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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Daß er mich nicht aufregen will und dem Herzog seine Meinung nicht vorenthalten haben wird.“

„Und willst Du abwarten?“

„Nein; ich habe ihm nochmals darüber geschrieben –.“

Und wieder vergingen Tage. Ich meinte, Lotte werde immer blasser; und immer deutlicher trat die Schminke hervor. „Gewißheit!“ bat ich den lieben Gott, „zu ihrem Besten!“

Umsonst. Es blieb Alles ruhig. Briefe, Geschenke, Blumen trafen täglich ein, und Lotte fuhr spazieren, – spielte Klavier und sang. Und eines Tages erklärte sie mir, sie habe an Fräulein von Reckenthien geschrieben und sich in Berlin bei ihr angemeldet; es sei nicht zum Ertragen langweilig hier. Mitte September wollte sie reisen; Anita sollte als eine Art Kammerfrau sie begleiten.

(Fortsetzung folgt.)

Im Wachsfigurenkabinett von Grévin.

Was für Berlin Castan, das ist Grévin für Paris, nur daß dieser die gelehrte Bezeichnung „Panoptikum“ durch die nicht minder anspruchsvolle „Museum“ ersetzt hat.

Die kirchenschiffartig gebaute, goldbraun getönte Halle mit ihren graziösen Säulen, ihrem bunten Marmor und zahlreichen Spiegelflächen, in welcher das Grévin’sche Wachsfigurenkabinett sich befindet, ist verhältnißmäßig klein, aber keineswegs geschmacklos. In der Mitte allerlei Gruppen bekannter Künstler und Schriftsteller, der blonde Gounod am Flügel, Daudet, Zola, Rochefort etc. Die Wandseite links ist Herrn Grévin und den gekrönten Häuptern eingeräumt, die Wandseite rechts berühmten Militärs und Staatsmännern.

Gleich vorn in einer Nische mit hübscher Perspektive auf ein Landhaus gewahren wir Bismarck und Moltke; daneben eine Chinesengruppe und schließlich Brisson auf der Rednerbühne, umgeben oder, richtiger gesagt, umlauscht von den bekanntesten Parlamentariern, wie Clémenceau, Wilson, Grévy’s Schwiegersohne, Naquet, dem Vater des Ehescheidungsgesetzes, Ferry und Cassagnac.

„Armer Brisson! wenn die Ministerien so lange dauerten wie diese Gruppe!“ bemerkte lächelnd einer der Zuschauer, und sein Nachbar: „Sehen Sie nur Clémenceau an! er hebt schon die Hand auf, um Brisson herabzustürzen!“ Aber seine Phantasie ergänzt da gutwillig die des Bildners, denn der kleine nervöse, schwarzäugige Clémenceau mit dem schwarzen Schnurrbart steht ausdruckslos da. Ueber die Portraitähnlichkeit kommt es bei all diesen historischen Persönlichkeiten nicht hinaus, und die französischen Wachsfigurenkünstler scheinen noch nicht so weit zu sein, daß sie denselben nun auch noch einen der Situation entsprechenden Ausdruck zu verleihen wüßten. Darum sollten sie für die Gruppenbilder nur Phantasiefiguren wählen, so beispielsweise die Helden des Zola’schen Romans „Germinal“. Man sieht diese in der That im sogenannten Verbrecherkeller neben der im düsteren Kerker schriftstellernden Louise Michel, und zwar im Augenblick, da sie, im verschütteten Schacht, die von den Wassern angespülte Leiche des von Etienne Ermordeten schaudernd erblicken. Uebrigens fehlt es auch nicht an heiteren und sogar etwas frivolen Genrescenen hinter den Koulissen und im Boudoir der Tänzerin.

