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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Und brachte es auch nicht heraus in den Stunden, die ich nun mit meinem neuen Mentor verlebte, und der freilich, wie ich bald merkte, der letzte Mensch war, mit dem ich dieses oder irgend ein anderes Problem nur hätte berühren können – von einer Verhandlung mit Aussicht auf eine glückliche Lösung unter seinen Auspicien gar nicht zu reden. Denn er selbst redete nur „Chiffons“ – ein Ausdruck, den ich damals freilich nicht kannte, während ich die Sache selbst durch ihn an diesem Tage kennen lernte.

(Fortsetzung folgt.)

Noch heute „das geheimnißvolle Grab“.

Neue Studien und alte Erinnerungen von0 Friedrich Hofmann.
(Fortsetzung.)

Ehe wir zur Hauptperson des Geheimnisses, zur Gräfin, übergehen, wollen wir uns mit dem gesammten Dienstpersonal genauer bekannt machen.

Obenan steht hier der schon mehrgenannte Kammerdiener, den der Graf nach dessen Tod als „Philipp Squarre, 73 Jahre alt, ledig, aus der Schweiz“ bezeichnete, obwohl er im Kirchenbuch zu Eishausen als „Johann Philipp Schorr“ eingetragen steht und aus den Niederlanden stammen sollte. Nicht einmal seine Kinder konnten das Wahre seiner Abkunft erfahren. Auch hier zwei Namen und ein Geheimniß. Er war ein großer, breitschulteriger Mann mit vollem Gesicht und schneeweißem Haar, immer ernst, abgemessen und wortkarg gegen Jedermann. Trotz alledem steht er bei den Bauern in besonderer Achtung, nicht bloß, weil er allezeit in voller reichbetreßter Livrée einherging, sondern weil er – offenbar vom Grafen dazu veranlaßt und belehrt – häufig auf Witterungswechsel aufmerksam machte, was dem Landbau manchmal zum Nutzen gedieh. Weß Glaubens er war, wußte man nicht, doch besitzt seine Tochter als Andenken von ihm noch ein Krucifix. Er besuchte regelmäßig die Dorfkirche; der Graf liebte das und versorgte jeden seiner Dienstboten mit dem dort üblichen Kirchenstrauß; so oft wie möglich bestand derselbe aus Rosen, die er mit kölnischem Wasser besprengte. Trotz der jahrelangen Treue, die den verschwiegenen Diener an den Grafen band, war er doch im Gewissen so schwer bedrückt, daß er zu wiederholten Malen den Pfarrer Kühner dringend und flehend bat, ihm eine geheime Beichte abzunehmen, von welcher jedoch der Graf nichts erfahren dürfe. Der protestantische Geistliche schlug dies Ansinnen einer Ohrenbeichte um so bestimmter ab, als er mit dem Grafen in der engsten, aber wunderlichsten geistigen Verbindung stand. Der Gewissensdruck scheint dem alten Mann endlich unerträglich geworden zu sein, so daß er, einmal von einer Laune des Grafen verletzt, entschlossen war, sich von der Last zu befreien; bald aber ging er wieder in sich und sprach den Entschluß aus, nunmehr, da er seine jungen Jahre beim Grafen verbracht, auch bis ans Ende auszuharren. Als er aber auf dem Sterbebette lag, regte sich die Gewissensangst von Neuem, und er bat dringend, daß der Geistliche geholt werde – aber der Graf verbot dies und überließ den armen Greis seinem schweren Ende. Er starb am 6. April 1817 früh ein Uhr und wurde am 8. April so still begraben, daß sein Tod kaum ruchbar geworden zu sein scheint, denn die Postämter von Hildburghausen und Koburg, welche viele Sendungen, von denen die meisten offenbar für den Grafen bestimmt waren, an Philipp Squarre besorgt hatten, ließen noch zwanzig Jahre lang Briefe und Packete an die Adresse des Todten nach Eishausen abgehen, von wo nie Etwas zurückgesandt worden ist.

