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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Als alljährlicher Badegast in Jungbrunnen hatte er es unternommen, einigen vor Kurzem angekommenen alten Bekannten die Honneurs der Gegend zu machen.

„Wir befinden uns auf einer merkwürdigen Wasserscheide zwischen den Kindern Gottes nlld den Kindern der Welt,“ lächelte Ravensburgk.

„Herr Präsident, was ist das für ein alter Thurm, der dort drüben auf dem Berg sich erhebt?“ fragte den freundlichen Cicerone eine Dame, die durch ihre vollen aufgesteckten grauen Locken zeigte, daß sie nichts sein wollte als eine würdige Matrone.

„Das ist der Bergfried von Falkeneck, eine der schönsten Ruinen dieser an alten Burgtrümmern so reichen Gegend,“ antwortete der Gefragte.

„Von hier aus würde ich sie eher für einen baufälligen Schlot als für das Stammschloß der Falkenecks halten,“ kritisirte Ravensburgk. „Wäre auch nur der Lauf der Welt,“ setzte er mit einem düstern Blick nach dem grauen Thurm hinzu; „die Ravensburgk, wo die alten Kampfgefährten der Falkenecks hausten, hat sich längst in einen Fabrikschlot verwandelt.“

„Die Burg liegt auf einem Fels am Fluß, der hier eine Krümmung um den Fuß des Hainberges macht, und wird deßhalb von Berg und Bäumen verdeckt bis auf den hohen Thurm,“ erwiderte der Präsident. „Die Freiherren von Falkeneck, deren Besitzthum einst so weit reichte, als sie von ihrer hohen Warte schauen konnten, schenkten im vorigen Jahrhundert der Brüdergemeinde das wüste Falkenthal, und diese gründete daselbst den Ort Himmelgarten. Wenn man sieht, wie die Herrnhuter den Grund in Wahrheit zu einem Garten umgewandelt haben, muß man vor den stillen Leuten Respekt bekommen.“

„Ich hasse die sogenannten fruchtbaren Gegenden,“ sagte Ravensburgk.

„Es bleibt Ihnen überlassen, auf Ihrem Gut die Wildniß früherer Tage zu hegen,“ entgegnete der aller Kultur zugewendete Regierungspräsident etwas spitz.

„Die Familie Falkeneck ist ausgestorben, nicht wahr?“ fragte interessirt die alte Dame den Präsidenten.

„Leider irrt sich Frau von Blachrieth,“ sprach Ravensburgk, neben dem jungen Mädchen weiter schreitend. „Die Familie ist nicht gestorben, sondern verdorben. Der Letzte, welcher den Namen führte, ging vor Jahren als überschuldeter Officier in die weite Welt hinaus und galt als verschollen. Jetzt munkelt man in Jungbrunnen, daß der eine Croupier der letzte Sprosse des uralten Geschlechtes sei. Es ist eine Sünde und Schande, daß man sich von seinen Wirthsleuten, vom Bademeister das muß erzählen lassen, ohne getrost widersprechen zu dürfen.“

„Der Mann zeichnet sich allerdings durch vornehme Haltung aus,“ mischte sich ein Herr in das Gespräch, der officiell als Bergrath Müller angeredet wurde, den aber Ravensburgk konsequent den „Sohn seiner Mutter“ nannte, weil er nur von seiner Mama, einer Geborenen von Haderndorf, und deren Verwandtschaft sprach.

„Einen feinen Lack giebt das Spiel immer,“ erwiderte Ravensburgk, und zu seiner Begleiterin gewendet, fuhr er fort: „Wenn es Ihre Frau Tante interessirt, so machen Sie dieselbe einmal auf den großen stattlichen Herrn mit dem schwarzen, spitz gedrehten Henri quatre am Roulettetisch aufmerksam. Das ist Monsieur Faucon, wie er sich nennt.“

„Wir gehen niemals in die Spielsäle,“ entgegnete die junge Dame und pflückte ein paar Zweige blühenden Thymian zu dem Gewinde, welches sie im Gehen an einander fügte, indem sie dazu Seidenfäden aus den blauen Fransen ihrer Mantille zog.

Frau von Blachrieth folgte ihr zwischen die hohen Grashalme und niedrigen Gesträuche; und wahrend sie scheinbar bewundernd vor einer Skabiose stehen blieb, die von kleinen dunkelroth und grün gezeichneten Schmetterlingen bedeckt war, flüsterte sie: „Laß Dir doch von dem wüsten Ravensburgk nicht so auffallend den Hof machen, Hedwig. Bedenke, daß er ein berüchtigter Roué ist, der Verhältnisse mit Frauen aller Regionen hat.“

„Aber Tantchen!“ entschuldigte sich Hedwig, „er ist doch ein alter Bekannter. Als im vorigen Winter meine Eltern ein paar Monate mit mir in der Residenz verlebten, ist er sehr aufmerksam gegen mich und wahrhaft freundschaftlich gegen den Papa gewesen.“

„Ich verlauge auch durchaus nicht, daß Du ihn schroff zurückweisen sollst,“ erwiderte Frau von Blachrieth. „Seine Stellung als Flügeladjutant und Kammerherr unseres Fürsten verleiht ihm großen Einfluß bei Hofe, der noch viel bedeutender wird durch die Energie und die Klugheit des geriebenen Hofmannes. Es würde mir sehr unangenehm sein, auch um Heino’s willen, wenn Du ihn reizen wolltest. Du sollst ihn nur nicht aufmuntern. Es giebt in allen Dingen ein schickliches Maß.“

Hedwig schwieg, und ihre Tante kehrte wieder auf den betretenen Weg zurück, der in eine steil bergab führende Schlucht mündete.

