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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Apfelmuß, Mamsell. Tonchen, einen Lorbeerkranz! Herzenskind, gehen Sie zum Schloßgärtner, einen Lorbeerkranz, so schön er ihn machen kann!“

Und die kleine Frau lief aus der Küche in das Krankenzimmer und öffnete die Fenster, und von dort lief sie in die Leutestube. „Jürgen, daß der Wagen blank gewaschen ist, und laufe zum Superintendenten und sage ihm eine Empfehlung von mir, und der junge Herr käme heute! Und zu Doktor Rother, er soll gegen halb neun Uhr hier sein, man kann ja nicht wissen. Bestelle auch ein Faß Bier in der Brauerei für Euch. Um fünf Uhr fahren wir hier ab, Jürgen; ich hole meinen Jungen selbst aus Triebelsberg.“

Es war plötzlich wie ein kribbelnder Ameisenhaufen, bald lag der Flur voller Grün, und Frau Amtsräthin und ich und die Mägde, was Zeit und Hände hatte, band Guirlanden. Die kleine Frau saß auf der untersten Stufe der Treppe, und mitten in der Arbeit schlug sie die Hände vor das Gesicht: „Ich denke nur an die Armen, Tonchen, die keine Kränze winden dürfen, weil ihnen Niemand heimkehrt.“

Und dann ging’s mit zitternder Hast weiter. Als es Mittag war, da prangten vor der Einfahrt des Hofes zwei riesige Tannenbäume, von Pfeiler zu Pfeiler schlang sich eine prächtige Guirlande, und auf einem Transparent stand, mehr gut gemeint als schön:

Du tapferer Krieger,
Franzosenbesieger!
Von Deinen Wunden
Mögst Du gesunden
Im Vaterhaus!

Das hatte der alte Schafmeister angegeben. Die Mamsell fand den Vers geschmacklos, aber sie schwieg, als sie seine Bedeutung erfuhr. Der alte Mann berichtete nämlich, daß er den Reim noch von „damals“ im Gedächtniß habe, als nach der Schlacht bei Leipzig ein junger Herr Roden hier wieder eingezogen war, „freilich mit einem Beine weniger, als er in den Kampf ging, aber sonst kreuzfidel,“ wie sich der Alte ausdrückte. Der Großonkel von Fritz mußte es gewesen sein. Und die Frau Amtsräthin entschied: „Es bleibt! Es ist historisch, und nebenbei – Fritz weiß, daß es ihm Freude machen soll, und wahr ist’s auch, was darauf steht.“

Die Treppengeländer, die Hausthür und jegliche andere Thür waren mit Kränzen umhangen, an den Wänden im Flur Festons, und von der Mitte des Gewölbes, wo die große Lampe hängt, zogen sich die anmuthigen Gewinde nach allen vier Ecken des Raumes hinab, und gar wunderschön nahmen sich die bunten Astern in dem Spargelkraut aus. Ueberall Blumen; in der Stube der Tisch gedeckt mit dem Schönsten, was das Haus barg, mit dem Damasttafeltuch, welches zur Taufe des Fritz zum erstenmale aufgelegt worden war. Mütterchen prangte im schwarzseidenen Kleid; die Bänder des Häubchens waren himmelblau und um den Hals trug sie einen schönen altmodischen Kragen von echten Spitzen.

Nur in dem Zimmer, darin er wohnen sollte, ward keine Blume gelitten; da lag einsam der Lorbeerkranz auf dem Tischchen vor dem Bette.

Und wie selig fuhr sie dann in dem großen Wagen davon, umgeben von Decken und Kissen und Fußbänken. Und während dem saß ich oben in meinem Stübchen und las einen Brief des Vormundes, der mir mit kurzen Worten mittheilte, ich könne sofort in das Elisabeth-Hospital eintreten. Was denn vorgefallen sei, daß ich eine Zuflucht verlassen wollte, über die ich anfangs so hoch beglückt gewesen?

Konnte ich’s ihm denn sagen? Ach, wenn ich überhaupt nur erst gesprochen hätte! Aber wenn es einmal soweit war, dann sagte Frau Roden gerade: „Tonchen, im Winter wollen wir Beide doch den großen Teppich fertig sticken, den ich für Fritz angefangen habe.“ Oder: „Tonchen, im Winter lesen Sie mir fleißig vor; mit meinen Augen wird’s immer trüber.“ Oder: „Kindchen, Sie müssen Whist lernen; wird’s Ihnen nicht zu langweilig sein mit mir Alten und dem kranken Jungen?“

Dann war mir die Kehle wie zugeschnürt, ich konnte keine Silbe vom Fortgehen sprechen. Und so lange dort drüben noch nichts entschieden war – durfte ich denn auch?