Mit Squarre theilte die Köchin, Johanna Weber aus Hildburghausen, den Aufenthalt im unteren Stockwerk. Sie war früher im Wasunger Damenstift, dann beim Rath Rückert und zuletzt beim Geheimrath Kümmelmann am Herzoglichen Hofe bedienstet gewesen, und eine so geschickte Köchin, daß der Graf sie jedem französischen Koch gleich stellte und ihr 26 Karolin (etwa 500 Mark) Lohn gab, wovon sie ihre arme Mutter in der Stadt reichlich unterstützte. Die Köchin war die einzige Person, welche die Gräfin zweimal in nächster Nähe und unverschleiert sah und sprach. Einmal, als der Graf schwer krank war, ließ er sie zu sich rufen und sagte ihr, auf die unverschleiert am Bette stehende Gräfin zeigend: „Köchin, wenn ich sterbe, so nehmen Sie sich dieser Dame an“ – und ein andermal ließ diese Dame selbst sie rufen und sprach zu ihr: „Der Herr ist plötzlich erkrankt, helfen Sie mir einen Trank bereiten!“ – Diese zweimalige Begegnung mit einem menschlichen Wesen, mit welchem sie 26 Jahre unter einem Dach wohnte, war die Ursache, daß sie in dieser ganzen Zeit das Schloß mit keinem Tritt verlassen durfte! Vielleicht kam auch dazu, daß der Graf, offenbar im unwiderstehlich gewordenen Mittheilungsbedürfniß, die Köchin jeden Morgen ins Vorzimmer berief und ihr bald aus Zeitungen Einiges vorlas, bald angeblich aus seinem Leben erzählte. Mochte er da sich doch wohl mitunter zu sehr haben gehen lassen, zu viel geplaudert haben, das er verborgen gehalten wissen wollte? Kurz, die Klausur der Köchin war so streng, daß sie das Gehen fast verlernte und, als sie einmal in höchster Noth einen kurzen Ausgang besorgen sollte, auf der Straße nur mühselig forthatschen konnte.

Weniger streng war der Graf in anderer Beziehung. Das abgeschlossene Zusammenwohnen des Kammerdieners und der Köchin führte beide zu einer „nicht eben gesetzmäßig geschlossenen Ehe“ – wie ja in diesem Schloß Alles seinen besonderen Gang ging. Von den beiden Kindern, welche im Schlosse zur Welt kamen, war das erste ein Knabe (geboren am 4. März 1812), der den Namen Philipp Papageno erhielt und von den Dorfkindern „das Papperle“ genannt wurde. Das zweite Kind, ein am 28. April 1813 geborenes Mädchen, ist die noch lebende Frau auf dem Hildburghauser Berg- und Grabgarten. – Der Knabe wurde im nahegelegenen Dorfe Steinfeld erzogen, lernte das Schuhmacherhandwerk und mußte, auf des Grafen Befehl, nach Amerika auswandern. Vor seiner Abreise brachte er noch über seine Mutter ein schweres Verhängniß. Weil diese ihn noch einmal sehen wollte und ihn, natürlich ohne des Grafen Vorwissen, heimlich ins Schloß kommen ließ, so mußte sie dasselbe sofort verlassen. Sie wurde in das Schloß Eiba bei Rudolstadt verbannt. Unter welcher Aufsicht sie dort lebte oder unter welchem Eide sie abzog, ist nicht bekannt. Sie starb dort sechs Wochen vor dem Grafen, und der alte Diplomat konnte seine Genugthuung darüber nicht verbergen, daß dieser Mund noch vor seinem eigenen Ende sich für immer geschlossen hatte. –

Zu der Dienerschaft des Schlosses gehörten ferner die Eheleute Johann und Katharina Schmidt, die der Graf schon in Hildburghausen in Dienst genommen und die von 1810 an die Botengänge von der Stadt zum Schloß besorgten. Schmidt stammte aus Böhmen, seine Frau aus Heldburg. Auch sie mußten eine strenge Prüfung bestehen: jahrelang wurden ihnen Briefe, Packete und Zeitungen bei einer Mühle in Steinfeld vom Kammerdiener abgenommen und ins Schloß gebracht. Erst nachdem sich erwiesen, daß sie ihren Dienst mit der größten Verschwiegenheit und mit Vermeidung jeden Umganges unterwegs besorgt, durften sie mit ihrer Bürde erst bis an und endlich sogar in das Schloß kommen. Ein Beweis höchsten Vertrauens war es sicherlich, daß der Graf im Jahre 1836 die Katharina Schmidt zur Wartung der damals schon kranken Dame berief – ein ebenfalls verhängnißvoll gewordener Dienst. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Graf nicht immer mit am Krankenbette sein konnte, daß Kranke und Wärterin oft allein waren und daß jene die sonst ihr nicht ein einziges Mal in ihrem ganzen Leben gebotene Gelegenheit benutzte, ihr Herz durch Mittheilungen zu erleichtern, die dann um so schwerer in das der armen Dienerin fielen. Daß der Graf dies ahnte, zeigte sich gleich nach dem Tode der Gräfin. Trotzdem ihr Dienst erfüllt und sie ferner im Schloß unnöthig war, durfte sie dasselbe nicht verlassen; und als – am 9. Februar 1843 – ihr Ende nahte, wiederholte sich die Scheidescene Squarre’s: das arme Weib wollte ihr Herz von einer schweren Last befreien, aber es mußte brechen unter der Wucht eines Geheimnisses, das nun abermals um zwei Augen und einen Mund sicherer war.