Auf den Arm des Präsidenten und ihren Sonnenschirm gestützt, betrat sie vorsichtig den feuchten Pfad, der sich zwischen hohen Farnkrautwedeln und überhängenden Zweigen des Buschholzes hinab zog.

Hedwig folgte langsam, dem Anschein nach eifrig beschäftigt, Blumen zu sammeln, in Wahrheit aber, um, dem Wunsch ihrer Tante gemäß, dem gefährlichen Ravensburgk einen Vorsprung zu lassen. Doch nicht ohne eine Regung des Mitleides mit dem eleganten Kavalier. Sie war ihm im Herzen dankbar geblieben für das Gefühl von Sicherheit, das er ihr auf dem glatten Parkett der fürstlichen Säle gegeben hatte, als er, der gewöhnlich nicht mehr tanzte, sie auf ihrem ersten Ball zur Française und damit in die Reihe der voll berechtigten Tänzerinnen führte.

Als sie endlich, durch verschiedene rothe Kleeköpfchen und gelbe Löwenmäulchen bereichert, am Eingang der Schlucht ankam, fand sie Ravensburgk ihrer harrend; und während er eine dreiste Hasel zurückbog, die sich quer über den Weg gelegt hatte, sagte ihr der durchdringende Blick seiner tief liegenden Augen und ein halb spöttisches, halb überlegenes Lächeln, welches seinen röthlichen Bart kräuselte, daß er sowohl das Manöver ihrer Tante als ihr eigenes durchschaut habe und sich ein Vergnügen daraus mache, die kleinen Kriegslisten zu durchkreuzen.

„Warum fehlt Ihr Vetter bei der Partie?“ fragte er, wie vorher neben ihr weiter schreitend und mit seinem Spazierstöckchen von Zeit zu Zeit die blauen Säume ihres weißen Barègekleides aus rauhen Wurzelhänden lösend. „Ich vermißte ihn schon diesen Morgen am Brunnen.“

„Ich nicht,“ antwortete Hedwig unbefangen. „Ich wußte, daß Heino beim Ordnen seiner Papiere war. Er beschäftigt sich wieder mit einer neuen Dichtung.“

„Ja, ja,“ spottete Ravensburgk. „Er fängt seine Empfindungen ein, sperrt sie in ein Büchlein und gestattet seiner Mutter, daß sie ihn dafür anbetet, und der Gesellschaft, daß sie der Schrulle des reichen Rittergutsbesitzers schmeichelt, der durchaus seinen alten Namen auf den Büchermarkt bringen will. Aber er sollte bedenken, daß Apollo ein strenger Gebieter ist, der sich zuweilen damit beschäftigt, zu schwach Befundene lebendig zu schinden.“ Er köpfte mit scharfem Hiebe eine blaue Glockenblume, die am Wege stand.

„Das wäre eine zu harte Strafe für ein harmloses Unterfangen,“ wehrte Hedwig lächelnd ab, während sie die Glockenblume aufhob und sorgsam in den Kranz fügte.

„Harmlos ist der Dilettantismus nicht,“ entgegnete Ravensburgk mit Nachdruck. „Das musikalische Gebiet hat er dermaßen überwuchert, daß die holde Kunst Euterpes sogar in Miethskontrakten verbeten wird. Jetzt fangen Wagner und Liszt die Reinigung an. Ihren Anforderungen können nur Künstler genügen; und so gehen die ewigen Kückensängerinnen an der Frau Venus, die Variationenspieler an den Rhapsodien zu Grunde. Nun scheint sich die unsterbliche Stümperei auf die Litteratur zu werfen; denn ganz aus der Gesellschaft zu bringen ist sie so wenig wie die Gicht aus dem Körper. Einmal zwickt’s im Arm, einmal im Bein. Uebrigens würde Ihre Frau Tante sehr zufrieden sein, wenn sie vernähme, daß Sie mit Ihres Vetters Eigenthümlichkeiten einverstanden sind,“ setzte er in leichtem Ton hinzu.

Hedwig’s Züge nahmen einen kühlen Ausdruck an, „In der That?“ sagte sie gleichgültig.

„‚In der That‘ ist weder eine Frage noch eine Antwort und ungefähr so viel werth wie ein Achselzucken,“ rügte Ravensburgk mit leisem Unmuth im Ton.

„Als feiner Hofmann kennen Sie den Werth dieser Geste gewiß,“ erwiderte Hedwig schelmisch.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_238.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2020)