Seite:Die Gartenlaube (1886) 230.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
2.0 Bilder aus dem Affenleben.
II.0 Vom Affentalent.

Ueber die Begabungen der Affen etwas allgemein Gültiges zu sagen, ist schwierig, falls nicht unmöglich, weil jene ebenso verschieden sind wie diese selbst. Einzelne Züge ihrer Anlagen sind freilich gemeinsame; weitaus die meisten Eigenthümlichkeiten ihres Wesens weichen erheblich von einander ab. Eine Anlage, welche bei dem einen kaum bemerkbar ist, zeigt sich bei dem andern klar ausgesprochen; ein Zug, welcher hier deutlich hervortritt, wird dort vergeblich gesucht. Wohl aber läßt sich, wenn man die verschiedenen Familien, Sippen und Arten vergleichend in Betracht zieht, eine geradezu überraschende, weil von vorn herein nicht vermuthete Steigerung aller Begabungen und Anlagen wahrnehmen. Es ist lehrreich, so zu verfahren.

Als die am wenigsten entwickelten Glieder der Gesammtheit müssen uns die Krallen- oder Eichhornaffen, in Süd- und Mittelamerika lebende, kleine, zierliche Thiere, erscheinen. Sie haben zwar das regelrechte Gebiß der Hochthiere insgemein, tragen aber nur an den Daumenzehen platte, an allen übrigen Zehen und den Fingern dagegen schmale, lange Krallennägel, welche also ihre Hände und Füße, mindestens die ersteren, auf die Stufe der Pfoten stellen. Diesen äußerlichen Merkmalen entsprechen ihre Begabungen.

Das Affenthum, möchte man sagen, ist in ihnen noch nicht zur vollen Geltung gelangt. Wie durch Gestalt und Färbung erinnern sie auch durch ihre Haltung, ihr Auftreten, Wesen und Gebahren, selbst durch ihre Stimme, an die Nager. Sie sitzen selten aufrecht, wie andere Affen, höchstens so wie Eichhörnchen, stehen vielmehr meist auf allen Vieren, bei flacher Haltung ihres Leibes, klettern auch nicht, mit Händen und Füßen Zweige umklammernd, frei und leicht, wie ihre Ordnungsgenossen, sondern, ihre Krallen einschlagend, klebend rutschend, wenn auch keineswegs langsam oder unbehend: genau so, wie die Nager thun. Gänzlich verschieden von der aller hochstehenden Affen ist ferner ihre Stimme, ein in hohen Tönen sich bewegendes Pfeifen, welches bald an Vogelgezwitscher, bald an das Piepen der Ratten und Mäuse, am meisten vielleicht an die Stimmlaute des Meerschweinchens erinnert. Ausgesprochen nagerhaft ist ihr Gebahren. Sie bekunden dieselbe Unruhe und Rastlosigkeit, dieselbe Neugier, Scheu und Aengstlichkeit, dieselbe Unflätigkeit wie Eichhörnchen. Ihr Köpfchen verharrt nur auf Augenblicke in derselben Stellung und Haltung, und die dunklen Augen richten sich bald auf diesen, bald auf jenen Gegenstand, immer aber mit Hast und offenbar mit wenig Verständniß, obschon sie klug in die Welt zu blicken scheinen. Alle Handlungen, welche sie verrichten, zeugen von geringer Ueberlegung. Gleichsam willenlos folgen sie den Eingebungen des Augenblicks, vergessen das, was sie eben beschäftigte, sobald ein neuer Gegenstand sie anregt, und zeigen sich dementsprechend ebenso wetterwendisch, wenn es sich um Aeußerungen ihres Behagens wie um solche ihres Mißfallens handelt. In diesem Augenblicke wohlgelaunt, anscheinend durchaus zufrieden mit ihrem Schicksale, glücklich vielleicht über ihnen von Freundeshand gespendete Liebkosungen, grinsen sie eine Sekunde später ihren Pfleger an, gebärden sich ängstlich, als ob es ihnen an Hals und Kragen ginge, fletschen die Zähne und versuchen zu beißen. Ebenso reiz- und erregbar wie Affen und Nager, ermangeln sie doch der Eigenart, welche jeder höherstehende Affe bekundet; denn der eine handelt genau wie der andere, gleichsam ohne Selbstbewußtsein, immer aber kleinlich. Sie besitzen alle Eigenschaften eines Feiglings: die klägliche Stimme, die Unwilligkeit, in Unvermeidliches sich zu fügen, die jammerhafte Hinnahme aller Ereignisse, die krankhafte Sucht, jede Handlung eines andern Geschöpfes mißtrauisch auf sich zu beziehen, das Bestreben, zu prahlen, während sie vermeintlicher oder wirklicher Gefahr aus dem Wege zu gehen trachten, die Unfähigkeit im Wollen wie im Vollbringen. Gerade weil sie so wenig Affe sind, werden sie von Frauen bevorzugt, von Männern mißachtet.

