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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

mit zitternden Fingern legte ich die Binde um und heftete die Nadel darein. „Und daß gerade Sie und Lotte mir diese Rathschläge geben, das macht mich lachen!" stieß ich hervor. Aber ich lachte nicht; mir liefen die Thränen aus den Augen.

Er sprang auf die Füße und hielt mich bei der Hand. „Lachen Sie doch,“ sagte er, „lachen Sie gründlich, Sie haben Recht. – Aber daß Sie mich daran erinnern, Sie – –“

„Ich wollte Ihnen nicht weh thun,“ stotterte ich; er sah so blaß auf einmal aus.

„Ich Ihnen auch nicht, bei Gott nicht!“

So standen wir neben einander, und noch immer hielt er meine Hände. „Ich will Sie um Verzeihung bitteb, Tone,“ flüsterte er, „wenn – –“

„Nein, nein!“ wehrte ich ab; ich ahnte, was das ‚Wenn‘ heißen sollte. Und als in diesem Augenblick wieder Lotte’s Klavierspiel herunter scholl, da konnte ich es nicht lassen, und wie im Scherz sprach ich seine eigenen Worte: „Ueberlegen Sie, Fritz, überlegen Sie!“ Und dabei kamen mir wieder die dummen Thränen auf den Wangen heruntergelaufen, und ich konnte sie nicht einmal trocknen, denn er hielt meine beiden Hände noch immer fest und ließ sie eine ganze Weile nicht los. „Sie liebe treue Rathgeberin!“ sagte er warm; aber eine Antwort auf meine Warnung bekam ich nicht. Er seufzte nur, ließ meine Hand sinken und setzte sich still an den Tisch; und still ging ich hinaus.

Es war wohl schon zu spät.

Und sein Stolz? „In Liebessachen kennen die Männer keinen Stolz,“ sagte meine Großmutter einmal. – Auch er nicht? Wie durfte, wie konnte ein Mann die Frau noch einmal an seine Seite ziehen, die ihn betrogen?

Bang und grübelnd setzte ich mich zu der alten Dame, die mit sorgenvoller Miene am Tische strickte. „Haben Sie geweint?“ fragte sie.

Ich wurde verwirrt und küßte ihre Hand.

„Die Heirathsgeschichte geht Ihnen im Kopfe herum, Tonchen.“

„Schelten Sie mich und halten Sie mich für unvernünftig, liebe Frau Roden, – ich kann den Hauptmann von Brenken nicht heirathen,“ erklärte ich fest.

„Ach Kind,“ sagte sie, „ich Sie schelten? Gott sei gelobt – es war mir ja, als wollte Einer meine eigne Tochter wegholen.“ Und sie küßte mich auf beide Augen. „In die Augen hatte sich der Mann verliebt und in dies liebe Gesicht? Aber es ist wirklich wahr, Tonchen, Sie sind hübsch! Ich habe es zwar schon immer gewußt, so wie heute ist es mir aber noch nicht aufgefallen; – muß mich da ein Wildfremder erst aufmerksam machen!“

Und sie küßte mich und sah mich freudig erregt an; und mir war doch so bang zu Muthe. Wo war mein Stolz geblieben?




Am andern Morgen ließ der Kammerherr fragen, wann Frau Gräfin zu sprechen sei. Lotte, die gerade am Kaffeetisch in unserem Stübchen saß, gab den Bescheid: „Um fünf Uhr Abends.“

Anita verzog den Mund zum Lächeln, denn sie hatte eben erzählt, daß Herr von Oerzen um vier Uhr wieder abzureisen gedächte, weil er Abends bei der Frau Herzogin zur Tafel befohlen sei. Ich glaubte, Lotte habe es überhört, und bemerkte: „Aber Lotte, das geht nicht, Herr von Oerzen will doch – –“

„Um fünf Uhr!“ unterbrach sie mich. „Ich habe Kopfschmerzen und bin nicht im Stande, eine aufregende Unterhaltung zu führen; gegen Abend wird es gewöhnlich besser; ich kenne mich.“

„Lotte, wenn Du nur nicht auf mich dabei rechnen willst; ich kann nicht bei Dir bleiben, weil ich Frau Roden versprochen habe, Besorgungen mit ihr zu machen.“

„Aber, süßes Kind, ich habe Dich ja noch gar nicht aufgefordert, dieser Konferenz beizuwohnen.“

„Dann ist es gut,“ sagte ich ärgerlich über ihren ironischen Ton.

Lotte trank ruhig ihren Kaffee aus, verabschiedete Anita, die noch immer an der Thüre stand, und ging in das Schlafzimmer. Ich horte sie am Kleiderschrank und an der Kommode kramen; dann kam sie wieder, über den Arm ein weißes Kaschmirnegligé und begann die blaßblauen Schleifen davon abzutrennen.

