren Vorzüge in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“ (1878, Nr. 13, und 1879, Nr. 5) wiederholt hingewiesen wurde, befindet sich nicht mehr in Burgsteinfurt, sondern seit dem 1. April 1886 in Eisenach, Villa Hainstein.

Aug. C. in Mainz. Der betreffende Herr ist und nicht bekannt. Wir bedauern darum, Ihnen die gewünschte Auskunft nicht geben zu können.

R. H. in Berlin W. Der betreffende Artikel befindet sich im Jahrgang 1873.



Inhalt: Die Lora-Nixe. Novelle von Stefanie Keyser (Fortsetzung). S. 277. – Einsamkeit. Gedicht von Hermann Lingg. S. 280. Mit Illustration S. 281. – Vom Nordpol bis zum Aequator. Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm. 2. Bilder aus dem Affenleben. III. Ueberlegtes Handeln der Hundsaffen. S. 280. – Unter dem Rathhause zu Breslau. Von Emil König. S. 283. Mit Illustrationen S. 277, 283 und 284. – Was will das werden? Roman von Friedrich Spielhagen (Fortsetzung). S. 285. – Noch heute das „geheimnißvolle Grab“. Neue Studien und alte Erinnerungen von Friedrich Hofmann (Fortsetzung). S. 290. – Hundertjährige Wandlungen in den Zielen der Polarforschung. Zur Säkularfeier John Franklin’s, geb. 16. April 1786. Von J. Loewenberg. S. 291. – Blätter und Blüthen: Vom deutschen Büchermarkte. S. 292. – Der Trompeter von Bronzell †. S. 292. – Unterricht in der Baumveredelung. S. 292. Mit Illustration S. 289. – Auflösung der Schach-Aufgabe auf Seite 276. – Auflösung des Räthsels auf S. 276. – Kleiner Briefkasten. S. 292.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redakteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_292.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2023)