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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Die Sache kommt mir für meine letzte Instruktion gerade noch gelegen,“ fuhr Frau von Werin immer mit derselben Starrheit der Miene und der Augen fort; „ich bin ganz damit einverstanden, vielmehr, er folgt ja nur meinem Rath und Auftrage, wenn er sich trotz Arnim’s Drängen in der katholischen Frage zurückhält. Die Gefahr, daß die Kirche gegen den furchtbaren Schlag der politischen Konsolidirung Deutschlands, so weit sie bis jetzt im norddeutschen Bunde möglich geworden ist, einen Gegenschlag führen wird, liegt auf der Hand; aber sie ist in keiner Weise zu vermeiden. Wir können uns in dem Augenblicke, wo wir mit Frankreich abrechnen müssen, nicht einen zweiten Feind auf den Hals laden, und noch dazu einen so mächtigen wie die katholische Kirche. Sie möchte uns, wenn es zum Kampfe kommt – und ich habe dem Grafen geschrieben, daß er die nächste Gelegenheit benutzen muß, und sollte er sie vom Zaune brechen – sehr häßliche Diversionen in Italien, Oesterreich und sehr wahrscheinlich selbst in Süddeutschland machen. Das muß vermieden werden, und er sieht das ja auch hoffentlich ein. Aber das Ungück des Mannes und zugleich meine schwere Last – da ich doch nun einmal die Aufgabe habe übernehmen müssen, ihm seine Aufgabe klar zu machen – ist, daß er nur reale Kräfte gelten lassen will und ideale nicht eher in Aktion bringt, als bis ich ihn dazu zwinge. ,Begreifen Sie denn nicht, Herr Graf,‘ habe ich ihm in meiner letzten Instruktion geschrieben, ‚daß man einen Krieg gegen Frankreich nicht mit Kanonen und Bajonetten allein führen kann? Daß auch das patriarchalische Gottesgnadenkönigthum und eine Wiederholung der Legende von 1813 heut zu Tage nicht mehr ausreichen? Daß es mit einem Worte die höchste Zeit ist, an den Idealismus des Volkes zu appelliren, dem Sie so ungeheure Opfer zumuthen wollen? und die sonst Niemand zu Gute kommen werden, als dem Moloch des Materialismus, der in dieser Aera des Erfolges so schon breit genug unter uns sitzt und mit jedem Tage frecher sein gräßliches Haupt erhebt? Ich weiß, Herr Graf, wie Sie sich werden ausreden wollen: Sie brauchen flüssiges Kapital, und woher das nehmen, wenn Sie es vom Markte verscheuchen? Ich warne Sie, Herr Graf, ich warne Sie! Es wird ein Pyrrhus-Sieg, den Sie da mit Geld, Geld und abermals Geld erkämpfen werden und für den Sie dem Sieger, der doch Niemand ist, als das opferfrohe Volk, mit Geld, Geld und abermals Geld ablohnen wollen. Ein Pyrrhus-Sieg für das Königthum von Gottes Gnaden, dessen Erhalter und Mehrer Sie ja doch sein möchten und von Ihrem Standpunkte sein müssen. Glauben Sie mir, Herr Graf, noch einen solchen Sieg, und es ist verloren. Gegen den Drachen, den Sie haben wachsen lassen, schützen es nicht Roß und Reisige; er wird es verschlingen und Sie, uns Alle!‘“

Schon vor den letzten Worten, die sie mit wie beschwörend ausgestrecktem Arm und erhobener Stimme gesprochen hatte, war sie vom Tische aufgestanden, und jetzt schritt sie, feierlich mit dem Kopfe nickend und mit der Hand winkend, zum Zimmer hinaus, uns junge Leute in seltsamer Verfassung zurücklassend: die Geschwister traurig und beschämt, mich voll von einem Entsetzen, das ich doch in keiner Weise äußern durfte, um die Gefühle der Aermsten nicht noch tiefer zu verletzen. Freilich, im Grunde empfand ich nur für Maria, die ihrem Bruder nicht mit einem Worte, nicht mit einem Blicke das Unglück, das er doch heraufbeschworen, zum Vorwurfe machte. Wieder zuckte es in ihrer Oberlippe; aber diesmal wahrlich nicht, weil sie nicht lachen konnte, sondern weil sie nicht in Weinen ausbrechen wollte. Oder konnte sie auch nicht weinen?

Wir hatten uns vom Tische erhoben, schweigend und mit verlegenen Mienen. Ich sah es Adalbert an: es war ihm lieber, wenn ich blieb und that, als wäre nichts vorgefallen. Aber ich hatte nur die Empfindung, daß ich Maria’s Wunsch erfüllen müsse, und sie hatte mich sofort verstanden.

„Wir dürfen jetzt die Mama nicht stören,“ sagte sie leise mit einem Blicke auf das Wohnzimmer.

„Ich brauche meine Mütze nicht,“ flüsterte ich.

