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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Eine Schilderung aus früherer Zeit muß ich hier noch einmal mittheilen. Kühner, unser erster Gewährsmann, hat als Pfarrsohn fünfzehn Jahre theils ganz, theils in allen Ferien in Eishausen gelebt und in dieser Zeit die Gräfin nur zweimal am Fenster gesehen. Aus dem Jahre 1818 erzählt er, wie er sie mittels eines Fernglases beobachtet: „Die Gräfin stand am offenen Fenster und fütterte mit Backwerk eine Katze, die unter dem Fenster war. Sie erschien mir wunderschön; sie war brünett, ihre Züge ausnehmend fein; eine leise Schwermuth schien mir eine ursprünglich lebensfrische Natur zu umhüllen; in dem Augenblick, wo ich sie sah, lehnte sie in schöner Unbefangenheit am Fenster, den feinen Shawl halb zurückgeschlagen, wie ein Kind mit dem Thiere unter sich beschäftigt. Ich sehe noch, mit welcher Grazie die schöne Gräfin das Backwerk zerbröckelte und die Fingerspitzen am Taschentuch abwischte.“ – Im Jahr 1832 soll sie Rath Vogel, der spätere Besitzer des Hauses und Gartens bei der Stadt, einmal beobachtet und noch immer „zart an Gestalt und sehr schön“ gefunden haben. „Sie saß im Garten in sich versunken, während der Herr hochaufgerichtet mit verschränkten Armen am Gartenzaun auf- und abwandelte; eine unheimliche Gestalt, aber entschieden Kavalier, der die Befehle der Dame erwartete.“

Diese Andeutung führt uns zur Betrachtung des Verhältnisses, in welchem Dame und Herr zu einander gestanden zu haben scheinen. Human sagt (Theil II, S. 3): „Leute, welche Graf und Gräfin zu Anfang ihres Eishäuser Aufenthaltes in der Lindenallee (nahe beim Schloß) spazieren gehen sahen, äußerten, genau wie unsere Zeugen in Hildburghausen, der gnädige Herr habe ordentlich wie ihr Untergebener ausgesehen, und man habe es an Allem gemerkt, daß sie die Vornehmere war.“ Und Kühner bemerkt hierüber: „Es ist aus mehreren Gründen der bedeutungsvolle Schluß zu ziehen, daß der Takt des Volks auch hier das Richtige traf.“

Unbestreitbar fest steht, daß nach des Grafen Willen die Dame für Niemand auf der Welt existiren sollte. Diesen seinen Willen setzte er mit vollendeter Rücksichtslosigkeit gegen Jedermann, vom herzoglichen Hof in Hildburghausen bis zum letzten Bauern im Dorfe durch, und weder Sitte noch Anstand fand dabei die geringste Beachtung. So hatte es z. B. die Frau Pfarrerin von Eishausen, nach dem Einzug der Herrschaften ins Schloß, für ihre Pflicht gehalten, der Frau Gräfin ein Blumenbouquett zu übersenden. Das Dienstmädchen sagte zwar, der Herr Graf müsse sich ungeheuer gefreut haben, denn er sei wie närrisch im Zimmer herumgesprungen. Die Erwiderung auf die freundliche Gabe war aber der Art, daß keine zweite gewagt wurde. Dagegen sind später häufig Geschenke aus dem Schloß ins Pfarrhaus gekommen, als zwischen Grafen und Pfarrer der Briefwechsel in Gang war, von dem wir später zu erzählen haben. – Ein ander Mal befand sich der Senator Andreä, des Grafen Geschäftsführer in Hildburghausen, bei ihm und warf die Bemerkung hin, man sei in der Stadt sehr neugierig zu erfahren, wer wohl die Dame im Schlosse sein möge. Da antwortete ihm der Graf kurz und streng: „Ich halte für gut, wenn Sie in Wahrheit sagen können, daß Sie es nicht wissen“ – und ließ sofort den Wagen des alten Herrn vorfahren. – Sogar der alte vertraute Squarre durfte sich keinen unbefohlenen Blick auf die Dame erlauben. Als, erzählt Human, einst beim Ausfahren der Kutscher auf eine Frage des Grafen sich rasch umwandte und, während er antwortete, zur Gräfin hinsah, wurde er am folgenden Morgen früh zwei Uhr durch die Klingel ins Vorzimmer gerufen. Dort stand die Dame, dicht verschleiert, sah ihn stumm an und wandte sich kurz ab. Das war die vom Grafen angeordnete Zurechtweisung, welche er hinter einer Portière beaufsichtigt hatte.

