Seite:Die Gartenlaube (1886) 158.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Lotte zum ersten Male sah. Ich folgte ihr und durchschritt das kleine Zimmer. „Bitte, linker Hand in den gelben Salon,“ flüsterte die Italienerin, dann entfernte sie sich. Ich hatte mit einem Male rasendes Herzklopfen, als ich vor der verhangenen Thür stand; es war eine Art Schwindel, oder machte es die eigenthümlich schwere Atmosphäre in diesen fürstlichen Räumen, stark durchduftet von Rosen und Orangeblüthen? Mit zitternder Hand faßte ich endlich die seidenen Falten und trat in das Gemach.

Es war erhellt durch verschiedene auf Etageren und Tischen vertheilte Lampen. Ueberall ein goldig heller Schein, blinkende Reflexe, ein Geriesel von schweren leuchtend gelben Stoffen; Landschaften und Menschenbilder in breiten goldenen Rahmen, prächtige alte Möbel, unzählige Nippes und am Boden ein weicher Teppich in satten Farben. Und dort, unter dem großen Bilde, auf dem wundervoll gemalte spielende Putten ihre rosigen Glieder über den Rahmen zu strecken schienen, lag auf einer chaise longue, den Kopf in die Kissen geborgen, Lotte.

Sie hörte mich nicht. Ihre langen schwarzen Zöpfe hingenüber das weiße spitzenbesetzte Negligé herab; – sie hatte es einst bei einer Theatervorstellung getragen in der Rolle einer eleganten jungen Frau – es war mir eine häßliche Mahnung und half mich noch bitterer machen. Alles Komödie! klang es verächtlich in mir.

„Lotte!“ rief ich dann. Da schrak sie empor, und ich sah in ihr schönes verweintes Gesicht.

„Tone,“ bat sie wie ein Kind, „bleib bei mir!“ Und aufstehend schlang sie die Arme um meinen Hals und versenkte ihre glühenden Wangen an meine Schulter. „Ich bin so glücklich, so glücklich, Tone! Vergieb mir und sage mir, daß Gott nicht so grausam sein kann, daß er wiederkommen muß!“

„Sprichst Du kein Wort, Tone? Hast Du keinen Segenswunsch für mich?“ fragte sie, sich emporrichtend. „Wenn Du wüßtest, wie grenzenlos lieb ich ihn habe, Du ständest nicht mehr mit so strenger Miene da, Tone. Du zürnst mir,“ fuhr sie fort und ließ nun auch ihre Arme von meiner Schulter gleiten, „weil ich Dich nicht ins Vertrauen zog? Aber es ging Alles so rasch – weißt Du. An dem Tage, wo ich meine Verlobung löste, da hatte er schon Nachricht, daß der Krieg unvermeidlich sei, und da – im Sturm hat er mir mein Ja! abgenommen. Er reiste sofort zu seiner Mutter –. Die entsetzliche Eile, die mir just so unsympathisch ist wie Dir, sie bedingt der Krieg; ich wäre unter allen Umständen für eine Anstandsfrist gewesen –. Aber so, wenn man so liebt, wenn man nicht weiß, ob man ihn wiederkehren sieht, dann schwinden alle kleinlichen Rücksichten –. Freilich,“ fuhr sie nach einer Pause ungeduldig fort, „das begreifen nicht alle Menschen, dazu gehört vollstes Empfinden, wahre Leidenschaft – Liebe!“

„Ja,“ sagte ich, und das Herz klopfte mir bis in die Zungenspitze, „und noch etwas mehr gehört dazu, um mit dem Verlobungsring am Finger dem Anderen sein Herz zu geben.“

„Ach Tone,“ erwiderte sie mitleidig, „was verstehst Du davon; wir wollen nicht mehr darüber reden. Du wirst es ebenso wenig begreifen, daß ich Fritz nie gut war, wie daß ich meinen“ – sie stockte – „Gatten unsagbar liebe.“

„Dann durftest Du Rodens Antrag auch nicht annehmen.“

„Aber,“ rief sie ungeduldig, „ich kannte Otto noch nicht! Ich gab doch Roden nur mein Jawort, um Euch und mich vor dem Verhungern zu bewahren!“

„O, das ist schrecklich, Lotte!“

„Mein Gott, das ist der Welt Brauch, Tone. Ich wäre vielleicht auch ganz zufrieden geworden schließlich, und die solide Spießbürgerlichkeit hätte mir zuletzt ebenso gut gemundet wie der ewige Kartoffelsalat, mit dem Du uns in letzter Zeit jede Woche ein paarmal satt gemacht hast –. Aber da sah ich ihn, und vom ersten Tage an, von der ersten Stunde an liebte ich ihn. Weißt Du noch, hier in diesem Zimmer? Und da –“

„Da hättest Du Fritz Roden bei Zeiteu sagen müssen, wie es um Dich stand.“

„Aber wußte ich denn, ob mich der Prinz –“

„O, ich verstehe,“ unterbrach ich sie bitter, „und da wolltest Du abwarten? Dann, wenn der schillernde bunte Schmetterling davon flog, hättest Du das spießbürgerliche vertrauensvolle Herz immer noch am Faden, – und würdest Dich mit ihm eingerichtet haben!“

