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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Ich habe Sie gekränkt. Verzeihen Sie! es war nicht meine Absicht, wie es gewiß auch nicht die Ihrige war, mir wehe zu thun. Wir sind uns eben fremd geworden in diesen Wochen, in denen wir uns doch gerade ein recht gutes Zusammenleben versprochen hatten und auch gehabt hätten, wenn Sie sich nur –“

Sie stockte und fuhr dann entschlossen fort:

„Mit Ellinor besser stellen möchten. Und es wäre das so leicht. Ich habe Sie verwöhnt, weil ich so gar nicht verwöhnt bin. Ellinor ist es. Alle Welt schmeichelt ihr. Sie brauchen ihr nicht zu schmeicheln, aber freundlich könnten Sie doch sein. Sie haben ihr noch nie ein einziges gutes Wort über ihr Komodienspiel gesagt.“

„Weil sie gar nichts kann,“ rief ich zormg.

„Das heißt, genau so viel wie ich,“ sagte Maria ruhig; „und ich wünschte aufrichtig, der Kammerherr ließe noch im letzten Augenblick die Sache fallen, bei der nichts heraus kommt. Aber das ist es ja nicht allein. Sie behandeln das schöne Kind immer und überall mit derselben Gleichgültigkeit, und das kann sie nicht vertragen; das nimmt sie Ihnen übel, und ich glaube, mit Recht.“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden, Fräulein Maria,“ erwiderte ich: „leider kommen Ihre guten Lehren in dem Augenblick, wo ich fortgehe, ein wenig zu spät.“

„Sie wollten das wirklich? wirklich fort?“

„Es ist mein fester Entschluß.“

„Thun Sie es nicht.“

„Und warum denn nicht?“

Wir waren unwillkürlich stehen geblieben. Sie war sehr blaß und hob die gesenkten Augen auch nicht, als sie jetzt zögernd und leise sagte:

„Weil Ihr Geheimniß gerade dadurch an den Tag kommen würde.“

Ich brach in ein Gelächter aus, das häßlich genug geklungen haben mag.

„Mein Geheimniß!“ rief ich; „aber das ist köstlich! und ein Geheimniß, das ich vor einer so guten Freundin verberge! Denken Sie doch.“

„Lachen Sie nicht,“ sagte sie traurig, „es thut mir weh. Ich weiß ja, daß Ihnen ganz anders zu Muthe ist.“

„Sie müssen es freilich wissen: anders als Ihnen! Ich glaub’ es gern!“

Ich bereute das Wort, sobald ich es gesprochen. Aber es war zu spät, und warum quälte sie mich so?

„Es geschieht mir recht,“ sagte sie mit einem tiefen Athemzuge. „Wie kann ich von Ihnen fordern, was ich mir selbst ersparen zu dürfen glaubte? Nun denn: Sie kennen mein Geheimniß. Ich hoffte, es vor Ihnen bewahren zu können, weil Sie mein Freund sind. Man theilt mit seinen Freunden ja gern ein Glück; das Geheimniß eines Unglücks erfahren sie immer noch zu früh. Und dies ist ein Unglück; ich sehe es klar, obgleich er es nicht sieht und ich selbst die Augen davor verschließen möchte. Mein Gott, es werden wohl die einzigen glücklichen Stunden in meinem Leben sein. Nun können Sie weinen! Ich wußte es ja. Armer Freund, nicht wahr, das schmerzt? Denn warum es jetzt nicht sagen: was ich vorhin für mich anführte, daß das Unglück schweigen darf, das gilt ja auch für Sie, wenn auch in anderer Weise. Ich bin ein Mädchen, und Sie – ach, das ist so ganz anders. Für Sie wird vielleicht eine Zeit kommen, wo Sie über dies alles lächeln werden. Sie wissen, ich werde es nie können.“

Sie strich sich über die Augen; ich weinte immer leidenschaftlicher, ohne daran zu denken, mein Schluchzen zu unterdrücken. Sie faßte mich bei der Hand:

„Lothar, versprechen Sie mir Eines!“

Ich nickte stumm.

„Gehen Sie von hier! – Warum sollen Sie die Qual länger erdulden, als nöthig ist? Aber nöthig ist, daß Sie einen triftigen Grund anzugeben haben. Sie dürfen nicht, selbst wenn Ihr Geheimniß bewahrt bliebe, den Vorwurf gesellschaftlicher Unbildung und Taktlosigkeit auf sich laden, mit dem diese Herrschaften gegen unseres Gleichen stets bei der Hand sind.“

„Gegen ,Ihres Gleichen‘ wollen Sie sagen,“ murmelte ich.

„Dann hätte ich freilich vergeblich gesprochen,“ sagte sie.

