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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Von Ihnen wünsche ich nicht als Hofmann gewogen und behandelt zu werden,“ war seine ernste Antwort.

Laute Ausrufe des Entzückens von der voraus gegangenen Gesellschaft unterbrachen das Gespräch. Die Schlucht öffnete sich vor ihnen und zeigte ein schönes Landschaftsbild.

In weitem Becken breitete sich die Lora vor ihnen aus. In ihrem klaren Gewässer spiegelte sich der wolkenlose blaue Himmel, strichweise von den Sonnenstrahlen mit goldenen Schleiern überwebt. Der Wald des Hainberges zog sich bis hinab auf den frischen Rasen, an dem das Wasser vorüber rann, und warf seinen Schatten in die Fluth. Zur Seite stieg aus dem Wellenschaum der braune Fels, der die Ruine von Falkeneck trug, schroff empor, und am jenseitigen Ufer streckten sich Aehrenfelder, lachten Weinberge.

Mitten zwischen ihren Terrassen erhob sich eine Gruppe alter stattlicher Gebäude mit steilen Schieferdächern, spitzen Schornsteinen und einem grauen, von üppigem Epheu überzogenen Eckthurme.

„Da sind wir im Lora-Grund,“ verkündete der Präsident.

„Wem gehört das Haus drüben in den Weinbergen?“ fragte Hedwig.

„Seit alten Zeiten den Herren Aufdermauer,“ lautete die Antwort des Präsidenten. „Wie die vom Thurm wehende Flagge verkündet, ist der Herr anwesend. Er soll seit dem Tod seines Vaters seinen Wohnsitz hier genommen haben. Bis jetzt war er Officier und hat bei der Artillerie einer rheinischen Festung gestanden.“

Der „Sohn seiner Mutter“ lachte kurz und spöttisch auf. „Was diese Leute sich Alles herausnehmen! Sie haben einen Herrensitz, ziehen eine Fahne auf. Nur schade, daß Niemand ihr obskures Wappenzeichen kennt.“

Ravensburgk’s Blick streifte ihn mit Verachtung. „Sie irren sich. Ich kenne ihr Wappenbild, die Gabel, ganz gut von dem Flaschensiegel, welches ihren vortrefflichen Wein bezeichnet. Unser Hof bezog von dem Haus Aufdermauer Dessertweine. Uebrigens wollte der alte Herr durchaus nichts Anderes sein als ein wohl situirter bürgerlicher Mann. Er gehörte zu den respektablen Leuten, die von dem eigenen Stande würdig genug denken, um von einem andern nicht das Seine borgen zu wollen.“

Der Bergrath wandte sich ab und klopfte untersuchend mit einem kleinen Hammer, der den Griff seines Spazierstockes bildete, an einen Felsblock, welcher ehrlich auf seinem braunen Gesicht seine Abkunft von den Basaltbergen trug.

„Es ist ein reizender Punkt,“ sagte Frau von Blachrieth; „aber wir müssen uns doch einmal zur Rückkehr entschließen und fragen: ,wie kommen wir über die Lora auf den Weg nach Jungbrunnen?‘“

„Im Kahn, meine Gnädige,“ belehrte der Präsident. „Sehen Sie, gerade über Ihrem Fräulein Nichte hängt das Signalglöckchen, welches den Fährmann herbeiruft.“

An dem Riesenstamme des Eichbaumes, unter dem Hedwig Schutz gegen die Strahlen der Abendsonne gesucht hatte, hing, geschützt von einem kleinen Dächlein, die mit Moos und Grünspan gefleckte Glocke.

Als Hedwig das herabhängende Seil anzog, ertönte ein helles Stimmchen über das Wellengemurmel hinaus.

Und auf den Klang kam drüben von einem kleinen grauen Haus her, das am Fuße des Weinberges zwischen Edelkastanien sich versteckte, ein Mann, der zum Ufer hinab stieg und bald darauf in einem Kahn abstieß.

„Wir müssen uns angemessen vertheilen,“ empfahl Frau von Blachrieth, „damit der Kahn nicht umschlägt.“

„Das Gleichgewicht dürfte herzustellen sein, wenn Frau von Blachrieth auf der einen Seite, der Rest der Gesellschaft auf der anderen Platz nähme,“ murmelte Ravensburgk, mit einem ernsthaften Blick das Gewicht der Dame abschätzend.

„Brechen Sie mir lieber dort die blauen Blüthenrispen der Natterzunge, statt daß Sie sich selbst als solche auszeichnen,“ sagte Hedwig. „Ich will den Kranz mit ihr schließen.“

„Unter der Bedingung, daß ich das stachlichte Ding nicht zu tragen brauche,“ sagte Ravensburgk, indem er sich ächzend bückte. „Eilen Sie sich; da ist der Kahn.“

„Wird bei einem einzigen Ruderer es keine Gefahr haben, wenn wir uns gleichzeitig überholen lassen?“ fragte abermals bedenklich Frau von Blachrieth.

