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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Er neigte bejahend das Haupt. „ich würde mich an der Gunst der Götter versündigen, wenn ich die Berufung zu diesem Werk nicht annehmen wollte. Sie überschütten mich mit allen Gaben, deren ich dazu bedarf.“

„Vielleicht kann auch ich ein Scherflein dazu beitragen,“ sprach sie langsam wie überlegend. „Ich kenne die Sage wie mich selbst.“

„Stammen Sie aus hiesiger Gegend?“ fragte er überrascht. Die Bewohner dieses Landstriches waren ein kleiner Menschenschlag von bräunlicher Farbe und mit nußbraunen Augen.

„Ich gehöre nicht dem Volk des lieblichen Lora-Thales an, und doch ist kein Kind desselben so berechtigt, es seine Heimath zu nennen, als ich.“ Sie sprach mit einem seltsam geheimnißvollen Lächeln.

Er schaute sie verklärt an. Was ihm zuerst als Ahnung gedämmert hatte, ward mehr und mehr zur Gewißheit. Das Modell zur Nixe war gefunden, und das Geheimniß, welches Leonore umgab, erhöhte nur die Ähnlichkeit.

„O,“ rief er, „warum auch forschen und fragen? Das thut nur der Alltagsmensch im Alltagsleben. Wir aber sind auf einer Insel der Seligen gelandet, wo man ohne Worte sich versteht, wo wir nichts von einander fordern als unser eigenstes Selbst.“

„Das Höchste!“ sagte Leonore ernst.

„Das wir doch mit Freuden opfern,“ antwortete er begeistert, „wenn wir das Ideal gefunden haben, welches unserer Sehnsucht vorschwebte.“

„Ja,“ antwortete sie; „und wer das Opfer ganz und ohne kleinlichen Rückhalt bringt, dem wird schrankenloses Glück, reicher Genuß des Lebens lohnen. Aber wer noch – und sei es nur mit einem Gedanken – in der Welt der Alltäglichkeit wurzelt, der stürzt unrettbar in das Verderben. Das lehrt auch die Sage von der Lora-Nixe.“

Sie sah Heino tief, fast wie warnend in die Augen, und es schien ihm, als seien die großen Augensterne hinter den goldigen Wimpern dabei dunkel geworden.

Da trat der Hauptmann Aufdermauer an ihn heran und weckte ihn aus seiner Versunkenheit. „Auf einen Augenblick!“ rief Georg höchst angeregt und heiter. „Ich habe Dich in allen einsamen Gängen, wo die Musen wohnen sollen, gesucht. Wir – nämlich Deine Frau Mutter, Fräulein von Grundleben und meine Wenigkeit haben einen prächtigen Plan gemacht. Wir diniren gemeinschaftlich im Forsthaus auf dem Hainberg. Ich freue mich kindisch darauf, unter meinen schönen Waldbäumen Dich und Deine Familie bewirthen zu dürfen. Ich schicke sofort einen Boten dahin, wenn Du Deine Einwilligung gegeben hast.“

„Ich bedaure unendlich,“ antwortete Heino zerstreut, während sein Blick Leonoren folgte. „Aber ich bin wirklich nicht disponirt, heute noch in Gesellschaft zu sein. Meine neue poetische Aufgabe nimmt mich ganz gefangen.“

„Ihm dichtert,“ krächzte Ravensburgk, der langsam heran schlenderte.

„Es strömt,“ rief Heino davonstürmend.

„Das wäre ein Glück,“ sagte Ravensburgk; „bis jetzt war das poetische Aederchen nur durch das Vergrößerungsglas der Gesellschaft erkennbar.“

Georg fühlte sich tief enttäuscht. Er wußte, ohne den Leibsohn war Frau von Blachrieth nicht von der Stelle zu bringen. Unmuthig blickte er hinter seinem Freund her, der Leonoren nacheilte.

Sie stand am Eingang zum Lora-Flügel und verabschiedete sich von der Gesellschaft, die einen weiten Kreis um sie gebildet hatte.

Da ging an der glänzenden Gruppe jener graue Herr vorüber, den Georg noch vor wenigen Stunden in so eigenthümlichem Rapport mit dieser Paloty gesehen hatte.

Georg faßte sie scharf ins Auge; aber sie scherzte und lachte heiter weiter, ohne einen Gruß oder Blick mit dem Fremden zu wechseln, dem sie heute Morgen eine so auffallende Beachtung geschenkt hatte.

Langsam kam der graue Herr näher. Seine feinen, aber blassen verlebten Züge trugen den Ausdruck stiller Resignation, und aus den halb geschlossenen Augen blickte eine tiefe Schwermuth.

Ein anderer sehr elegant gekleideter Herr begegnete ihm, dessen regelmäßiges Gesicht und wohlgepflegter schwarzer Henri quatre ihn noch immer schön erscheinen ließen, obgleich er augenscheinlich dem Alter näher als der Jugend stand.

