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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Und was sollte ich dort?“ fragte ich verwundert.

„Gar nichts, rein gar nichts; nur ihm auch gefallen, und dann lassen Sie für das Uebrige den Weißfisch sorgen – ich meine, wenn wir erst da sind. Und jetzt auch. Ich schaffe Alles, was Sie brauchen – Geld – Alles. Bringe Sie so sicher hin wie ein Kind in Abraham’s Schoß.“

Der Mann war so dringend, sprach so eifrig, ich sollte dies wirklich ernsthaft nehmen. Dann war wohl er möglicherweise bei Sinnen, hielt aber mich für verrückt.

„Wissen Sie, Herr Weißfisch,“ rief ich, „daß Sie mir einmal gesagt haben, das Leben an einem solchen Hofe sei eine einzige große Komödie; und ein anderes Mal, ich sei, trotz meiner Jugend, zu alt zum Komödienspiel? Da haben Sie meine Antwort, wenn dies Alles nicht ein wunderlicher Scherz ist, den Sie mit mir treiben.“

„Sie möchten Recht haben,“ murmelte er; „nur nicht, wie Sie es meinen. Sie sind zu alt, ein guter Komödiant zu werden. Wenn ich das gesagt habe – das nehme ich zurück. Aber zu dem anderen Komödienspiel – ja, dazu sind Sie freilich noch zu jung. Soll ich Ihnen dann nicht wenigstens Ihre Koffer packen? Ich verstehe das aus dem Grunde; und ehrlich bin ich, wenn der Herr Kammerherr auch zu sagen belieben, ich stehle wie ein Rabe.“

„Ich nehme es dankbar an,“ sagte ich, froh, daß der Mann seinen tollen Einfall fahren gelassen hatte. „Ich will mich unterdessen nach einem Wagen umsehen – im Dorf, natürlich, bei den Bauern.“

„Auch das würde ich gern besorgen,“ sagte er; „aber ich weiß zum Voraus, es ist unmöglich. Die Leute sind alle zu dem Pfaffen gelaufen; überdies brauchen die Bauern – es sind ja nur ihrer drei – ihre paar Pferde zu nöthig jetzt während der Ernte.“

„So gehe ich zu Fuß,“ rief ich entschlossen. „Lieber Alles, als mich hier wieder finden lassen, wenn sie zurückkommen.“

„Wird kaum etwas Anderes übrig bleiben,“ meinte Weißfisch. „Ich würde Sie gern ein Streckchen begleiten; aber ich kann nicht wohl abkommen.“

Mir war es lieb, daß er mich nicht begleiten konnte. Ich sehnte mich danach, allein zu sein; ich verlangte nur, fortzukommen; der Boden brannte mir unter den Füßen. Ich gab Weißfisch meinen Kommoden-, meinen Kofferschlüssel; er versprach, Alles pünktlich zu besorgen; auch den Brief, welchen ich an Ulrich in aller Eile schrieb, sofort abzugeben. Der Brief enthielt nur ein paar Zeilen: er möge mich bei seinen Eltern entschuldigen, denen ich meine Dankbarkeit für alle ihre große Freundlichkeit und Güte nicht besser beweisen zu können glaube, als indem ich sie in dem Augenblicke verlasse, wo sie sich überzeugt hätten, daß ich dieser Freundlichkeit und Güte niemals werth gewesen sei.

Wenige Minuten später trat ich aus dem Portal des Schlosses und durchschritt eilig den Hof. In dem Hofthore wandte ich mich, zu sehen, daß Weißfisch mir nicht folgte.

Und dann haftete mein starrer Blick unwillkürlich an der Stätte, die ich nun für immer verließ: das stolze Schloß, umfluthet vom Mittagssonnenschein, den schwere blaue Schatten, die hie und da hinter den vorspringenden Erkern kühlig lagen, nur noch heller und glänzender machten; der weite Hof, auf dem die mächtigen Linden stille Wacht hielten; zur Seite der Park, dessen gewaltige Baummassen im Glast verzitterten – wohl mochten sie sich glücklich schätzen, die Menschen, die hier wohnten, dies ihr Eigen nannten und jetzt hingegangen waren, Gott dafür zu danken und ihn anzuflehen, daß er ihnen ihr Glück erhalten möge. Ihr Glück von Edenhall! Wenn es brach, mich würde es nicht treffen, den Bettelarmen, der Nichts sein Eigen nannte, als den Wanderstab da in seiner Hand, an dem er durch die glühenden Felder sollte zurückkehren zu dem wurmstichigen Hause in der dumpfigen Hafengasse. Gott sei Dank! Ja, zurück zu dem lieben alten Hause! Zurück zu dem lieben alten Vater, zu ihm, in seinem treuen Arme, an seinem Herzen mich auszuweinen von all dem Leid und all der Noth in dieser stolzen liebeleeren Welt!

Und, die Mütze fest in die Stirn drückend und den Stab fester fassend, kehrte ich dem Schloß den Rücken und wanderte fürbaß.