Louise Michel mit ihrem schwarzen Kater erregt besonderes Aufsehen. „Die bittere Louise mit ihrem Generalstab!“ ruft ein Herr. „Sie dekretirt eine neue Plünderung der Bäckerläden!“ höhnt die wohlbeleibte Dame an seinem Arme, die ihres Zeichens offenbar eine Bäckermeisterin ist. Ihr kleiner, vorlauter Junge entfesselt vollends die Lachlust des Sonntagspublikums, als er ungenirt das uralte Volkslied anstimmt: „C’est la mère Michel qui a perdu son chat!“ Der Rhythmus desselben ist so urkomisch, daß der Pariser, der die Satire in gebundener Form über Alles liebt, beständig einen neuen, zeitgemäßen Text für diese drollige Melodie erfindet. Selbst die Königin von England und Napoleon I., bei denen die lustige Gesellschaft nun vorüberpilgert, bleiben nicht verschont; das Lied ist heute in Aller Munde, doch auf Deutsch schwer wiederzugeben. Einen Augenblick wird beim Fernsprecher Halt gemacht, um gleichsam auf Flügeln des Gesanges einen Brocken von dem Gesangsvortrage der berühmten Thérésa im Alcazar zu erhaschen. Dann geht’s wieder in die vorderen Räume des Museums zurück.

Vor dem alten Grévy im Frack und rother Schärpe, dem man die behagliche Freude über sein hübsches Präsidentengehalt anzusehen meint, staut sich die Menge.

„Stumm und zufrieden, wie im Elysée!“ bemerkt ein neidischer Spötter, „ganz die Rolle, die er im Staate spielt. Nur daß er uns hier weniger kosten würde.“

Der Kaiser Wilhelm mit seinen beiden Flügeladjutanten ist immer von einem großen Kreise Neugieriger umgeben. Freilich muß es Einem gesagt werden, daß er es sein soll, denn hier hat der Künstler (?) dem nationalen Hasse eine arge Koncession gemacht. Eine fingertiefe, finstere Falte ist in die Stirn eingegraben und giebt dem Greise mit den trotzig aufgeworfenen Lippen einen so bösen Ausdruck, wie er unserem großherzigen milden Kaiser wahrlich nicht eigen ist. Einer der Adjutanten, beiläufig bemerkt, in einer wahren Phantasieuniform, bringt ihm eine Meldung, die seinem Herrn offenbar unwillkommen ist. Zornig deutet dieser auf eine Karte, die neben russischen Broschüren auf dem Tischchen liegt. „Wie er finster aussieht! er plant schon wieder einen Feldzug. Es fehlt nur noch Napoleon!“

Noch dichter ist der Kreis um die Bismarck-Gruppe. Der wie ein Wütherich Aussehende sitzt an einem Tische und weist ebenfalls auf eine Karte, während Moltke, neben ihm stehend, seine Auffassung darlegt.

„Er sucht nach einem neuen Vogesenloch – nein, so habe ich ihn mir doch nicht vorgestellt! welch ein Kopf!“

Und man blickt finster und wie beängstigt auf diesen bestgehaßten Mann, mit dem man die Kinder schreckt, als wäre es der schwarze Mann. Aber unser Bäckerjunge löst auch hier den Bann widerwilliger Bewunderung: „As-tu vu Bismarqué, à la porte de Charenton, qui funmait sa pipe, au son du canon“, singt er plötzlich nach der bekannten militärischen Fanfarenmelodie, just wie zu den Zeiten der Pariser Belagerung, und das leichtlebige Völkchen ist schnell getröstet. Frankreich ist ja nun durch dieses Spottlied gerächt.

Das Lied paßt in der That in so fern, als der in Civil dasitzende Bismarck eine große Pfeife in der Hand hält.

„Und der Andere! wer ist denn der? das ist wohl sein Diener?“ fragt die Bäckersfrau. Man muß ihr diesen Irrthum verzeihen, denn Moltke steht demüthig in einem alten, von der Kampagne mitgenommenen Militärmantel neben dem eleganten Zivilisten mit ... der Tabakspfeife! Die ganze Situation ist in der That so unmöglich und alles so sehr darauf berechnet, die beiden großen Feinde in einer verächtlichen Maske zu zeigen, daß man sich auch nicht über die auf dem Tisch stehenden „Attribute der deutschen Nation“, zwei mächtige Bierseidel, wundern darf. Moltke, der nie Bier trinkt und die Mäßigkeit selbst ist!Eugen von Jagow.     