Mit gesuchter Höflichkeit wich er dem Grauen aus und grüßte, während der Andere kaum eine Handbewegung nach seinem leichten Filzhut machte.

„Kennen Sie den Herrn?" fragte Georg.

Ravensburgk drückte sein Glas ins Auge. „Wie man diese Leute eben kennt; man weiß sie zu nennen. Meinen Sie den Großen, Stattlichen? Das ist einer der Croupiers, ein Monsieur Faucon, der letzte der Falkenecks, wie ihn das Gerücht bezeichnet. Ah, Sie wollen wissen, wer der Graue ist? Der Pächter der Bank, ein gewisser Herr Dornheim.“

Georg fielen die gestern vernommenen Gerüchte über die Familienverhältnisse der Palotys wieder ein. Er dachte jedoch nicht daran, seine Beobachtungen zu erzählen; das wäre Klatscherei gewesen. Aber er wich dankend dem Anerbieten Ravensburgk’s aus, ihn mit den Damen bekannt zu machen.

Ein Trost für den gescheiterten Plan war es ihm, daß Hedwig’s frohes Gesicht betrübt wurde, als ihre Tante den Ausflug aufgab, und daß sie beim Abschied sprach: „Auf Wiedersehen!“




Mehrere Tage später saß Frau von Blachrieth mit ihrer Nichte beim Frühstück, das in dem Gärtchen vor ihrer Wohnung aufgetragen war. Es bot einen reizenden Ausblick über den kurz geschorenen, von einem feinen Eisengitter begrenzten Rasenplatz in die Kieswege hinaus, welche von Badegästen in eleganten Morgenanzügen belebt waren. Ein frisches Lüftchen trug die Klänge der Musik aus dem Kurgarten herüber; die Reseda und die Federnelken dufteten in den kleinen Beeten; der Kaffee dampfte, und die braunen Hörnchen lockten in dem vergoldeten Kuchenkörbchen.

Aber Frau von Blachrieth sah nicht behaglich, sondern sorglich aus. Sie hatte schon ein paarmal suchende Blicke hinaus geworfen. Da knirschten endlich eilige Schritte auf dem Gartenwege, und Heino trat rasch unter das weiß und blau gestreifte Zeltdach.

„Ich habe für heute Nachmittag eine Partie nach Himmelgarten arrangirt und rechne dabei sehr auf die Theilnahme und Unterstützung meiner Damen,“ sagte er, wohlgelaunt sie begrüßend.

„Welche von unseren Bekannten nehmen Theil?“ fragte Frau von Blachrieth und blickte von der Badeliste auf, die sie studirte. „Unser Kultusminister jedenfalls.“

„Er hat mir geschrieben, daß er nur seiner Kur lebe und an keinem Vergnügen Antheil nehme,“ antwortete Heino.

Seine Mutter zog bedenklich die Augenbrauen in die Höhe. „Es wird hoffentlich kein übles Zeichen sein, daß er Deine Aufforderung refüsirt. Die Frau Oberhofmeisterin der hochseligen Fürstin hat doch zugesagt?"

„Mein Gott, Mama, die ist ja ganz kontrakt,“ entgegnete Heino schmollend.

„Nun, man kann ihr doch die Aufmerksamkeit erweisen; sie hat noch Einfluß bei Hofe."

„Sind Deine Freunde dabei?“ fragte Hedwig, während sie mit einer zierlichen elfenbeinernen Häkelnadel, die sie in den rosigen Fingern hielt, eifrig an einer feinen Spitzenkante arbeitete.

„Ravensburgk, ja,“ antwortete Heino. „Aber die Zeit war zu kurz, um Aufdermauer zu benachrichtigen.“

Hedwig schwieg und zählte die Maschen an einer Rosette.

Frau von Blachrieth examinirte weiter: „Wie steht’s mit Linskis?“

„Ravensburgk ist nicht ganz d’accord mit ihnen; das mag die Ursache sein, die sie danken ließ,“ entgegnete Heino schon gereizt.

Jetzt sah Frau von Blachriech ihn aufs Aeußerste erstaunt an. „Aber sage mir um Gotteswillen, wie kannst Du eine Partie arrangiren, an der sich eigentlich Niemand betheiligt?“

„Wenn außer den genannten Familien die gesammte andere Gesellschaft Niemand ist,“ entgegnete Heino beleidigt, „so ist Deine Bemerkung richtig, Mama. Uebrigens – hier ist das Verzeichniß; prüfe selbst!“

Mit einer Miene, die deutlich sagte, wie wenig Vertrauen ihr das Projekt einflößte, rückte Frau von Blachrieth die goldene Brille zurecht und entfaltete das Papier. „Frau von Nihiloff, um die ihr Töchterchen Vera herumtobt wie ein wilder Kosak; Mister Montagu, der es zu seiner Aufgabe gemacht hat, seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_279.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2021)