Wir sehen: selbst die am engsten in seinen Bannkreis eingeschlossenen Diener durften sich keine eigenmächtige Annäherung an sein Geheimniß erlauben. Wenn der Graf dennoch zu ihnen über die Gräfin sprechen mußte, so sagte er bloß „Man wünscht“ etc., aber auch „Allerhöchst Sie hat gesagt“ etc. will man aus seinem Munde gehört haben.

Die Stellung der Dame im Schloß wird wohl am besten bezeichnet durch Das, was Squarre einmal darüber geäußert haben soll: „Sie hat kein Vermögen, aber sie ist Herrin über Alles.“ Der ganze oft maßlose Absperrungszwang geschah ausschließlich der Dame wegen, und ebenso war der große Aufwand nur nöthig, um diese Absperrung möglich, gesichert und – erträglich zu machen. Beide, die Bewachte wie der Wächter, waren Gefangene und wahrscheinlich Eines so wenig freiwillig wie das Andere.

Wenn wir auch die sorgfältig gesammelten Aeußerungen des Grafen über dieses Verhältniß mit Vorsicht aufnehmen müssen, da sie oft mehr geeignet erscheinen, von der richtigen Spur zu seinem Geheimniß abzulenken, als es zu enthüllen, so sind doch namentlich solche beachtenswerth, welche er im Mittheilungsdrang oder in erregter Stimmung noch vor dem Tode der Dame der Köchin anvertraut und nach demselben in den Unterredungen mit wenigen bekannten Männern, unter welchen der Obermedicinalrath Hohnbaum in Hildburghausen obenan steht, fallen ließ. Der Köchin klagte er einmal, „er habe sich in seiner Jugend mit einem Eide gebunden und müßte darum ein so schweres Leben führen.“ Ein ander Mal, wo er eine der verbitternden Scenen erlebt haben mochte, die bei der ewigen Einsamkeit des armen Weibes ja unausbleiblich waren, sprach er den Entschluß aus, die Dame in ein Kloster bringen und sich so von seiner Last befreien zu wollen. Solche Stürme gingen freilich rasch vorüber, denn anderntheils vernehmen wir wieder von der Dame Aeußerungen die, wenn auch nicht von herzlicher Anhänglichkeit, doch von Dankbarkeit und von der Angst zeugen, ihn zu verlieren. Man erfährt, daß er sie aus erschrecklicher Lage befreit haben soll, und wie konnte das arme Wesen, das ihr ganzes Dasein nur mit ihm allein hatte verbringen müssen, sich eine Existenz ohne ihn denken? Daher ihre Sorge bei seinem Erkranken, und daher jener Ausspruch, den die Botin Schmidt einst von ihr gehört: „Wenn der Herr stirbt, begrabe ich mich lebendig.“ Und als dieselbe, die zuletzt ihre Pflegerin war, in die Todkranke drang, doch nach einem Arzt zu verlangen, antwortete sie: „Nein, das thue ich meinem Herrn nicht zu leid.“ Daraus erfahren wir, daß sie die Wichtigkeit des Geheimnisses ihres Daseins für den Grafen kennt, und zugleich auch, daß die Dame den Mann ihren Herrn nennt, der allezeit neben ihr wie ihr Diener aufgetreten war. Doch können wir diese Abhängigkeitsbezeichnung auch als eine Redeform auffassen, welche die Dame der Dienerin gegenüber angemessen fand.

Offenbar geschahen alle nach außen oft gar verwunderlich erscheinenden Maßregeln, welche die möglichste Ruhe um das Schloß bezweckten, nur in Rücksicht auf die Dame. Eine solche Veranlassung war es, die den Grafen nöthigte, auch gegen außen die Anwesenheit derselben anzudeuten. Die alte Sitte des Neujahranschießens hatte das Schloß in Schrecken gesetzt. Damals schrieb er an den Pfarrer: „Man hat die Nacht in großer Unruhe zugebracht etc.“ und bat um Abhilfe des Unfugs, fügte auch 25 Gulden zur Vertheilung unter die Armen bei, falls die Schuldigen bestraft würden. Zugleich ließ er durch seinen Geschäftsführer Andrea beim Hildburghäuser Amt Klage erheben. Wirklich wurden zehn Bursche verhaftet und bestraft. Für die nächste Neujahrsnacht traf man, ohne Zweifel auf besonderes Betreiben des Hofs zum Schutze des in einem herzoglichen Domainenschloß wohnenden Grafen, außerordentliche Maßregeln. Der später durch die bundestägliche Verauktionirung der von der Nation gegründeten ersten „deutschen Flotte“ unglücklich bekannt gewordene Hannibal Fischer, damals Landschaftsrath in Hildburghausen, begab sich mit zwei Landjägern und einem Militärkommando nach Eishausen, zog dazu noch zwölf Nachbarn zur Verstärkung bei und besetzte alle Gassen des Dorfes mit Wachtposten. Die Nacht brach ein und die tiefste Stille herrschte bis zum letzten Glockenschlag des Jahres. Da aber krachten gegen Schloß und Pfarrhaus, dann hinter Hecken und Scheunen an allen Ecken und Enden die Schüsse los, – und trotz der eifrigsten Hetze gegen die Uebelthäter war kein einziger der flinken Bursche zu erwischen. Man mußte einsehen, daß mit Gewalt nichts auszurichten sei gegen den fränkischen Bauerntrotz, den der Pfarrer am besten kannte und zu behandeln verstand. Er gab dem Grafen den Rath, den Burschen zur Kirchweihe eine Beisteuer und zum Neujahr einen freien Trunk zu geben, dies geschah – und kein Schuß fiel mehr im ganzen Dorf.