Auf wesentlich höherer Stufe stehen die ebenfalls in Amerika hausenden Breitnasen- oder Neuweltsaffen, obgleich auch in ihnen der wirkliche Affe noch nicht recht zur Geltung gelangt. Ihr Gebiß zählt in jeder Kinnlade einen Backzahn mehr als das der übrigen Hochthiere, daher nicht zwei-, sondern sechsunddreißig Zähne; ihre Finger und Zehen tragen sämmtlich platte Nägel; der Leib erscheint um so schmächtiger, als die Glieder regelmäßig sehr lang sind; der Schwanz dient bei vielen als kräftiges Greifwerkzeug. Bezeichnend für sie ist die Einseitigkeit ihrer Entwickelung. Wie die Krallenaffen ausschließlich Baumthiere, erscheinen sie uns ungeschickt, sogar tölpisch, sowie sie dem Gezweige der Bäume entzogen werden. Ihr Gang auf dem Boden ist äußerst unbeholfen, unsicher und schwankend, am unbeholfensten und schwankendsten bei denjenigen Arten, welche einen Wickelschwanz besitzen; aber auch ihr Klettern kommt dem der Neuweltsaffen nicht im Entferntesten gleich. Denn Vermehrung der Bewegungswerkzeuge hat keineswegs immer Steigerung und noch weniger Vervielfältigung der Bewegung zur Folge, bedingt im Gegentheil oft Einseitigkeit. Bei unseren Affen ist das Letztere der Fall. Ihr Wickelschwanz dient ihnen nicht als fünfte, sondern als erste Hand; zum Aufhängen oder Befestigen des ganzen Leibes, zum Herbeiholen und Herbeiziehen verschiedener Gegenstände, als Treppe, Hängematte und so weiter; aber er beschleunigt und befreit ihre Bewegungen nicht, sondern verlangsamt sie höchstens, indem er sie sichert. Dank seiner fortwährenden, geradezu ausnahmslosen Verwendung läuft sein Eigner niemals Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren und aus der sichernden Höhe in die gefahrdrohende Tiefe zu stürzen, ist dagegen aber auch nicht im Stande, irgend welche freie oder gar kühne Bewegung auszuführen. Langsam sendet er den Wickelschwanz, so zu sagen, jedem Schritte voraus, indem er ihn stets zuerst und nicht selten vor sich befestigt, und nunmehr erst löst er eine Hand, einen Fuß nach dem anderen von dem Zweige ab, welchen die eine wie der andere umklammerten. So bindet er sich mehr an die Zweige, als er auf denselben klettert, und dementsprechend denkt er gar nicht daran, jemals einen weiten, hinsichtlich seines Gelingens irgendwie zweifelhaften Sprung zu wagen. Diese unwandelbare Sicherung der eigenen werthen Persönlichkeit drückt unseren Affen nicht den Stempel der Bedachtsamkeit, sondern der Langweiligkeit auf. Es ist merkwürdig, wie genau alle übrigen Begabungen der Neuweltsaffen hiermit im Einklange stehen. Ihre Stimme ist nicht so einseitig wie die der Krallenaffen, immer aber unangenehm, um nicht wiederum zu sagen: langweilig. Vom Gewinsel an bis zum Gebrüll durchläuft sie die verschiedensten Abstufungen, unter allen Umständen aber haftet ihr der Ausdruck des Kläglichen, Weltschmerzlichen an, und das Gebahren der Thiere, während sie schreien, straft solchen Aus- oder Eindruck nicht Lügen.

Warm und goldig bestrahlt die Morgensonne nach kühler thaureicher Nacht die Bäume des Urwaldes, und tausendstimmig schallt ihr aus Millionen Kehlen Gruß und Jubelruf entgegen; da rüsten sich auch die Brüllaffen, ihren Dankeszoll darzubringen. Aber wie?! Auf die dürren Wipfeläste eines Riesenbaumes, welcher seine Krone hoch über andere erhebt, sind sie geklettert, haben sich jedweder mit dem Wickelschwanze gehörig versichert und wärmen sich behaglich in der Sonne. Da treibt auch sie das Wohlgefühl, ihre Stimme zu erheben. Einer von ihnen, welcher, wie man sagt, durch hohe, schrillende Stimme besonders sich auszeichnet und geradezu Vorsänger genannt wird, schaut starr auf seine Genossen und hebt an; letztere blicken ebenso regungs- und gedankenlos auf ihn und fallen ein und schauerlich tönt es durch den Wald, bald grunzend, bald heulend, bald knurrend, bald brummend, bald knarrend, bald röchelnd, als ob alle Thiere des Waldes in tödlichem Kampfe gegen einander entbrannt seien. Einzelne Brülllaute beginnen das wunderliche Tonstück; sie werden heftiger und folgen sich rascher, je mehr die doch wohl vorhandene, wenn auch nicht ersichtliche Erregung des Sängers wächst und auf andere Glieder seiner Genossenschaft sich überträgt; sie verwandeln sich sodann in heulendes Gebrüll, und sie enden, wie sie begonnen. Wirft man einen Blick auf die langbärtigen, überaus ernsthaften Sänger,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_230.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2024)