„Nein,“ rief ich, ihre Hand festhaltend; „ich weiß es ja, daß Sie nicht mehr sein wollen, als meines Gleichen, trotzdem Sie so viel tausendmal besser sind, als ich. Ich verspreche es Ihnen: ich gehe nicht, bis ich anständiger Weise kann; ich hätte es ja auch sonst schon längst gethan. Aber das kann ich nicht versprechen, daß nicht doch ein Augenblick kommt, wo ich diese ewige Lüge des Schweigens – für mich ist es ja eine – nicht länger ertrage, es mag danach kommen, was will.“

Maria wollte etwas erwidern, aber plötzlich ließ sich, bereits aus großer Nähe, die Stimme des Fräulein Drechsler vernehmen, die laut nach ihr rief.

„Es ist besser, wenn sie uns nicht hier zusammen sieht,“ sagte Maria hastig. „Adieu! Ueber den letzten Punkt sprechen wir noch.“

Sie hatte mir noch einmal die Hand gedrückt und sich schnell von mir in der Richtung gewandt, aus der die schrille Stimme kam. Ich warf mich in einen Seitenweg, dessen dichtes Buschwerk auch für die Luchsaugen der Gouvernante undurchdringlich war.


9.

Gab es etwas, das den Grimm, der in mir kochte, noch höher sieden machen konnte, so war es das leidvolle Geständniß, dessen mich eben die Freundin gewürdigt hatte. Ich war stolz auf ihr Vertrauen und wußte nun wieder, wie theuer sie mir war. Ihre Sache war auch die meinige, und unsere Sache war die gute. Und die einst triumphiren würde über die jener, die anders und besser zu sein glaubten, als wir, während doch ihr Anders- und ihr Bessersein nur in den Vortheilen bestand, die sie vor uns voraus hatten, und in den Vorurtheilen, mit denen sie sich gegenseitig fütterten, und die ihnen von der sklavischen Menge sanktioniert wurden. Maria hatte Recht, von diesem Standeshochmuth und dieser Standesbornirtheit würde sich auch Ulrich niemals frei machen können, so brav er sonst war und wie sehr er sie lieben mochte und auch darin, daß mein Unglück sich mit dem ihrigen nicht messen ließ. Was war denn schließlich an mir gelegen? Und hatte ich nicht von vorn herein meinen Fall für hoffnungslos gehalten? Ja, in meiner Verzweiflung geschwelgt? Aber sie war ein Mädchen, die der Zukunft ganz anders gegenüber stand als ich und an Möglichkeiten denken durfte, welche für mich freilich noch in Siriusferne lagen: während wiederum Ulrich, als der Aeltere von uns beiden und als der Sohn reicher und vornehmer Eltern, viel eher die kecke Hand danach ausstrecken mochte. Aber er war ja ein Vogtriz! Das heißt: ein Gefolgsmann, das heißt: ein Mensch, der sich des höchsten Gutes des Menschen, der Freiheit seines Denkens und Handelns begeben hat, um der Vasall seines Lehnsherrn zu sein, das heißt: der Schatten eines Schattens!

in mein zorniges Grübeln verloren, hatte ich des Weges nicht geachtet und befand mich, während ich noch in der Tiefe des Parkes zu sein glaubte, plötzlich vor der kleinen Kapelle, die, unter mächtigen Platanen und von Buschwerk dicht umringt, bereits in der Nähe des Schlosses lag. Ich hatte den versteckten Ort kaum je betreten und nie die Kapelle selbst. Seit meiner Sache mit Pastor Renner betrachtete ich mich als ausgeschlossen von der kirchlichen Gemeinschaft und sprach mir die Berechtigung ab, meinen Fuß in eines ihrer Gotteshäuser zu setzen. So blieb ich denn auch jetzt, trotzdem mich, den Erhitzten und Ermüdeten, die Aussicht auf Ruhe und Kühle in dem Innerern des Gebäudes lockte, draußen stehen und starrte düsteren Blickes durch die weit offene Thür in den schattigen Raum. Es dauerte einige Zeit, bis ich, der ich aus dem blendenden Sonnenschein kam, die Einzelheiten in dem Halbdunkel unterscheiden konnte: den Altar mit dem Krucifix und einem großen Gemälde, wie es schien, im Hintergrunde, die kleine, reich geschnitzte Kanzel, eine mit Glasfenstern versehene Empore – natürlich für die Herrschaften – und die schmalen hölzernen Bänke für das Dienstvolk.

Auf einer der letzteren saß, wie ich jetzt erst bemerkte, eine männliche Gestalt, vornüber gebeugt, das Gesicht in den Händen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_219.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2024)