Ich wußte nicht recht, was das bedeuten sollte, und ging hinunter, den Pflichten nach, welche die alte Frau mir allmählich im Haushalte übertragen hatte. Einige Stunden war ich, mit dem klappernden Schlüsselbund an der Seite, umher gewandert, im Keller und in der Wäschekammer, nun kam die gemüthliche Frühstücksstunde und die neue Zeitung. Frau Roden war aufgeräumt und guter Dinge, sie saß neben Fritz und schrieb einen langen Zettel für Weihnachtskommissionen. „Tonchen, nun machen Sie ein anderes Gesicht,“ bat sie, „weinen Sie nicht um die Angelegenheit mit dem Kammerherrn, die Sache wird sich schon ausgleichen.“

Aber ich konnte meiner Stimmung nicht Herr werden; ich hatte es auf der Zunge, zu bitten: lassen Sie mich heute hier! Mir war Lotte’s Wesen so räthselhaft, erschien mir so siegesgewiß; irgend etwas plante sie. ich mußte immer daran denken, sie setze sich während unserer Abwesenheit Fritz gegenüber im dämmerigen Zimmer und erzähle ihm und lache mit ihrer klingenden Stimme, die so süß und weich sein konnte; und dann und dann – – Ich war auf dem Punkte, vor brennender Angst zu weinen: sie – so schön und klug, und er hatte sie so lieb!

Lotte ließ sich Kopfschmerzen halber bei Tische entschuldigen. Ich wußte aber, sie lag auf dem Sofa, las und knabberte Bonbons. Frau Roden, die mitleidig hilfsbereit mit Eau de Cologne und Citronenscheiben hinaufeilen wollte, hielt ich nur mit Mühe zurück.

„Ach so!“ lächelte sie. Sie kannte diese Kopfschmerzen noch aus der Brautzeit her.

Als ich gegen vier Uhr hinaufkam, um Hut und Mantel zum Ausgehen zu holen, blieb ich staunend an der Schwelle des Schlafzimmers stehen; Lotte war im weißen spitzenbesetzten Kaschmirkleid und steckte sich eben ein zierliches Häubchen auf das dunkle Haar. Reizend sah sie aus in diesem einfachen Anzug, dessen eleganter Schnitt der Figur sich vollendet anpaßte. Aber mir ward nur noch beklommener zu Muthe.

„Wozu das?“ fragte ich.

Sie erröthete ein wenig und nahm das Flakon mit ihrem Parfüm.

„Ich glaubte, Du seist ausgegangen,“ erwiderte sie ausweichend und rauschte an mir vorüber wie eine Fee, nur eine Wolke des schweren süßen Geruches blieb im Zimmer. Ich hörte, wie sie sich drinnen wieder auf das Sofa legte; über die Lampenglocke hatte sie wohl den purpurrothen Seidenschirm geworfen, wie sie es liebte, denn gluthrothes Licht quoll durch die Thürspalte. Ich konnte mich nicht entschließen, sie noch einmal zu sehen, und ging direkt aus der Schlafstube hinunter.

Im Hausflur stand die Frau Amtsräthin schon bereit; Rieke mit der Laterne und einem mächtigen Handkorb schritt voran. Und so, die alte Dame am Arm, wanderte ich vom Hofe. Unter den Kastanien eilte ein Herr an uns vorüber mit leichtem eleganten Schritt, das war der Kammerherr.

„Gott im Himmel, was wird Lotte thun?“

„Aengstigen Sie sich nur nicht, Tonchen,“ tröstete Frau Roden, „es wird schon Alles gut werden.“ – Ob sie denn gar nicht mehr besorgt war? Oder hatte sie sich darein gefunden, daß die Beiden – –?

Und aus einem Laden wanderten wir in den andern; ich achtete kaum der Einkäufe und schrak wie aus einem Traume empor, wenn die Frau Amtsräthin mich um meine Ansicht über dies und jenes fragte. Ich sah nur immer das weiße Kleid vor mir, das purpurrothe Licht darüber ausgegossen; das Antlitz, das so schön, die Augen, die so gluthvoll blicken konnten!

Und Minuten auf Minuten verrannen, endlos schienen die Besorgungen. Ich zählte in Gedanken die Stufen der Treppe, ich sah zwei kleine Füße darauf hinunter gleiten und sah eine weiße Schleppe durch den Hausflur rieseln; meinte ein leises Klopfen an einer wohlbekannten Thür zu hören und die klare Stimme: „Darf ich eintreten?“

Wie hundertmal hatte ich diese Frage während der letzten Wochen gehört! Ich preßte die Hände im Muff zusammen:

„Ja, ja!“ antwortete ich zerstreut auf eine Frage der alten Dame.

„Aber Tone, was ist Ihnen? Sie sehen ja so wunderlich blaß aus?“ fragte sie und blickte von der Reihe Petroleumlampen, die zur Auswahl vor ihr stand, in mein Gesicht.

„Augenblicklich gehen Sie nach Hause, Kind,“ fuhr sie fort, „ich werde allein fertig. Gehen Sie, Tonchen!“

Ich gehorchte ganz mechanisch. Eine Weile stand ich noch auf dem Bürgersteig im Schein des Ladenfensters, als müsse ich mich besinnen auf das, was ich eigentlich wollte, dann trieb es mich vorwärts durch die spärlich erhellten Straßen. Ob es Ahnungen giebt? Ich glaiibe daran seit jener Stunde.

Durch die kahlen Aeste der Bäume schimmerte mir das rothe Licht entgegen, und darin glitt ein Schatten auf und ab. Ich blickte hinauf; also noch immer war der Kammerherr oben – Gottlob!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_252.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2020)