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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

sein Onkel hätte schwören mögen – daß auch nicht ein Pfennig des veruntreuten Geldes an seinen Händen klebte. Aber der betrogene Fiskus mußte sein Opfer haben: Herr von Werin wurde disciplinarisch mit Ausfall der Pension seines Amtes entsetzt. Er quittirte über den Spruch des Gerichtes, indem er stehenden Fußes in sein Zimmer ging und sich eine Kugel durch den Kopf jagte.

„Weiß Gott,“ sagte Schlagododro, als er seine Erzählung beendet hatte, und fuhr sich dabei mit der großen braunen Hand über die Augen, „das ist denn wahrlich genug, daß so ein armes Mädchen darüber Zeit seines Lebeus das Lachen verlernt. Auch die Mutter, sagt Onkel Egbert, soll dem Wahnsinn nahe gewesen sein. Ich glaub’s gern. Aber Mitleid ist noch keine Liebe, und darum hätte ich Maria noch lange nicht geliebt. Glaubst Du, daß man überhaupt sagen kann, warum man ein Mädchen liebt? Ich nicht. Ich kann nur sagen, daß ich sie für das edelste, reinste Geschöpf unter Gottes Sonne halte, der ich gemeiner Kerl völlig unwerth bin und der ich es einzig und allein zu verdanken haben werde, wenn jemals aus mir etwas Gescheites wird.“

Das klang nun freilich, als ob er von Maria bereits die Zusage erhalten habe, sie wolle ihm bei diesem schwierigen Proceß helfen, und so wagte ich eine dahin zielende Andeutung, um abermals Schlagododro’s Wuth bis zu seiner Lieblingsdrohung zu reizen, worauf er dann unter tiefem Erröthen stockend und stotternd eingestand, er glaube, daß er Maria nicht ganz gleichgültig sei. Er habe sie nicht gefragt, und sie habe ihm natürlich nichts gesagt, aber er glaube es.

Ich glaubte es nicht und mußte es doch glauben, ja für gewiß halten, nachdem ich, wie vorher den Freund, so nun auch Maria einige weitere Tage beobachtet hatte. Die leise Röthe, die jetzt ihre sonst bleichen Wangen überhauchte, konnte keine Wirkung der Landluft sein, denn sie kam und ging – kam und ging mit Schlagododro; der tiefere Glanz ihrer sonst so klaren Augen nicht gesellschaftliche Erregung, denn er kam und ging mit Schlagododro. Daß der Freund die Geliebte in der Gesellschaft immerdar suchte, war selbstverständlich; aber ich bemerkte jetzt, daß sie sich, so oft es nur eben geschehen mochte, finden ließ: auf den Spaziergängen, auf den Ausflügen, im Salon – überall. Und überall und immer, wenn sie sich gefunden hatten, war es, als ob sie eine widerwillig abgebrochene interessante Unterhaltung nur wieder aufzunehmen brauchten und begierig wieder aufnähmen – so ausgiebig und eifrig war ihr Gespräch, das doch ins Stocken gerieth, sobald ein Dritter hinzutrat, selbst wenn ich, ihr gemeinschaftlicher Freund, dieser Dritte war und nun, da mir nicht, wie dem Freunde, ein ähnliches holdes Glück blühte, und ich sein und der Freundin Glück nur stören konnte, sah ich mich auf die Gesellschaft angewiesen, die mir fremder wurde, je länger ich mit ihr verkehrte, je besser ich sie kennen, ihre Sprache, ihre Ausdrucksweise verstehen, ihre Mienen deuten, ihre Gedanken, ihre Empfindungen begreifen lernte.

Hier fand ich auch den zwingenden Beweis für Maria’s Liebe. Sah sie, hörte sie, die Schülerin ihrer Mutter, die Gesinnungsgenossin ihres Bruders, meine Freundin, das Alles nicht, was mich verletzte und empörte? Es war unmöglich; dazu war ihr Geist zu scharf, ihr Blick zu hell, ihr Ohr zu fein. Es blieb also nur das Andere übrig: sie wollte es nicht hören und sehen, den Abgrund nicht sehen, der sie und ihn, den sie liebte, von einander trennte, sie hätte denn ihre Ueberzeugungen oder er die seinen aufgeben müssen.

Wie ich sie zu kennen glaubte, schien mir das Eine und das Andere ausgeschlossen.

Aber das stand ja für mich fest, und nicht um mich handelte es sich, sondern darum, es ihnen oder doch wenigstens dem Freunde begreiflich zu machen.

Hundertmal setzte ich zu diesem Entschluß an, ohne den Muth zur Ausführung zu finden: ich, der Glücklose, Verschmähte, gegenüber ihm, dem Glücklichen!

Es wäre als hämische Mißgunst und schierer Neid erschienen bei mir, der ich ihnen doch ihr Glück von ganzem Herzen gönnte.