Der Schutzpatron.

(Mit Illustration Seite 197.)

Draußen weht Frühlingsluft, daß der Schnee von den Bergen des Eisackthals schmilzt und am Waldsaume die Schlüsselblumen sprießen. Drinnen aber in der geräumigen Vorhalle des Pfarrhofs steht die schlanke Häuserin und denkt weder an den Frühling noch an die Waldblumen, sondern wirthschaftet mit emsigen Händen im Hausgeräthe umher. Denn es geht auf Ostern; da muß, wie alljährlich, der ganze Pfarrhof von unterst zu oberst geräumt, da muß gefegt und gewaschen werden, bis das letzte Spinngewebe aus den dämmernden Ecken, der letzte Flecken vom Metallbeschlage der Thüren und Kästen verschwunden ist, bis die Vorhänge wieder schneeweiß und die Fenster spiegelblank sind.

Harte Arbeit ist’s; den der Pfarrhof ist gut seine dreihundert Jahre alt und hat Winkel und Räume genug, die durchstöbert werden müssen. Dazu ist der hochwürdige Herr leider auch noch ein Liebhaber von Alterthümern und hat bei den Bauern und in alten Schlössern mancherlei Gerümpel zusammengekauft, damit es der Staub und die Spinnweben ja hübsch heimlich haben möchten.

Jetzt geht’s an die Bilder. Alle sind sie heruntergewandert von den ungeheuren Eisennägeln, an welchen sie hingen. Tüchtige Nägel in die Wand – das ist auch eine Liebhaberei des hochwürdigen Herrn und das kleinste seiner Bilder hängt an einem Eisenstifte, welcher würdig wäre, einem Ostindienfahrer die Planken anzuheften.

Hübsch braun und schwarz sind die Bilder geworden, seit sie nicht mehr von diesen Nägeln herunter gekommen sind, und so voll Spinnweb! Aber die blonde Burgel denkt sich: wartet nur, ich will euch schon weißwaschen! Es ist ein Glück, daß keine Aquarelle darunter sind; denen erginge es schlimm. Solide alte Oelbilder können ein bißchen Striegeln schon vertragen.

Ehe die fleißige Burgel zu striegeln anfängt, muß sie aber die Bilder alle aufmerksam betrachten. Sie kennt ja dieselben bis jetzt nur von Weitem, weil sie erst seit einem halben Jahre den Dienst im Pfarrhofe hat. Früher war sie an einem ganz anderen, viel unheiligeren, aber ach – viel lustigeren Platze gewesen; als Kellnerin in einem der lobenswerthesten Posthäuser von ganz Tirol. Ihre alte Base, welche die Fürsorge über das Waisenkind ausübte, hatte sie aus jenem Posthause entfernt, weil es dort gar so lustig und so weltlich zuging: so viel Fremdenzug, und lustige Jäger und Maler; so feuriger rother Terlaner, so fröhliche Zillerthaler Jodler! Darum war die Burgel als Häuserin zu dem hochwürdigen alten Herrn gebracht worden, damit ihr das allzu viele Lachen und Jodeln aus dem Sinn käme und das ewige Singen:

„Zillerthal, du bist mein’ Freud’!“

Ganz war ihr das Singen aber doch nicht vergangen. Und auch jetzt, wie sie die Bilder, eins nach dem anderen, vornimmt, summt es leis von ihren blühenden Lippen, wie ein träumerischer Nachklang jener Zillerthaler Jodler. Die Heiligen, die sie da anschaut und abstaubt, verzeihen es ihr schon.

Es sind in der That lauter Heiligenbilder, was die blonde Burgel sieht und mit ihrem ganzen Kunstinteresse prüft. Eins davon aber, obwohl künstlerisch auf tiefster Stufe stehend, erregt ihre höchste Aufmerksamkeit. Denn wie sie den dicken Staub, der darauf gelastet hatte, weggewischt hat, entdeckt sie aus den leserlich gewordenen Buchstaben, daß es der leibhaftige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_199.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2024)