„Ich bitte Dich, Tone, höre auf!“ rief sie heftig; „sei froh, daß ich in dem Augenblick, wo wir gänzlich verlassen dastanden, eine rettende Hand fand, die uns bewahrt vor dem Schlimmsten, was es giebt, vor des Lebens Noth.“ Und als ich schwieg, fuhr sie fort: „Davon wollte ich mit Dir sprechen; Otto wünscht, daß Du bei mir bleibst. – Ich soll diese Zimmer bewohnen bis auf Weiteres: Schloß Kaltensee ist noch nicht eingerichtet; es liegt in Bayern, wo der Herzog große Besitzungen hat. Es ist mir zum künftigen Wohnsitz angewiesen; wie Du weißt, führe ich auch den Namen. Es ging Alles so rasch, ich war wie in einem Traum. Ich habe ein höchst anständiges Nadelgeld, es ist gesorgt für uns Beide; ein großes Glück, Tone!“

Sie hatte sich in einen kleinen Fauteuil gesetzt und lehnte den schönen Kopf zurück.

„Ach Tone, der entsetzliche Krieg!“ seufzte sie. Und denke Dir nur, nicht einmal eine Brauttoilette hatte ich; das alte weiße Cachemirkleid mußte ich anziehen, und der Prediger sprach so kurz, so wenig feierlich, es geht ja Alles unter in dieser schrecklichen Mobilmachung. Er war mit zwei Herren, einem Rittmeister von E. und einem Kammerherrn der Herzogin, als Trauzeugen herübergekommen. Einen Myrtenkranz hat Anita mir in Hast und Eile zusammengebunden, und wäre nicht der Brillantreif gewesen, um den er sich schlang, kein Mensch hätte in mir die Braut eines Prinzen vermuthet. Aber nun sprich doch einmal, Tone! Nimmst Du ein Glas Wein mit ein paar Früchten? Im Speisesaal steht noch unser einziger und letzter Mittagstisch, fast unberührt; ach Tone, ich konnte vor Weinen nicht essen! Werde ich je wieder ihm gegenüber sitzen und ihm eine Aprikose schälen?“

Und sie sprang empor, eilte durch das Zimmer, schlug die Hände vor die Augen und lachte und weinte in einem Athem. „Am liebsten liefe ich ihm nach in den Krieg,“ schluchzte sie. „Ach, daß ich hier sitzen muß und mich sehnen und bangen! O du großer Gott.“

Sie war hinreißend in ihrer jungen Liebesseligkeit, in der Angst um den Geliebten. Aber auf mich übte es keinen Zauber. Ich mußte an Fritz Roden’s blasses Gesicht denken, an seine Augen, aus denen alles Leben gewichen schien, als er erfuhr, daß sie einen Andern gefreit.

„Du bleibst doch gleich hier?“ fragte sie. „Ich wollte Dich noch bitten, an den Vormund in meinem Namen zu schreiben; es mußte alles per Depesche gehen in der Hast. Auch wegen Großmama –. Der gute Mann wird gänzlich konsternirt sein. Ach Tone, Großmama. Glaube mir, ich traure herzlich um sie.“

Ich mochte wohl eine abwehrende Handbewegung gemacht haben, denn sie verstummte.

„Ich will Dir gerne den Brief schreiben, Lotte,“ sagte ich dann, „aber hierbleiben kann ich nicht. ich habe Fritz Roden versprochen, seiner Mutter zur Seite zu stehen in der Zeit, wo er vom Hause fort.“

Lotte war anfänglich sprachlos, dann wurde sie böse. „Das geht nicht!“ rief sie bestimmt.

„O ja, es geht, Charlotte!“

„Aber ich darf nicht allein bleiben, Otto will es nicht.“

„Dein Mann wird doch für eine passende Persönlichkeit sorgen können; überdies ist Anita da,“ erwiderte ich.

„Aber ich kann sie nicht mehr leiden!“ fuhr sie auf, „sie ist so unverschämt vertraulich. Was gehen Dich Rodens an?“

„Nichts – das ist wahr. Aber mein Rechtlichkeitsgefühl drängt mich, in Etwas den Kummer gut zu machen, der durch uns über sie gekommen ist. Außerdem – ich liebe die alte Frau wie –“

„Wie eine Mutter!“ ergänzte Lotte ironisch.

„Ja!“ bestätigte ich aus vollstem Herzen.

„Otto wird es Dir übelnehmen,“ begann sie nach einer Pause. „Er sagte gestern Abend: Deiner Schwester setze ich natürlich ein Jahresgehalt fest – wie –“

Ich fuhr empor. „Er ist sehr gütig, aber ich muß danken!“

„Was hast Du nur gegen ihn?“ fragte sie schmollend.

„Daß er feige, daß er ehrlos handelte, als er die geliebte Braut eines braven Mannes heimlich zu gewinnen wußte, das habe ich gegen ihn!“ wollte ich ausrufen. Aber ich schwieg; warum sollte ich etwas aussprechen, das sie selbst hätte fühlen müssen, und – sie hatte sich ja so leicht, so leicht gewinnen lassen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_158.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2020)