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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Was will das werden?

(Fortsetzung.)


Kind, wie siehst Du denn aus?“ rief Schlagododro, als er endlich den Rausch, den er sich gestern Abend in seinem Unmuth getrunken, ausgeschlafen hatte, und ich ihn zum zweiten Frühstück abzuholen kam.

„Ich fühle mich nicht ganz wohl,“ erwiderte ich, mein Gesicht abwendend.

„Kind,“ rief er, „thu mir die einzige Liebe und fühle Dich wohl! Es ist so schon um des Teufels zu werden, seitdem der Kammerherr nicht mehr auf den Beinen und nun auch Onkel Egbert fort ist. Ihr seid doch noch die Einzigen, mit denen man ein vernünftiges Wort sprechen kann. Und nun jetzt mit Astolf und seinem Gefolge. War gestern eine nette Gesellschaft. Uebrigens alle Achtung, wie famos Du Dich Astolf gegenüber benommen hast! Ich habe es ja immer gesagt: Du bist ein Kavalier so gut –“

„Wie unsereiner. Bitte, sprich es nur ruhig aus! Der Tischlersjunge weiß, was ihm zukommt.“

Schlagododro blieb jäh auf der Treppe stehen und blickte mich starr an.

„Kind,“ sagte er, „Du bist wirklich krank, oder mit einem verzweifelt linken Fuß aus dem Bett gestiegen.“

Ich versuchte mit einem Scherz zu erwidern, der nicht recht gelingen wollte. So betraten wir beide verstimmt das Frühstückszimmer.

Aber auch sonst schien eine Wolke über der Gesellschaft zu hangen, dichter als die gewöhnliche Sonntagswolke, wie Schlagododro die feierliche Langeweile nannte, welche Frau von Vogtriz an einem solchen Tage für obligatorisch hielt und durch allerlei erbauliche Reden, bei denen ihr Fräulein Hersilie Drechsler pflichtschuldig assistirte, herbeizuführen und zu befördern suchte. Heute war ihr weißes faltenloses Gesicht noch besonders priesterlich anzusehen, und floß der Strom ihrer Rede noch besonders salbungsvoll. Ich sollte bald die Ursache erfahren.

Man war schon längst in Pastor Renner gedrungen, sich in dem ländlichen Kreise, in welchem er kandidirte, auch einmal als Prediger vorzuführen und so die etwa noch schwankenden Herzen im Sturm zu erobern. Die Zeit drängte; in der nächsten Woche fand die Wahl, welche wiederholt hinausgeschoben war, definitiv statt. So hatte sich denn Pastor Renner entschlossen, mit dem Prediger der Kirche, zu der auch Nonnendorf eingepfarrt und welche weitaus die bedeutendste des Kirchspiels war, für einmal zu alterniren, und gerade heute war der zu diesem Behufe ersehene Tag.

Dies Alles war gewiß längst den Mitgliedern der Familie bekannt gewesen, Schlagododro nicht ausgenommen, der wohl absichtlich zu mir von der Sache geschwiegen hatte, welche mir völlig neu war. Und völlig gleichgültig. Was ging es mich an, ob Pastor Renner heute in Granskow predigte? und ob er den Erfolg haben würde, den man sich davon verspreche? und ob die Kirche geräumig genug sein werde, die zweifellos von allen Seiten herbeiströmende Menge zu fassen?

„Auf jeden Fall haben wir unsere Plätze,“ sagte Herr von Vogtriz, etwas ungeduldig die Betrachtungen seiner Gemahlin unterbrechend. „Ich bitte nur gehorsamst, mir die Zahl derer, die mitwollen, genau anzugeben, damit ich danach das Anspannen bestellen kann.“

„Die mitwollen?“ erwiderte Frau von Vogtriz mit einem Erstaunen, das fast eine Falte in ihre Stirn gebracht hätte; „aber, lieber Udo, hier kann doch von Mitwollen nicht die Rede sein bei einer Gelegenheit, wo es sich darum handelt, seinen Eifer für die gute Sache – die Sache unserer Kirche und unsers Königs – an den Tag zu legen. Ich bin sogar der Meinung, daß unsere sämmtlichen Leute, so weit sie irgend zu entbehren sind, hinüber zu gehen haben, auch wenn sie voraussichtlich draußen bleiben müssen – es sieht immer imponirend aus – und ich habe, Deine Erlaubniß voraussetzend, schon gestern die betreffenden Ordres gegeben.“

„Meinetwegen,“ sagte Herr von Vogtriz, „da ich sie wenigstens nicht fahren zu lassen brauche. Also wie viel sind wir?“

„Acht, wie Du siehst,“ sagte Frau von Vogtriz, „da unser lieber Kammerherr ja leider nicht mit kann. Dafür hat Herr von Blewitz um die Erlaubniß gebeten, sich uns anschließen zu dürfen. Ich erwarte ihn jeden Augenblick. Also neun, lieber Udo.“

„Unbequeme Zahl,“ murmelte Herr von Vogtriz.