(Fortsetzung folgt.)




Hundertjährige Wandlungen in den Zielen der Polarforschung.

Zur Säkularfeier John Franklin’s, geb. 16. April 1786.

Am 16. April 1786 wurde John Franklin in Lincolnshire in England geboren, der Polarreisende, der durch seinen grauenvollen Untergang Jahrzehnte lang die Theilnahme der ganzen civilisirten Welt in dem Maße rege hielt, daß zur Erforschung seines tragischen Geschicks wie nie zuvor viele Millionen theuersten Guts und Tausende unschätzbarer edler Menschenleben geopfert wurden.

Es ist hier nicht die Absicht, wie sonst bei säkularer Erinnerung an einen großen, seltenen Mann, eine Biographie demselben zu geben und seinen Lebensgang wie seine Schicksale zu rekonstruiren. Franklin’s Leben und tragisches Ende sind schon in den verschiedensten Schriften jedem Alter vorgeführt und bekannt geworden. In unseren Zeilen sollen statt dessen die Wandelungen markirt werden, welche die Ziele und Methoden der Reisen und Forschungen in der Polarzone in dem Jahrhundert seit Franklin’s Geburt erfahren haben: darauf soll hingewiesen werden, wie, im Gegensatze zu den früheren materiellen Zwecken und Zielen, welche von einzelnen Staaten selbstsüchtig verfolgt wurden, nunmehr bei Polarreisen unserer Tage die Lösung wissenschaftlicher Probleme eine Aufgabe aller civilisirten Völker geworden ist.

Im Jahre 1786, also im Geburtsjahre John Franklin’s, schloß Georg Forster eine kritische Uebersicht der bisherigen nordwestlichen Polarreisen mit den Korten: „Fest steht das Faktum, daß die Unmöglichkeit einer nordwestlichen Durchfahrt in eine schiffbare Meeresgegend erwiesen ist, und fest wird es stehen, bis eine neue Katastrophe der Erde Neptun’s und Pluto’s Reichen neue Grenzen absteckt.“

Auch Kapitän Clerke, der zweite Befehlshaber auf Cook’s dritter Reise, erklärte um dieselbe Zeit die Versuche, durch die Beringsstraße vorzudringen, als „hellen Wahnsinn“, und der Herausgeber der Beschreibung dieser dritten Reise sagt: „Die letzten Reisen haben endlich der Welt die Wohlthat erwiesen, sie für immer von dem Wahne derartiger Entdeckungsreisen zu heilen.“

Und in der That wurden seitdem bis zum Jahre 1818 keine neuen Polarreisen ausgerüstet und entsendet, woran freilich auch die damaligen Kriege nachdrücklich hinderten. Aber Forster’s und Clerke’s Warnung war allmählich verhallt, und es bestätigte sich auch jetzt die alte Wahrheit: daß ganze Nationen wie Individuen, wenn sie einmal Opfer und bedeutende Kraftanstrengungen an die Erreichung eines Zieles gesetzt haben, fast eigensinnig auch dann noch in ihren Bestrebungen beharren, nachdem sich längst herausgestellt hat, daß die Erreichung des vorgesetzten Ziels unmöglich ist.

So kam es denn, daß bereits 1818, als der Walfischjäger Scoresby Nachrichten von den günstigen Eisverhältnissen im hohen Norden heim brachte, die englische Regierung die alten Pläne zur Aufsuchung einer nordwestlichen Durchfahrt nach dem Stillen Ocean wieder aufnahm. In Folge dessen entdeckte John Roß unter Anderem den magnetischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_291.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)