Und nun, da mir hier der Weg verrannt warr, da ich sah, daß ich nicht helfen konnte, gewährte es mir eine schier grausame Lust, mir zu beweisen, daß Hilfe überhaupt unmöglich, die Kluft unüberbrückbar sei, welche zwischen Menschen befestigt ist, von denen die einen zäh am Autoritätsglauben hängen, die anderen sich vor keinem Gesetz beugen wollen, gegen dessen Rechtmäßigkeit ihre Vernunft sich auflehnt und ihr Herz protestiert.


6.

Es war, als seien die nächsten Tage dazu ausersehen, gerade nach dieser Seite hin mein Gemüth noch mehr zu verdüstern, meine Oppositionslust zu schüren und mich nachdrücklich daran zu mahnen, daß ich mich wahr und wahrhaftig im Lager meiner Feinde befinde.

Für den norddeutschen Reichstag war durch den plötzlichen Tod des Vertreters unserer Stadt und des ländlichen Kreises, zu dem auch die Insel gehörte, eine Neuwahl nothwendig geworden, die von der Regierung fast gewaltsam beschleunigt wurde und bereits in allernächster Zeit stattfinden sollte. Sowohl von Seiten der konservativen, als der liberalen Partei – es gab nur diese beiden bei uns in allerdings verschiedenen, aber nur für das Auge des Eingeweihten merklichen Schattirungen – waren in aller Eile die Hebel der Agitation angesetzt worden; jene hatte den Pastor Renner, diese den Professor von Hunnius als ihre respektiven Kandidaten aufgestellt. Als ich die Stadt verließ, war von dem Allen noch keine Rede gewesen; nun überraschte es mich mit doppelter Gewalt. Die Sache, die ich haßte, hatte zum Vorkämpfer den Mann, an den sich für mich die Erinnerung entsetzlichster Stunden knüpfte, die andere, der ich mit ganzer Seele ergeben war, meinen hochverehrten Lehrer, dem ich innigsten Dank schnldete auch dafür, daß er sich mir in eben jenen Stunden als liebevollen Berather und väterlichen Freund erwiesen.

Und nun mußte ich hören, daß meine, daß unsere Sache eine grundschlechte, frivole, unpatriotische, ja gottlose sei; ihr Vertreter ein Oppositionsmann um der Opposition willen, ein Rabulist, ein Hans Dampf in allen Gassen, dem man gehörig auf die allzu geschäftigen Finger klopfen und klar machen wolle, daß er, als ein Schuster, der er sei, bei seinen Leisten zu bleiben habe.

Es ist wahr, dergleichen Reden wurden von dem Major nicht nur nie geführt, sondern offen gemißbilligt; Herr von Vogtriz that das Letztere zwar nicht, aber er stimmte doch nur in einer Weise zu, die mich weniger verletzte und nicht selten mit seinen Anschauungen fast aussöhnte. Er fand diese Verquickung der alten echten Loyalität und des Pfaffenthums bedenklich. Freilich müsse sich das Königthum von Gottes Gnaden, wie er und jeder echte Preuße und Patriot es wolle, auf die Kirche stützen; aber wohlgemerkt: auf die Kirche, und nicht auf die Pfaffen. Einer könne nur Herr im Staate sein; und es sei eine alte Geschichte, daß der Pfaffe noch immer habe Herr sein wollen, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu zu bieten schien. Die Hilfe der Pfaffen sei im besten Falle ein zweischneidiges Schwert, und wenn er Graf Bismarck wäre, so würde er mit diesem Schwerte etwas vorsichtiger umgehen. Ueberhaupt sei es ein Kreuz und ein Elend, daß man bei jedem Schritt auf Bismarck stoße und immer erst fragen müsse, wie Bismarck sich zu der Sache gestellt habe. Das sei in der guten alten Zeit nicht so gewesen. Da habe man einfach gefragt: was will der König? und damit basta! Diese Einrichtung, daß ein verantwortlicher Minister zwischen dem König und seinem Volke stehe, sei auch nur wieder eine Erfindung von 1848, von der er hoffe, sie werde über kurz oder lang, das heiße: heute lieber als morgen zum Teufel gehen, bei dem wir uns für sie bedanken möchten. Und wenn nun gar der betreffende Minister ein Bismarck sei, so könne einem Loyalen von altem Schrot und Korn vollends die ganze konstitutionelle Bescheerung verleidet werden. Denn, man möge sagen, was man wolle, und Bismarck’s Verdienste so hoch stellen, wie man wolle – das Ende vom Liede sei, daß selbst der gemeine Mann mehr von seinem Bismarck als von seinem König spreche; und er für sein Theil halte das für ein großes Unglück, ja fast für ein größeres als den verdammten Liberalitätsschwindel. Mit dem werde man schon fertig: gegen Demokraten hülfen heute wie 48 noch immer Soldaten; wer aber setze den Leuten die Köpfe zurecht, wenn sie sich daran gewöhnt hätten, nicht zuerst und zuletzt auf ihren König zu blicken, sondern die Hälse verdrehten nach einem Andern, er sei auch, wer er sei?

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