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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

wie er mit Wallenstein zu sagen pflegte, „in meines Glückes Schiff mit mir gestiegen“ war.

„Lassen Sie gut sein, Weißfisch,“ sagte ich, während er mir die weiße Kravatte knüpfte; „ich werde mich schon aus der Affaire ziehen. Jedenfalls verspreche ich Ihnen, daß ich mich so klug und geschickt benehmen will, als irgend in meinen Kräften steht; und wenn’s zum Vortrag kommt, meinen Max oder Romeo, oder was er sonst befehlen wird – hören Sie, Weißfisch, befehlen! – aber, um Gott, Mann, Sie werden mir doch nicht auch noch das Haar brennen?“

„Nur ein paar Locken auf der Stirn,“ sagte Weißfisch, der schon die Flamme in dem Spirituslämpchen entzündet hatte und jetzt nach der Scheere griff.

„Na, meinetwegen! Sie sollen nicht sagen, daß ich es an irgend etwas habe fehlen lassen.“

Und so stand ich denn, aufs Beste herausgeputzt, vor dem großen Stellspiegel und beschaute nachdenklich mein Bild. Es war mir kein fremdes mehr, wie vor dem Weißfisch’schen Regiment. Ich hatte mich seitdem gar oft in dem Spiegel gesehen, wenn ich nach seiner Anleitung meine theatralischen Posen und Mienen studirte und, da er mich immer wieder versicherte, daß ich ein hübscher Mensch sei, nach Ueberwindung der ersten keuschen Scheu, ein ganz herzhaftes Wohlgefallen an mir gefunden. Ich that das auch in diesem Moment; nur kam ich mir etwas blasser als gewöhnlich vor. Weißfisch sagte: es ist die Beleuchtung.

Es war nicht die Beleuchtung, wie ich an der ängstlichen Spannung in der Herzgegend spürte, als ich etwas später mit Weißfisch hinter dem Diener her, der uns zu holen gekommen war, anfangs durch einen Theil der mir bereits bekannten Korridore, dann durch neue, dann durch Gemächer und Säle, in denen es dunkel gewesen wäre, wenn der Diener nicht eine Laterne bei sich geführt hätte, einen Weg, der mir endlos schien, nach dem Flügel des Schlosses schritt, in welchem der Herzog wohnte. Nun eine Reihe von kleineren behaglicheren Räumen, die mäßig hell beleuchtet waren, und vor denen der Mann mit der Laterne Halt gemacht hatte, um uns einem neuen Diener auszuliefern, der uns eben wieder nur bis zu dem allerletzten Gemach führte, wo uns Jemand in schwarzem Frack und weißer Binde empfing, den ich für einen Herrn vom Hofe hielt, bis mein Blick auf seine unteren Extremitäten fiel, die in Kniehosen, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen staken, so daß ich ihn doch wohl nur für einen Kammerdiener nehmen durfte. Der Mann tauschte ein decentes Lächeln des Wiedersehens und Willkommens mit Weißfisch, nachdem er mich mit einer ernsten Verbeugung beehrt hatte, und wir standen vor einer weißseidenen Portière, die der Mann in den Kniehosen mit der einen Hand zurückschlug, während er zugleich mit der andern an einem Elfenbeinknopf die dahinter befindliche Thür zur Seite schob, eine zweite innere Portière hob und hinter uns – Weißfisch und mir, er selbst war draußen geblieben – fallen ließ.

Ein mäßig großes, mit Gegenständen aller Art überfülltes Gemach, dessen Beleuchtung hauptsächlich von einer mehrarmigen Lampe auszugehen schien auf einem großen, mit Büchern und Papieren und vielen anderen Gegenständen bedeckten Tisch, an welchem, uns den Rücken zuwendend, ein Herr stand und so hinreichend lange stehen blieb – es mögen aber trotzdem nur wenige Sekunden gewesen sein – daß ich jene obigen Beobachtungen anstellen konnte.

Nun machte der Herr eine Bewegung, aber ohne seinen Platz zu wechseln, und sagte, halb über die Schulter gewandt, in einer tiefen, trotz einiger Rauhheit wohllautenden Stimme:

„Ah, Weißfisch! und mein junger Protégé!“

Weißfisch und ich hatten uns gleichzeitig verbeugt; ich war aber mit meiner Verbeugung lange vor meinem Lehrer fertig, der nun im respektvollsten Ton, eben laut genug, um von dem Herrn verstanden zu werden, fragte: „Haben Hoheit sonst noch für mich Befehle?“

„Ich danke Ihnen,“ lautete die kurze Antwort.

Der Herzog – ich wußte also endlich sicher, daß er es war – hatte sich bereits wieder über den Schreibtisch gebeugt. Weißfisch machte abermals seine tiefe Verbeugung und war verschwunden.

In dem Moment richtete sich der Herzog, ein Papier, das er zur Hand genommen, auf den Tisch fallen lassend, zu seiner ganzen stattlichen Höhe empor und kam ein paar rasche Schritte von dem Tisch auf mich zu, blieb abermals stehen und sagte; „Treten Sie näher!“

Ich that es, bis ich mich in schicklicher Entfernung von ihm glaubte, und sah ihm gerade in die Augen, weil dieselben mit einem bis zur Herbheit festen, prüfenden Blick auf mich gerichtet waren. Ich meinte, daß, wenn der hohe Herr, wie doch offenbar, mein armes Ich, so weit das durch den Blick möglich ist, ergründen wollte, ich ihm das nach Kräften erleichtern müsse und nicht etwa durch ein kindisches Niederschlagen der Augen erschweren dürfe.

