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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

von Gold und Sapphiren bis zu ihrer Verstoßung durch den Ritter, als er entdeckte, daß sie eine Nixe war, und seiner Bußfahrt nach dem gelobten Lande.“

„Es wird etwas Wahres an der Geschichte sein,“ antwortete Georg, indem er ein Rebhuhn zerlegte. „Wahrscheinlich ist die Stammmutter der Falkenecks die Erbtochter eines heidnischen Häuptlings der Gegend gewesen. Ihre Schätze erklären sich daraus, daß die Lora in früheren Zeiten Goldkörner geführt hat und Sapphire in den Basaltbergen ihrer Ufer gefunden wurden. Die reiche Erbin wird von dem mit Karl dem Großen eindringenden christlichen Ritter zum Christenthum bekehrt und gefreit worden sein. Wahrscheinlich hat sie aber von den alten heidnischen Gebräuchen nicht lassen konnen – vielleicht zu viel gescheuert und gewaschen – und ist von ihrem Gatten dabei überrascht und fortgejagt worden, wie ihr für ihren Ungehorsam gebührte. Wenn Dir die Geschichte Spaß macht, freut es mich. Dann ist der Unsinn doch zu etwas gut.“

Heino sah ihn mit großen Augen an.

„Spaß? Ich trage schwer an der Aufgabe.“

„So laß die Hexe in ihrem Wasser sitzen,“ rieth Georg. „Gott solle mich bewahren, daß ich mir unnöthiger Weise ein solches Kreuz auf den Hals lüde.“

„Nein,“ rief Heino schwärmerisch, „sie hat es mir angethan, obgleich sie am wenigsten deutlich aus der Sage heraustritt. Es ist, als sähe man ihre Gestalt nur fern durch das Wasser herauf schimmern. Die Sapphiraugen, das goldne Haar sind erkennbar; sie selbst aber bleibt verhüllt. Und was übt wunderbareren Zauber aus als das Geheimnißvolle?“

Georg zuckte die Achseln.

„Ich lobe mir klare Verhältnisse, besonders, wenn es sich um Frauen handelt. Aber bei einer Dichtung mag das anders sein.“

„Ja wohl ist es da anders,“ seufzte Heino. „Ich fühle, daß das glatte, klare Alltagsleben, in das ich geschmiedet bin, Bleigewichte auf die Flügel meines Geistes legt. Aber der Bann muß gesprengt werden, der meinen Genius gefangen hält, sei es selbst durch ein schweres Schicksal – ich will den Göttern dafür danken.“

„Mensch, versündige Dich nicht,“ rief Georg unwillig. „Wir wollen gehen und Kaffee trinken. Ich glaube, die Luft hier benebelt den Verstand.“

Der Freund gefiel ihm gar nicht mehr. War Blachrieth verwandelt, oder hatte er selbst in seiner früheren Jugendeselei sich ein falsches Bild von ihm gemacht?

Sie tranken ihre Gläser aus und begaben sich in die von Schlingpflanzen umrankte, mit Topfgewächsen geschmückte Veranda, welche sich vor dem Saale hinzog.

Mehrere elegant gekleidete Herren saßen bereits dort in bequemen Schaukelstühlen, plaudernd, rauchend und ihren Kaffee nehmend. Heino war mit ihnen bekannt und stellte seinen Freund vor. Man wechselte einige flüchtige Worte, und die beiden neu Angekommenen schlossen sich den Andern an. Ungenirt kehrten diese zu dem Gesprächsthema zurück, welches sie vorher beschäftigt hatte.

„Sie muß herein sein,“ bemerkte der Eine, welcher einen Anzug von auffallendem karrirten Stoff trug. „Die Beletage des Lora-Flügels ist offenbar alarmirt.“

„Vor einer Stunde war sie noch nicht da,“ beharrte ein Anderer. „Ich selbst sprach mit dem Geschäftsführer des Kurhauses.“

„Ist das wieder diese verwünschte Paloty?“ fragte Georg, sich oerzweifelt in seine dunklen, unter kurzem militärischen Schnitt gehaltenen Haare fahrend.

„Ganz richtig; Frau Paloty mit ihrer Tochter Leonore,“ erwiderte Ravensburgk. „Oder besser gesagt: Fräulein Leonore Paloty mit ihrer Mutter.“

„Wenn es überhaupt ihre Mutter ist,“ wendete der „Sohn seiner Mutter“ ein.

„Freilich ist es ihre Mutter,“ stritt der Großkarrirte, der Baron Pölz genannt wurde. „Sie führt den Familiennamen der Mutter.“

„Sind Sie so genau in die etwas dunklen Verhältnisse eingeweiht? Vielleicht als Apostel der Aufklärung ausgesendet?“ fragte Ravensburgk, indem er seinen von Gichtschmerzen geplagten Arm ächzend knetete.

