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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Die Andere.

Von0 W. Heimburg.
(Schluß.)


Ob mir gleich nichts daran lag, die Genesung schritt vorwärts. Es kam der Tag, an dem ich zum ersten Male das Bett auf eine Stunde verließ; es kam die Stunde, wo ich schon wieder am Tische mit Frau Roden saß und alle die guten Sachen essen konnte, mit denen Rekonvalescenten gewöhnlich verzogen werden; ich durfte im Sonnenschein der Mittagsstunde im Garten promeniren, und endlich war ich gesund, ganz gesund.

Mich hielt nichts mehr zurück von meinem Entschluß, nach Berlin zu gehen, als eine thörichte Bangigkeit, eine kaum zu überwindende Angst vor dem Abschied aus diesem Hause. Und eines Abends, als wir still neben einander saßen im Wohnzimmer, begann ich schweren Herzens von meinen Plänen zu sprechen.

Die alte Frau lächelte. „Ich habe keine Vollmacht, Ihre Abreise zu erlauben.“

Ich war noch nervös und reizbar, und meine Antwort fiel wunderbar genug aus, indem ich erregt bemerkte: „Ich brauche Niemandes Erlaubniß für meine Schritte!“

Sie nahm es mir entschieden nicht übel; ja, sie that sogar, als habe sie nichts gehört und verstanden. Sie sagte nur bittend: „So lange Fritz noch fort bleibt, wollen Sie mich doch nicht verlassen, Tone? Es ist zwar nicht hübsch, wenn man dergleichen eingesteht, aber ich weiß, Ihnen gegenüber darf ich ehrlich sein – mich hat die Angst und die Pflege ein klein wenig angestrengt, Kindchen. Und der Fritz – Männer haben ja gar kein Verständniß für dergleichen – wollte es durchaus nicht zugehen, daß eine andere Hand Sie berührte, als die meine.“ Und dabei bog sie sich zu mir herüber; wider Willen mußten meine Augen in die ihrigen sehen.

„Bis er kommt, ja,“ stammelte ich; „aber seien Sie ehrlich, sagen Sie mir den Tag seiner Rückkehr.“

Sie that, als begreife sie noch immer nicht. „Früher überraschte er mich gern einmal. Nun überhaupt, Tonchen, was soll das eigentlich bedeuten? Fürchten Sie sich vor Fritz, was that er Ihnen?“

„Ich kann es Ihnen nicht erzählen! – Wenn er es nicht that –.“

„Ich weiß nichts! Ich wunderte mich nur über die Abreise von Charlotte. Hurr! Burr! Hast Du nicht gesehen! wurden die Koffer gepackt; es war ein Getöse in den oberen Zimmern, daß wir schleunigst hier unten das Bett für Sie rüsteten; Fritz kam, er wußte nicht wie schnell, in sein altes Zimmer. Derweil lagen Sie in der Wohnstube auf dem Sopha und schwatzten lauter wunderliches Zeug. – Es war da mit einem Male eine Menge Menschen in unserem Hause, die von Rechts wegen gar nicht hinein gehörte; bei Ihnen saß der Doktor und schüttelte den Kopf, und oben der Kammerherr, den Lotte in größter Hast rufen ließ und den Rieke noch traf, als er just in den Wagen steigen wollte. Dazu lief Anita treppauf, treppab mit Kisten und Kasten, und ich stand rathlos zwischen alle dem und hatte keine Ahnung, was denn eigentlich passirt sei. Fritz schwieg wie ein Stock, und was Sie zusammensprachen, hatte keinen Sinn.

Am anderen Morgen um neun Uhr kam Lotte herunter; sie war im schwarzen Sammetmantel mit duftigem Pelzbesatz und nahm Abschied von Ihnen. Sie schien es sehr eilig zu haben, draußen hielt schon der prinzliche Reisewagen. Fritz begleitete sie hinaus, und am Schlag stand der Kammerherr von Oerzen mit abgezogenem Hut, als wäre sie die Fürstin selbst. – ‚Schreiben Sie mir, wenn sich Tone’s Zustand verschlimmern sollte!‘ rief sie Fritz zu, der ihr eine Verbeugung machte, die tiefste, die er in seinem ganzen Leben fertig bekommen. Dann zogen die Pferde an, und weg war sie.

Als Fritz wieder in das Zimmer kam, hielt ich ihn am Rockzipfel fest. ‚Jetzt sagst Du, was es gegeben hat,‘ drängte ich. – ‚Wenn sie gesund ist, Mutter,‘ wehrte er ab, ‚laß mich jetzt, geh zu ihr.‘ – Weiter weiß ich nichts," schloß die alte Frau.