Auf keinen Fall hatte ich ihn durch meine Kühnheit beleidigt, denn nachdem wir ein paar Momente, die mir allerdings ein wenig lang erschienen, uns so gegenüber gestanden und in die Augen geblickt hatten, glitt etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht, und er reichte mir die Hand, indem er gleichzeiug sagte:

„Ich freue mich, daß Sie gekommen sind. Aber setzen wir uns dorthin!“

Er wies auf eine Nische in der Wand, die an den Rändern mit einem schmalen Vorhang drapirt und mit einem Sofa ausgestattet war, auf welchem er jetzt Platz nahm, mir winkend, mich auf einem Stuhl in seiner unmittelbaren Nähe zu setzen.

„So!“ sagte er. „Und nun lassen Sie uns ein wenig plaudern. Ich habe genau eine halbe Stunde für Sie.“

(Fortsetzung folgt.)

Blätter und Blüthen.

Osterwasser. (Mit Illustration S. 26l.) Alles hat seine Zeit, die Zeit des Emporkeimens, der Blüthe und des Zerfallens. Diesem ehernen Naturgesetze sind ebenso wie die Menschen auch ihre Werke unterthan – und die schönsten Sitten und Bräuche machen von der Regel keine Ausnahme. Auch sie altern, verlieren an Frische und Zauber, bis sie verwelkt der Vergessenheit anheimfallen. An dieses Werden und Vergehen selbst der tiefsinnigsten Bräuche erinnert uns das stimmungsvolle Bild des Osterwasserholens.

Ein uralter Glaube führt die Mädchenschar zur Quelle um die stille feierliche Zeit, da am anbrechenden Ostermorgen der Himmel und die Wolken in Purpurgluth erröthen. Um diese Zeit soll die allmächtige Zauberin Natur in dem Wasser der Quellen und Ströme wunderbare Kräfte erzeugen. Von Geschlecht zu Geschlecht berichtete der Volksmund, daß das „Osterwasser“ Krankheiten heile, daß es Jugendfrische und Schönheit dem Körper verleihe, Glück dem in Liebe erwachenden Herzen und Reichthum dem ehrgeizigen bringe. Jahrhunderte lang lebte dieser Glaube und stärkte nach seiner Art die schwindende Hoffnung in Tausenden kämpfender Herzen, bis die Menschheit weiser wurde, an das Märchen nicht mehr glaubte und Trost und Hoffnung bei dem Zeichen des Kreuzes suchte, das vom hohen Thurme Wacht hielt über die Häuserschar der Stadt und die frühen Wanderer am Ostermorgen an größere Verheißung, dauernderes Glück, besseres Leben gemahnte! Von der Sitte des Osterwasserholens blieb nur die leere schöne Form übrig, und so zog man jahraus jahrein in der Osterfrühe zum Fluß und Quell in froher lustiger Schar. Aber auch dieser Brauch verlor sich fast gänzlich, denn ihm fehlte die innere Weihe! Vor Jahrtausenden, als noch die altheidnische Göttin Ostera gläubige Verehrer in allen Gauen des Landes zählte, wurde die Osternacht anders gefeiert. Ihre Priesterinnen wuschen sich in klaren Quellen das Gesicht und verrichteten damit ein Hochamt der Göttin, welche alljährlich die Erde nach langem winterlichen Schlaf zum neuen Leben weckte, wie das Bad den Körper erfrischt. Das Osterwasser war nur ein Symbol eines tiefsinnigen auf Naturanschauung beruhenden Glaubens. Später, als der Kultus der Göttin und ihre Tempel und Haine und ihre Priesterinnen verschwunden waren und nur die Erinnerung an die vergangene Zeit im Volke fortlebte, ward der Glaube zum Aberglauben, welcher dem Symbol die göttlichen Kräfte zuschrieb. Was einst nur die Göttin zu schaffen vermochte, das sollte jetzt das Osterwasser wirken. Thörichter Wahn, den die Erfahrung Lügen strafte. Der Brauch gerieth in Zeiten des Verfalls, und er suchte in Ausflüchten sein Heil. Nun hieß es, man müsse heimlich das Osterwasser holen, wenn man seine Kraft erhalten wolle, man dürfe von Niemand beim Schöpfen überrascht werden, mit Niemand ein Wort wechseln und so weiter, und so weiter! Thörichter Wahn auch dieses, hörte man bald sagen, und nur der Gewohnheit halber wanderte man, wenn die ewigen Sterne am Himmel erloschen, wenn die Klänge der Auferstehungsmesse in christlichen Kirchen verhallt und verstummt waren, zum klaren Quell, um gedanken- und glaubenlos einen alten Brauch zu üben. Aber die vergessene Frühjahrsgöttin grollt nicht der Menschheit, selbst jetzt noch lohnt sie die Mühe den Auserwählten unter ihren unbewußten Verehrern. Durch das werdende Licht am Himmelszelt, durch das Murmeln der neugeborenen Wellen, durch die erwachenden Lieder der Vögel weckte sie und weckt allezeit in den zweifelnden Herzen den festen Glauben an die Unsterblichkeit und Ewigkeit des Lebens. *     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_274.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2024)