„Für Geld ist Alles zu haben,“ lachte Pölz. „Es kommt nur darauf an, ob man den Preis zahlen kann. Als die Palotys in der vorigen Saison hier auftraten und uns Allen durch Erscheinung und Verhältnisse ein Räthsel aufgaben, ließ ich meine geheimen Federn spielen, und es dauerte nicht lange, so hatte ich die Auflösung.“

„Ah,“ machten die Herren, blaue Ringe in die Luft blasend.

„Frau Paloty,“ erzählte wohlgefällig Pölz, „ist die Tochter eines böhmischen Kapellmeisters oder Komponisten, kurz, eines Musikanten, die durch ihre Schönheit Herz und Hand eines Herrn von guter Familie gewonnen hat. Die Ehe ist, wie unter solchen Verhältnissen meistens, unglücklich ausgefallen, und der Mann, von seinem Vater enterbt, in die weite Welt gegangen. Die Tochter aber ist die alleinige Erbin des steinreichen Großvaters geworden.“

„Wozu aber die Annahme des mütterlichen Namens?“ warf man ein.

„Einer Grille des Erblassers zu genügen,“ lautete die Antwort.

„Vielleicht fürchtete er, daß der Name auch durch die weibliche Descendenz kompromittirt werde,“ sagte Ravensburgk. „Aber wie lautete dieser abgeworfene Name?“

Jetzt mußte Pölz seine Unwissenheit zugestehen und damit die Glaubwürdigkeit seiner Nachrichten selbst erschüttern.

Der Bergrath hatte gehört, die Palotys seien russische Emissärinnen und deßhalb ihnen gegenüber Vorsicht geboten.

„Kommt der schwarze Mann noch immer nicht zur Ruhe?“ lachte Georg.

„Der schwarze Mann stirbt nicht,“ belehrte Ravensburgk. „Immer wieder wird er bei kleinen und großen Kindern seine Auferstehung halten, so oft sie auch die Strohpuppe hinter der schwarzen Vermummung erkannt haben. Die Menschheit bedarf der Scheuchen auf allen Feldern ihrer Thätigkeit – sei es Politik oder Religion – wie das Spatzenvolk des Butzemanns in den Weizenfeldern. Uebrigens ist es ja gleichgültig, was die Palotys sind. Wenn wir uns an einer schönen Blume freuen, fragen wir auch nicht danach, ob sie in einem Treibhause oder auf dem Kehrichthaufen gewachsen ist.“

Georg fühlte sich von der Unterhaltung gelangweilt. Er erhob sich und ging; Heino und Ravensburgk schlossen sich ihm an.

In diesem Augenblick rasselte ein von vier lang gespannten Pferden gezogener eleganter Reisewagen an ihnen vorüber. Aus dem Fenster bog sich über ein riesiges Bouquet ein verschleierter weiblicher Kopf und erwiderte den kecken Gruß Ravensburgk’s.

„Sie!“ sagte dieser, indem er das Glas aus dem Auge fallen ließ. „Fräulein Leonore Paloty ist einpassirt.“

Heino blieb stehen und blickte dem Wagen nach, der, gefolgt von einem andern Wagen mit zierlichen Zofen und riesigen Koffern, am Portal des Kurhauses vorfuhr.

Die Glocke annoncirte die Ankommenden mit einem wahren Sturmgeläut; die zusammenlaufenden Kellner bildeten eine Gasse; die von ihren Sitzen herabspringende Dienerschaft gesellte sich dazu. Der Schlag wurde geöffnet.

Aber von den Insassen konnte Heino vor dem schwarz befrackten Garçonspalier nichts erkennen.

Nur ein grausilbern schimmerndes Schleppkleid huschte wie ein Schlangenschweif an der Erde hin, die Stufen hinauf und verschwand in der Pforte.

Georg aber hatte bei der abermaligen Nennung des Namens das Hasenpanier ergriffen.




Die Abendpromenade hatte begonnen. In rastlosen Verschlingungen wechselten die Gruppen auf dem Kurplatz, zogen sich von hier nach der Rotunde, welche die heißen Quellen überwölbte, und von da nach den Gartenwegen und Alleen hin.

Die festen Pole in der Erscheinungen Flucht bildeten die Badeärzte, welche gleich Beichtvätern einmal nach rechts, einmal nach links sich beugten, leise Klagen entgegennahmen, neue Verordnungen erließen.

Das Ohr des Geheimen Medicinalrathes hatte Frau von Blachrieth erobert. Den goldenen Knopf seines Stockes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_259.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2020)