„Und Lotte, hat sie nicht geschrieben?“

„Nein, nur einige Karten mit kurzen Anfragen nach Ihrem Befinden. Just Weihnachten war es am schlimmsten; nun ist Alles überstanden, Gott sei Dank! Da draußen Sieg auf Sieg, wir haben einen Kaiser von Deutschland und unser Fritz – ich meine nicht den Kronprinzen von Preußen, Tone, sondern unseren eigenen – er hat das Eiserne Kreuz, am Weihnachtsheiligabend kam es an.“

Unser Fritz! Ich schüttelte den Kopf und stand auf. Sie wußte wirklich nichts?

Ich blieb. Aengstlich forschte ich nach Eintreffen eines jeden Briefes, der aus Wiesbaden kam: Wann kehrt er heim? Es war noch immer nicht abzusehen.

Leise nahte der Vorfrühling, und als die ersten Schneeglöckchen im Garten blühten, da läuteten sie lieblich den Frieden ein, im Feldlager ruhten die Waffen, unser Kaiser hatte Versailles verlassen und ging nach Berlin. Niemals ist wohl über Deutschland ein Lenz herrlicher aufgegangen! War das ein Jubeln, ein Freuen. „Wenn er wiederkommt!“ Das war ein Wort, tausendmal konnte man es hören in jenen Tagen. „Wenn er wiederkommt!“

Es war am siebenten März, da hörte ich es auch, das Wort, als ich durch die Küche ging. Rieke sprach es aus: „Wenn er wiederkommt, gehen wir zusammen zu den Eltern und im Sommer wird geheirathet! Mädchens, ihr kommt sammt und sonders auf die Hochzeit!“

Ich wandte mich und blickte in das freudig strahlende rothe Mädchengesicht; sie sahen Alle heute so übervergnügt aus da in der Küche.

Im Begriff, das Wohnzimmer zu betreten, erblickte ich Frau Roden, die aus der Stube ihres Sohnes kam mit einem Staubtuch. „Ja, wenn man nicht immer einmal aufräumt, Kind,“ sprach sie, „so wächst einem der Staub über den Kopf.“ Und sie trat in die Hausthür und schlug energisch das Tuch aus.

Da draußen fluthete goldener Sonnenschein über die Dächer und die krausen Bäume. Ein Frühlingstag, so ahnungsvoll und glückverheißend, der das Menschenherz weit macht und an alles Gute, Herrliche glauben läßt. „Möchten Sie nicht einen Gang durch den Garten machen, Tonchen? Es sollte mich wundern, wenn noch keine Veilchen heraus wären,“ sagte sie, als ich neben ihr stand und über den Hof schaute.

„Wo will der Wagen hin?“ fragte ich, als eben der Kutscher die Pferde vor den Landauer spannte.

„Zum Wagenbauer,“ entgegnete Frau Roden; „das rechte – nein, das linke Vorderrad ist beschädigt.“

„Und dazu zieht er Livree an?“

„Aber Kind, er soll wohl in der Stalljacke auf dem Kutscherbock sitzen? Da kennen Sie den Jürgen schlecht.“

Ich blickte sie forschend an, aber sie sah unbefangen in den lichtblauen Himmel empor, an dem einige zartweiße Wölkchen standen.

„Ach, ist das ein Tag!“ sagte sie entzückt. Und nach einer Weile: „Ich muß an alle Die denken, die sich des Frühlings nicht freuen können, weil er nicht wiederkommt. Tone, wenn wir hier so ständen und sähen über den Hof und wüßten ganz genau, niemals käme er wieder da drüben gegangen, niemals wieder hörte ich seine Stimme – ich glaube, ich könnte den blauen Himmel und den Sonnenschein nicht mehr ertragen.“

Mir war es bei dieser Vorstellung, als erbleiche wirklich die Sonne, als werde das Blau dort oben ein einförmiges trauriges Grau. „Es müßte entsetzlich sein!“ flüsterten meine Lippen, aber inwendig murrte es bitter und häßlich: Was geht es Dich an!

Dann fiel mir ein, daß ich schon seit gestern einen Brief von Lotte in der Tasche trug, den zu lesen ich mich noch nicht entschließen konnte. Ich ging rasch in meine Stube und erbrach ihn. „Liebe Tone,“ schrieb sie, „von Tag zu Tag warte ich auf Deine Verlobungsanzeige; wo bleibt sie? Ich irre mich doch nicht, ich meine, Fritz hat mir einmal gesagt, daß er Dich liebt, und ich bin neugierig, zu erfahren, ob er den Muth gehabt hat, Dich zu fragen – –“

Ich ballte das Papier zusammen, ich konnte nicht weiter lesen. Wäre ich doch fort von hier! Ich war so seltsam unruhig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_266.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2021)