„Ich setze mich auf den Bock,“ rief Schlagododro.

„Es wird nicht nöthig sein, Ulrich,“ sagte ich, und mich dann zu Frau von Vogtriz wendend: „ich bitte auf mich nicht zu rechnen, gnädige Frau.“

„Nicht zu rechnen?“ wiederholte Frau von Vogtriz, die offenbar ihren Ohren nicht traute, meine letzten Worte.

„Ja, gnädige Frau; ich fühle mich nicht ganz wohl.“

„Ja, Mama,“ sagte Schlagododro, mir zu Hilfe kommend; „er hat es mir schon vorhin gesagt. Er sieht ja auch verteufelt schlecht aus.“

„Daß Du doch immer so häßliche Worte wählst – noch dazu an einem Sonntage!“ sagte Frau von Vogtriz. „Es ist positiv sündhaft. Uebrigens bin ich überzeugt, daß Dein Freund uns nur das Opfer bringen und zu Hause bleiben will, um mehr Platz zu schaffen.“

„Du solltest nicht so in Herrn Lorenz dringen, Mama,“ sagte Astolf, indem er zugleich Ellinor, die neben ihm saß, ein paar Kirschen auf den Teller legte; „ich glaube, Du thust Herrn Lorenz – Ellinor, wirst Du artig sein und Deine Kirschen essen? – keinen Gefallen damit nach seinem Rencontre mit Pastor Renner.“

„Das gehört nicht hierher!“ brauste Schlagododro auf mit einem wüthenden Blick auf seinen Bruder.

„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte Astolf ruhig; „ich glaubte, Deinem Freunde einen Gefallen zu thun, wenn ich ihm die Unannehmlichkeit, gerade Pastor Renner hören zu müssen, ersparen half.“

Es hatte sich jetzt wirklich beinahe eine Falte auf Frau von Vogtriz’ Stirn gebildet. Sie ließ ihre erstaunten Blicke von Einem zum Andern wandern und sagte:

„Aber ich verstehe Euch nicht: Unannehnlichkeit? Rencontre mit Pastor Renner? Wie kann Herr Lorenz ein Recontre mit Pastor Renner gehabt haben? Ich bitte, mir das zu erklären.“

Es war eine Todesstille um den Tisch. Ich sab Maria an: sie sollte mir bestätigen, daß ich nicht leichtsinnig mein Versprechen brach, daß ich nicht anders konnte. Aber sie saß da, völlig blaß, mit niedergeschlagenen Augen. So mochte es denn sein.

„Gnädige Frau,“ sagte ich –

„Ich bitte Dich, schweig!“ unterbrach mich Schlagododro heftig. Und, sich dann zu seiner Mutter wendend: „Ich meine, Mama, man solle einem Gaste seinen Willen lassen, ohne viel nach dem Warum? zu fragen; und ich glaube, daß mir der Papa darin zustimmen wird.“

„Jedenfalls danke ich Dir für Deine freundliche Belehrung,“ sagte Frau von Vogtriz gereizt.

„Gnädige Frau,“ begann ich von Neuem, entschlossen, das Wort nicht wieder abzugeben, bevor ich es gesagt „es thut mir unendlich leid, wenn es Sie, wie ich fürchten muß, kränkt und mich in Ihren Augen herabsetzt. Aber ich glaube Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl die Wahrheit schuldig zu sein. Daß ich mich zu unwohl fühle, um die Herrschaften zur Kirche zu begleiten, war in der That nur ein Vorwand. Die Wahrheit ist: ich kann nicht zu Pastor Renner in die Kirche gehen, da er das Recht hätte, mich hinauszuweisen, nachdem ich ihm meinen Unglauben offen bekannt habe; in Folge dessen seiner Zeit von ihm nicht eingesegnet bin und – muß ich wohl hinzufügen – auch nicht eingesegnet sein will, so wenig vom Herrn Pastor Renner, wie von einem Anderen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_245.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2024)