11.

Meine Wanderschaft sollte länger dauern, als ich gedacht hatte, und anders enden, ach, so anders!

Ich war bereits zwei Stunden unterwegs und hatte, nach meiner Berechnung, etwa ein Drittel der Entfernung zurückgelegt, die mich von der Stadt trennte. Nur ein paar Mal war ich über den Weg im Ungewissen gewesen, und einmal war ich sogar von demselben abgekommen, hatte mich aber nach kurzer Zeit wieder zurecht gefunden. Einen Menschen, den ich hätte finden können, fand ich nicht. Die Landschaft war wie ausgestorben; endlos breiteten sich die Kornfelder, in denen sich kaum ein längerer Halm an der Wegseite rührte und die Grillen rastlos schwirrten; in einer gelegentlichen Koppel ein paar Füllen oder Kälber, die sich in dem schmalen Schatten der kurzstämmigen verkrüppelten Weiden zusammengedrängt hatten; auf dem Dresch, in scheuer Entfernung vom Wege, ein Paar blauglänzende Kolkraben; über dem Rande des nahen Waldes ein Habicht, der in der blauen Luft seine Kreise zog – sonst kein lebendes Geschöpf in der weiten Runde.

Der Schweiß rann mir von der glühenden Stirn, die Zunge klebte mir am Gaumen – ich achtete es nicht. Mir war, als ob eine unwiderstehliche Kraft mich vorwärts zöge; an das, was hinter mir lag, dachte ich nicht mehr.

Und jetzt mußte ich doch hinter mich blicken.

Es war in dem Walde, den ich jetzt erreicht hatte, und durch welchen der Weg führte, dessen ich mich von der Hinfahrt deutlich erinnerte. Er hatte uns damals kühlenden Schatten gewährt, als wir auf schnellem Gefährt desselben kaum bedurften. Nun war mir die Labung doppelt willkommen, und ich wanderte ein wenig langsamer durch das Gras und den Lattich der Wegseite, als ich das Geräusch eines Wagens vernahm, der hinter mir herkam. In großer Eile, wie ich aus der schnell zunehmenden Deutlichkeit des Geräusches schließen mußte. Sollte es ein Wagen von Nonnendorf sein? Die Familie war inzwischen längst wieder zu Hause, Ulrich hatte meiaen Brief gelesen – es war ja äußerst unwahrscheinlich – dennoch, wenn sie hinter mir herkamen, mich zurückzuholen –

Ich hatte den Gedanken kaum gedacht, als ich bereits über den Graben gesprungen war und das Unterholz über mir zusammenschlug. Eben noch zur rechten Zeit. In der nächsten Minute war der Wagen, welchen mir eine scharfe Biegung des Weges verborgen hatte, auf derselben Stelle: derselbe offene Wagen, der mich und Ulrich nach Nonnendorf gefahren hatte; und Ulrich saß auf dem Rücksitz, vorn übergebeugt, eifrig nach vorwärts blickend, dem Kutscher, wie ich zu vernehmen glaubte, zurufend: er solle schneller fahren, während die Pferde doch schon in vollem Galopp ausgriffen, den leichten Wagen hinter sich durch die Löcher des schlecht gehauenen Weges schleudernd, daß es aussah, als ob derselbe im nächsten Augenblick umstürzen und zerschellen müsse.

„Ulrich!“

Ich hatte es laut gerufen; der Lärm der Räder, das Stampfen der Rosse hatte es übertönt. Schon war der Wagen hinter einer anderen Biegung des Weges verschwunden. Es war gut so. Ihm wäre ich gern um den Hals gefallen; und wenn er mich zornig mit seiner starken Faust da auf den moosigen Grund gestreckt hätte – von ihm hätte ich es gern erduldet. Aber die Anderen! Das Nasenrümpfen, das Hohnlächeln oder, schlimmer noch, die eisigglatte Höflichkeit, für die Nichts vorgefallen war. Nein, es war gut so. und er, wenn er auf dem Wege wieder umkehrte, da er mich noch immer nicht eingeholt, der ich doch einen so bedeutenden Vorsprung gar nicht hatte – er sollte mich auch dann nicht finden.

Und wie ein gejagtes Wild drängte ich mich weiter durch das dichte Gehölz und eilte dann auf glatterer Bahn zwischen den ragenden Stämmen tiefer in den Hochwald.

Es war natürlich meine Absicht gewesen, nach einem größeren Bogen durch den Wald am Rande desselben auf die Landstraße zurückzukehren; aber der Wald, der doch in meiner Erinnerung gar nicht so groß war, wollte kein Ende nehmen, und die Landstraße sich nicht wieder finden lassen. Dafür eine Menge Pfade, welche die Kreuz und die Quer zu laufen und mich, indem ich unsicher den einen oder den anderen verfolgte, immer tiefer in die

Irre zu locken schienen, denn es waren so bereits wieder zwei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_247.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2024)