Die „außerordentliche Treue“ der Schmidt’schen Eheleute belohnte der Graf damit, daß er deren Kinder ebenfalls in Dienst nahm und für sie zu sorgen versprach. Johann Ehrhardt Schmidt wurde Kammerdiener und seine Frau Friederike, geb. Gutjahr aus Eisfeld, Köchin; sein Bruder Simon Schmidt hatte die Botengänge von Hildburghausen und die Pflege des Berggartens, den er später als Eigenthum erhielt, und eines Hauses und Gartens beim Spital, in der Nähe des jetzigen Bahnhofs, welche der Graf 1826 gekauft hatte, zu besorgen. Außer diesen gehörten zur Dienerschaft noch ein Kutscher und eine Aufwärterin (zwanzig Jahre lang Dorothea Kirchner, später mit ihren Töchtern) und die Koburger Boten (Johann Amberg mit seiner Frau Dorothea), die 1830 bis 1845 außer der fast täglichen Briefschachtel häufige Sendungen aus der Apotheke, der Meusel’schen Buchhandlung und der Hofgärtnerei (Blumenkohl etc.) zu bringen hatten.

Alle diese Menschen standen lebenslang in einem Dienst, der allerdings möglichst gut belohnt ward, aber auch nicht schwer genug gedacht werden kann, denn alle opferten für immer ihre persönliche Freiheit, sie mußten sich zu willenlosen Maschinen erniedrigen, denn: „nur was der Graf verlangt, muß geschehen, – niemals weniger, aber auch niemals mehr!“ Alle sind von der menschlichen Gesellschaft so gut wie ausgeschieden, kein freundlicher Verkehr darf sie mit den Nachbarn verbinden, sie sind wie in einen Zauberkreis gebannt, fühlen sich immer und überall von des Grafen Blick verfolgt, wagen nie laut zu sprechen und flüstern noch nach seinem Tod so ängstlich, als müßten sie ewig die stummen Wächter seines Geheimnisses bleiben. Ja, alle stehen schließlich im Dienste für ein Wesen, von dessen Existenz sie nichts wissen dürfen, wenn sie das nicht bitterlich auf dem Sterbelager bereuen sollen.

Und dieses Wesen, welches die Aufstellung eines so großen und kostspieligen Sicherheitsapparates verursacht, ist die verschleierte Dame von Ingelfingen und Hildburghausen, die noch siebenundzwanzig Jahre ihres von aller Welt abgeschlossenen Lebens in dem Schlosse von Eishausen zubringt.

Ueber dieselbe wollen wir nun berichten, so viel Verbürgtes über sie zu erlangen war.

Es hat seine Schwierigkeit, die Persönlichkeit einer Dame zu schildern, die in einem Zeitraum von etwa fünfunddreißig Jahren, also auf den verschiedensten Altersstufen, nur von wenigen Menschen und dies stets nur verstohlen, bei augenblicklich verschobenem Schleier, im raschen Vorbeifahren im Wagen, bei Spaziergängen in der Ferne, durch Gucklöcher im Vorüberschreiten in der Nähe oder durch das Fernglas gesehen worden ist. Einstimmig lauten alle Aussagen aber in der Bewunderung der herrlichen blauen Augen, des schönen Antlitzes, der zierlichen Gestalt und der graziösen, vornehmen Haltung. Auffallend ist auch die Uebereinstimmung der Beobachtung eines hohen Beamten (des Geheimraths von Bibra), welcher die Dame im Wagen auf der Marienstraße bei Hildburghausen sah, mit der Aussage des Knaben in Ingelfingen; auch er erkannte sofort die bourbonischen Gesichtszüge.

Was meine Hauswirthin auf dem Berggarten über die Gräfin, natürlich nur verstohlenerweise, beobachtet hat, habe ich oben bereits gesagt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_290.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2024)