„Adalbert wird Ihnen eine leihen. Bitte, Adalbert!“

Er ging sofort hinaus; wir waren so stehen geblieben, ein paar Schritte von einander entfernt, sie mit niedergeschlagenen Augen, die sie jetzt langsam zu mir aufhob mit einem Ausdrucke, der mir durchs Herz schnitt.

„Sie werden nun nicht wieder kommen,“ sagte sie.

„Fräulein Maria –“

Mehr brachte ich nicht heraus; Thränen, die ich doch nicht weinen wollte, erstickten meine Stimme, aber sie hatte mich auch so verstanden.

„Ich danke Ihnen!“ sagte sie.

Wie viel hätte ich darum gegeben, ihr sagen zu können, was ich empfand; aber da kam Adalbert schon wieder zurück. Und dann war ich draußen auf der Gasse, in der es jetzt wirklich still war, und wo ich endlich weinen durfte um das holde Mädchen, das nicht lachen konnte.


7.

Das holde Mädchen!

Ich möchte den Ausdruck nicht zurücknehmen und fühle doch, daß er nicht ganz der richtige ist. Jedenfalls war sie nicht hold in dem gewöhnlichen Sinne. Kann es ein Mädchen sein, aus dessen Kehle nie silbernes Lachen schallt? dessen bestes Lachen nur ein flüchtiges Zucken der Oberlippe ist? ja, das, weil ihm die äußeren Organe zum Lachen fehlen, auch innerlich zu lachen nicht recht gelernt oder wieder verlernt hat, ähnlich wie taub gewordene Menschen nach und nach das Sprechen verlernen? Nein, hold im gewöhnlichen Sinne war Maria nicht. Ich sagte es mir damals schon, wenn ich ihr in dem kleinen Wohnzimmer, das von dem breiten Gezweig einer alten Linde vor der Hausthür zu jeder Tages- und Jahreszeit überschattet wurde, gegenüber saß und ihr in die klaren Augen blickte, so oft sie dieselben von der Arbeit hob, oder auf die niedergesenkte reine Stirn, vor der sich das Halbdunkel zu erhellen schien, und fragte mich dann wohl, woher der Zauber komme, dessen Wirkung auf mich ich doch so deutlich spürte? Als ob ich die Antwort auf die Frage ihr nicht schon aus den klaren Augen, von der reinen Stirn gelesen hätte!

Und ich saß ihr jetzt oft so gegenüber, da sich Frau von Werin, die der Straßenlärm störte, mit ihrem Arbeitstisch in das nach hinten und einem kleinen Gärtchen hinaus gelegene Speisezimmer geflüchtet hatte, ihre „Bismarck-Instruktionen“ zu schreiben, welche Adalbert vor ihren Augen kouvertirte, mit dem Familienpetschaft der Werins versiegelte und – natürlich niemals abgehen ließ; und Adalbert selbst, den man, wie er sich ausdrückte, „mit Gewalt aus der Schule herauslobte“, für das Examen, welches im Herbst stattfinden sollte, „anstandshalber“ einiges „nachreiten“ mußte. Der Faden des halblaut geführten Gespräches riß selten ab, und wir hatten uns schon längst so in einander hineingelebt und hineingedacht, daß wir die Pausen, wenn welche eintraten, nicht mehr als solche empfanden. Es war wie auf einem sanft dahingleitenden Strom, der den Nachen weiter trägt, auch wenn die Ruderer sich für eine Zeit lässig auf die Ruder lehnen.

So hatten wir wieder einmal, indem jedes seinen Gedanken nachging, ein paar Minuten still einander gegenübergesessen, als Maria, die klaren Augen von der Arbeit hebend, fragte:

„Haben Sie sich jetzt über Nonnendorf entschieden?“

„Kommen Sie schon wieder auf dies Thema zurück?“ rief ich.

„So oft und so lange, bis Sie Ja gesagt haben,“ erwiderte sie ruhig.

Das Thema war in der That schon oft zwischen uns besprochen worden, besonders in den letzten Tagen, da ich mich in Kurzem entscheiden mußte. Schlagododro hatte seine Einladung von Zeit zu Zeit wiederholt, wie ein böser Gläubiger einen Schuldner mahnt. Nun war zu den Gründen, aus denen ich schon längst mein gegebenes Vesprechen bedauert hatte, nächst meiner offenbaren Entfremdung gegen Schlagododro noch ein besonders wichtiger gekommen: eben meine Freundschaft zu den Geschwistern Werin. Adalbert hätte mich kaum entbehrt – das wußte ich wohl, und Maria schickte mich sogar fort; aber gerade das war es, wenn ich auch klug genug war, es mich nicht merken zu lassen: ich wollte mich nicht fortschicken lassen; ich war außer mir, daß sie mich fortschicken konnte – auf vier Wochen, die mich eine Ewigkeit dünkten, wenn ich inzwischen von ihr getrennt sein, aus ihrem Munde keines jener klugen, feinen Worte hören sollte, die zu vernehmen für mich war, wie freies Athemholen nach langem Aufenthalt in geschlossenem Raume.

„Thun Sie es um unsert-, wenn Sie wollen meinethalben,“

sagte Maria. „Sie wissen, wie gütig der Major von Vogtriz,

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