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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ihr Kind bis in das fünfte Jahr säugt und drei Jahre dieser Thätigkeit als das normale Verhältniß ansieht.

Frau mit Dienerin auf der Straße.

Auf diese Weise ist es ganz natürlich, daß sich unauflösliche Bande der Dankbarkeit und treuen Hingebung zwischen der Mutter und den Kindern knüpfen, und namentlich sind es die Söhne, welche dieselben bis ins höchste Alter ihren Müttern bewahren. Zumeist ordnet der Sohn alles Andere dieser Pflicht unter, und diesem Umstande verdanken es nicht selten ältere Frauen, daß sie nicht nur in Wohlstand und sorgenfrei ihre Tage verbringen, sondern sogar einen erheblichen Einfluß im Kreise ihrer Familie gewinnen, während die kinderlose Gattin nur so lange Beachtung findet, bis ihre Reize verblüht sind. Tritt dieser Fall ein, so wird sie vernachlässigt und häufig auch von ihrem Manne verstoßen ; die Eheschließung ist in Japan eine viel zu leichte und das Verhältniß der Gatten ein viel zu lockeres, als daß selbst begabtere Frauen immer von einem solchen Schicksale befreit bleiben könnten. Daß die Vielweiberei, wenn auch etwas verschleiert durch die bevorzugte Stellung der eigentlich legitimen Gemahlin, noch heutzutage in Japan existirt, ist eine leider nicht abzustreitende Thatsache, und namentlich sind es die reichen und vornehmen Stände, welche dieser Sitte huldigen. Hier spielen die sogenannten „Nebenfrauen“, und zwar durchaus mit Vorwissen der eigentlichen Hausfrau, eine bedeutende Rolle; der „Schacher“ mit diesen Frauenzimmern, der Wechsel derselben hört fast nie auf. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß bei diesen oft grausamen Vorgängen auch das Intriguenwesen im Schoße der Häuslichkeit sich üppig entfaltet, und nicht ohne Abscheu denke ich an dies Unwesen zurück, das meiner Ansicht nach der Einführung wahrer Civilisation und Gesittung ein nicht zu unterschätzendes Hinderniß entgegensetzt.

Die Ceremonie des Eheschließens beruht lediglich auf dem gemeinsamen Leeren einer Schale des nationalen weinartigen Getränkes, des Sake (Reisweins), das mit obligater Feierlichkeit und in Gegenwart einer Anzahl dazu erforderlicher Personen im Hause des jungen Ehemannes stattfindet. Die auf so leichte Weise geschlossenen Bündnisse können ebenso leicht wieder gelöst werden, das heißt nach Laune und Belieben des Mannes. Ist ihm seine Frau nicht mehr genehm, so findet sich irgend eine unbedeutende Veranlassung, die ihm Grund genug giebt, sich ihrer zu entledigen. Er braucht ihr nur schriftlich zu befehlen, aus dem und dem Grunde – zum Beispiel wegen angeblicher Verletzung der Ehrfurcht gegen ihn selbst oder gegen seine Eltern – sein Haus zu meiden. Resignirt und ohne Murren verläßt das verstoßene Wesen dann auch stets die Stätte seines immerhin sehr problematischen Glückes; es schmückt sich mit einem Anzuge, den ihm der Mann überläßt, verbeugt sich höflich vor demselben und sagt ihm Lebewohl. Alles, auch die Kinder, muß sie zurücklassen, und so zieht sie fort, tröstet sich mit ihren Leidensgenossinnen, sucht sich irgend eine Unterkunft bei Verwandten oder Freunden und heiratet, wenn ihr das Glück hold ist, einen anderen Mann.

Winterkleidung einer Japanerin.

Geischa mit Samisen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_233.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)