Ich konnte es mir nicht verhehlen, ich war in fieberhafter Aufregung, – mir bangte vor dem Wiedersehen. Tag und Nacht hatte ich an ihn gedacht, und seit der Stunde, in der die alte Dame gejammert: „Tone, was soll aus uns werden?“ da waren meine Gedanken rebellisch geworden und ließen sich absolut nicht gängeln, wenn auch immer und immer wieder eine Stimme in mir warnte: Du armes Ding, hast Du denn vergessen, daß Du „Die Andere“ bist?

„Nein, nein! Ich wollte ja vernünftig sein; er war eben nur ein Freund, ein Bruder, ein Kranker noch dazu, körperlich und geistig krank; denn sein Herz wird noch lange nicht genesen von den Wunden, die Lotte ihm geschlagen.

Und die Stunden vergingen, die Dämmerung sank herab, und ich stand am Fenster und sah durch die Lücke zwischen den beiden Kastanienbäumen auf die Fahrstraße längs des Schlosses; auch die Fenster unserer früheren Wohnung konnte ich erblicken; goldig blinkten sie im Scheine des Abendhimmels.

Da Pferdegetrappel, das Rollen eines Wagens; ich erkannte die alten Fuchse und ging zur Stubenthüre, um ihn unten zu begrüßen. Stufe für Stufe kam ich hinunter, wie Blei lag es mir in den Gliedern, und so trat ich inmitten der Leute unter die buntgeschmückte weitgeöffnete Pforte des Hauses. Langsam kam das Gefährt über das Pflaster des Hofes, das Verdeck des Wagens war hochgeschlagen, und Jürgen winkte vom Kutscherbock so eigenthümlich mit der Hand, als wollte er sagen: „Man sachte, man still! Wir sind noch lange nicht so weit, bis zur lauten Freude!“

Ich eilte die Stufen hinab an den Schlag. „Fritz,“ hörte ich Frau Roden sagen, „da sind wir! Da ist Tonchen!“ Und eine matte Stimme sprach darauf: „Guten Tag, Fräulein Antonie!“

Dann war Herr Müller aus dem Wagen gesprungen und Jürgen vom Bock, und sie postirten sich am Schlag; auch Frau Roden stieg aus. Ich konnte ihre Züge nicht mehr unterscheiden, aber sie drückte meine Hand so eigen und so fest. „Recht vorsichtig,“ bat sie, und nun hoben sie ihn heraus.

So schlimm war es? Ich stand wie gelähmt vor Schreck. „Pst! Nicht merken lassen, Tonchen,“ flüsterte sie, „ja nicht!“ – Ja, war denn das der blühende stattliche Mann, der vor kaum acht Wochen hinauszog, in der Vollkraft der Gesundheit? Wie ein Kind trugen sie den Riesen in das Haus, und der Schein des Lichtes streifte ein bis zur Unkenntlichkeit abgemagertes Gesicht und matte, tief eingesunkene Augen.

„Ins Bette, Männer,“ hörte ich ihn sagen, „wenn ich liege, mögen mich die Leute begrüßen.“

Alles war stumm. Wie bittere Ironie hingen die Kränze über den Thüren, wie Hohn stand dort die festliche Tafel.

„Lauft noch einmal zum Doktor Rother,“ befahl Frau Amtsräthin, „er soll bald herkommen.“ Dann verschwand sie im Krankenzimmer. „Ach Du lieber Heiland!“ sagte die Mamsell, und die Thränen rannen über die dicken rothen Wangen. Scheu und still gingen die Leute davon, und ich stand noch immer in dem festlich geschmückten Flur und konnte es nicht fassen.

Dann öffnete sich die Thür, und Frau Roden kam heraus, von Jürgen gefolgt, der nach der Küche schritt. „Tone,“ flüsterte sie vor mir stehen bleibend, „wollen Sie noch immer gehen, um in Berlin Kranke zu pflegen?“

Ich blickte sie erschreckt an.

„Ich weiß Alles, Tone! Glauben Sie, ich hätte nichts gemerkt? – Wenn es Sie keine zu große Ueberwindung kostet – da drinnen, da fänden Sie auch wohl, was Sie suchen.“

Ich reichte ihr stumm die Hand. „Gott lohne es Ihnen,“ sprach sie, „daß Sie mich nicht verlassen jetzt!“ – Ich ging in mein Zimmer, band mir eine Schürze um, zog weiche leise Schuhe an und kam wieder hinunter. „Nun führen Sie mich an meinen Platz,“ sagte ich zu der kleinen Frau, die eben mit einer Schüssel Wasser und Leinwand durch den Flur schritt.

Ohne Weiteres gab sie mir, was sie trug. „Kommen Sie, mein Kind!“

Leise trat ich an sein Bette; er hatte die Augen wie in tiefer Erschöpfung geschlossen; der kranke Arm lag auf der Decke. Die Binden waren unsauber geworden durch die lange Fahrt; behutsam begann ich, sie abzuwickeln. Da schlug er die Augen auf, und wir sahen uns an. Wie Sonnenschein ging es über sein Gesicht. „Ach Sie, Fräulein Tone?“ sagte er herzlich,

Sie wollen das thun?“ Er hob die Linke zum Handschlag.

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