Ein Blick auf die hohe kräftige Gestalt des Fährmannes, der den Nachen mit der Stange fest an das Ufer drückte, verscheuchte ihre Besorgniß. Die Gesellschaft nahm Platz, und der Schiffer trieb seinen Kahn mit energischem Stoß in die rauschenden Wellen hinaus.

Seiner schlichten grauen grün paspoilirten Joppe nach mußte er ein Forstbediensteter sein, und darauf deutete auch ein weißer braun gefleckter Jagdhund, welcher, dem Verlauf der Fahrt mit gespanntem Blick folgend, drüben am Ufer saß und, wenn das Gesicht des Fährmanns sich hinüber wendete, mit hastigem Schweifwedeln seiner Freude Ausdruck gab.

„Es ist doch schade,“ meinte der Präsident, „daß der neue Pächter der Bank seinen Plan nicht hat ausführen können. Er hat die Errichtung einer Schifferstation mit einer Flotille von Gondeln und einem feinen Restaurant statt der grauen Holzhütte beabsichtigt. Er verhandelt ja auch mit der Regierung wegen der Ruine Falkeneck, die er wieder aufbauen will.“

Ravensburgk ließ ein dumpfes Gebrumm hören, und Frau von Blachrieth fragte: „Warum ist der hübsche Plan mit dem Restaurant gescheitert?“

Der Präsident erzählte: „Der Herr Aufdermauer, dem auch der Hainberg gehört eben so wie das Weingut, hat geantwortet: ,Die Ruhe meiner Hirsche im Hain und die Bequemlichkeit meiner häufigen Flußbäder unter freiem Himmel sind mir nicht feil; und ein Stück Erde, das ich natürlich und schön finde, soll mit meiner Bewilligung nicht durch künstliche Schnitzer verhunzt werden.“

„Dafür möchte ich ihm von Herzen gern die Hand drücken,“ sagte Hedwig lebhaft.

Der Schiffer hielt einen Augenblick das Ruder an und wandte ihr das von der Sonne gebräunte, von schwarzem Vollbart umrahmte Gesicht zu.

Mochte es die plötzlich veränderte Fahrt sein, oder waren sie in eine Strömung gekommen: Wellengekräusel bäumte sich am Kahn auf, feurige blaue Funken blitzten aus dem Wasser; weithin überrauschte wie Schaumgold sonniges Licht die Fluth. Der Kahn kam ins Schwanken, und der Kranz, der am leichten Geländer desselben hing, fiel hinab.

„Mein Kranz!“ rief Hedwig, als sie ihn, auf einer Welle schaukelnd, davon treiben sah.

„Die Lora hat ihr Opfer von Ihnen gefordert,“ scherzte der Präsident. „Am Johannistage bringen ihr nämlich alle Frauen und Mädchen Blumen dar. Und dafür prophezeit sie ihnen die Zukunft.“

Ueber das Gesicht des Schiffers glitt ein Lächeln. Mit dem Ruder fing er den Kranz auf und bot ihn Hedwig wieder an, die ihn freundlich dankend mit spitzen Fingern abnahm.

„Laß ihn doch,“ mahnte die Tante, „Du wirst Dir Kleid und Handschuhe verderben.“

„Ich möchte ihn gern in meinem Zimmer aufhängen,“ bat Hedwig; „er erinnert mich an daheim. So riechen die Sträuße, welche wir pflücken, wenn wir Abends mit Papa und Mama durch unsere Flur gehen.“

Die Tante hörte nicht auf die ländlichen Erinnerungen. Sie balancirte ängstlich in dem schwankenden Kahn. „Gut, daß es so vorüber ging,“ sagte sie aufathmend, als derselbe wieder ruhig hinglitt. „Die Lora scheint gefährliche Strudel zu haben.“

„Vielleicht hat sie nachsehen wollen,“ lachte der Präsident, „ob sich unter uns ein Ritter fände, der bereit wäre, sie von der Unseligkeit zu erlösen. Der Sage nach erhofft sie dieselbe von unwandelbar treuer Liebe.“

„Der Neckar ist materieller,“ bemerkte der Bergrath Müller. „Er hat früher am Auffahrtstage ein Schaf, ein Brot, einen Bienenkorb und einen Menschen gefordert, wie der Fischer am Wolfsbrunnen erzählte, als ich mit meinem Vetter, dem Grafen Salmenwehr, dort Forellen speiste.“

„Dafür ist der Neckar, dessen Name sogar an den Nix erinnert, ein Mann,“ sagte Ravensburgk. „Ein solcher hält auf ein gutes Diner. Die Damen ziehen Anbeter vor. Im Grunde sind die Nixen nichts als zudringliche Personen, mögen sie nun Elbjungfrau oder Saalnixe, Donauweibchen oder Lora heißen; und es hat nie an Schwächlingen gefehlt, die sich verschlingen ließen.“

„Alle die Sagen sind Üeberreste des alten Wasserkultus,“ erklärte der Präsident. „Daß in hiesiger von diesem Element

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_239.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2020)