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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

mußten vielmehr ein besonderes photographisches Fernrohr konstruiren und diesem durch ein Uhrwerk eine so genau bemessene Bewegung ertheilen, daß die Sterne bei ihrem ununterbrochenen Laufe am Himmel doch unverrückt auf der photographischen Platte festgehalten werden. Nach vielen mühevollen Versuchen gelang das Unternehmen über alles Erwarten. Selbst die schwächsten Sterne zeichneten sich auf der Platte mit Schärfe ab, und in einer Stunde wurde auf diese Weise mehr geleistet, als bei der gewöhnlichen Art und Weise des Einzeichnens der Sterne in vielen Monaten.

Diese Resultate spornten zu weiteren Fortschritten an. Ein neues sehr großes Fernrohr wurde konstruirt und auf den Sternenhimmel gerichtet. Die Platte zeigte nunmehr Sterne bis zur 15. Größe, das heißt solche, die so lichtschwach sind, daß überhaupt nur wenige Fernrohre in Europa sie zeigen können. Um dieses Resultat zu erhalten, mußte allerdings die Platte trotz ihrer großen Lichtempfindlichkeit eine volle Stunde dem Licht jener Sterne exponirt werden. Wenn man eine solche Platte oder vielmehr ein nach einer solchen hergestelltes Kliché betrachtet, so könnte man zweifelhaft werden, ob nicht mehrere der kleinen Pünktchen zufälligen Verunreinigungen der Originalplatte zuzuschreiben seien. Solche Bedenken sind sehr gerechtfertigt, aber die Gebrüder Henry haben dieselben auf eine sehr sinnreiche Art gehoben. Sie haben nämlich die Platte, nachdem sie eine Stunde exponirt war, um einen kleinen Bruchtheil der Dicke eines Menschenhaares nach rechts verschoben und dann wiederum eine Stunde exponirt, hierauf haben sie die Platte mit dem Fernrohre um eben so viel gesenkt und zum dritten Male eine Stunde exponirt. Betrachtet man daher das Original mit einem Mikroskop, so sieht man, daß jedes wirkliche Sternchen eigentlich aus drei Pünktchen besteht, die ein kleines Dreieck bilden, wodurch jeder Zweifel, ob man es mit einer zufälligen Verunreinigung zu thun hat, gehoben ist.

Der Vorzug der photographischen Himmelsaufnahmen besteht nun nicht allein darin, daß sie viel rascher als auf dem gewöhnlichen Wege des Einzeichnens zu überaus reichhaltigen Sternkarten führt, sondern auch darin, daß sie Bilder liefert, die absolut richtig erscheinen, in denen keine zufälligen Verzeichnungen und Irrthümer enthalten sind. Auch der aufmerksamste Beobachter macht Fehler, er kann einen, kann mehrere Sterne übersehen, eine verkehrte Einzeichnung machen u. dergl.; von alledem ist die photographische Platte frei, sie ist eine Netzhaut, welche nichts versieht! Dieser Vorzug ist nicht hoch genug anzuschlagen, denn er ermöglicht, unseren Nachkommen ein absolut treues, vollkommen fehlerfreies Bild des heutigen Sternenhimmels zu hinterlassen. Der Direktor der Sternwarte zu Paris hat deßhalb den Plan angeregt, durch systematisches Zusammenwirken einer Anzahl von Observatorien der nördlichen und südlichen Erdhälfte, eine vollständige photographische Aufnahme des ganzen Himmels zu veranstalten. Es ist dies ein großartiges Projekt und es würde zu seiner Realisirung immerhin einen Zeitraum von acht oder zehn Jahren benöthigen, aber welche wichtigen Resultate müssen sich auch daran knüpfen!

Mit solchen Karten aus verschiedenen Zeiten vor sich, und bewaffnet mit dem Mikroskop und einem mikrometrischen Meßapparat, wird der Forscher der Zukunft an seinem Arbeitstische astronomische Entdeckungen machen können, die bis dahin der direkten Beobachtung in den Fernrohren der Sternwarte entgingen. Er wird in seiner Studirstube nachweisen, ob und welche Sterne gegen früher ihren Ort veränderten, ob unter dem zahllosen Heere der lichtschwächsten Sternchen der Milchstraße neue aufgetaucht oder alte verschwunden sind, kurz, eine ganz unabsehbare Perspektive von Untersuchungen und Entdeckungen bietet sich mit Hilfe solcher Karten dar. Wie vieles mag der heutigen astronomischen Wissenschaft entgehen, weil der Blick keines der lebenden Forscher zufällig auf denjenigen Punkt in den Tiefen des Himmels fällt, wo sich gerade ein wichtiges Weltereigniß abspielt!

In Zukunft wird dies anders sein. Die photographirte Karte des Himmels giebt ein genaues Bild vom Aussehen der Himmelsräume zur Zeit ihrer Aufnahme, und sie kann jederzeit, bei Tag und bei Nacht und an jedem Orte, geprüft und studirt werden. Der äußerste heut bekannte Planet, welcher die Sonne umwandelt, ist Neptun, allein manches spricht dafür, daß auch jenseit desselben noch ein oder selbst mehrere Wandelsterne vorhanden sind. Da sie sich indessen nur äußerst langsam bewegen und dabei ungemein lichtschwach sein müssen, so konnten sie bisher unter den Millionen kleinster Fixsternchen nicht herausgefunden werden. Ist aber der ganze Himmel bis herab zu den kleinsten noch sichtbaren Sternen photographisch aufgenommen und wird diese Arbeit nach einem Zeitraum von etwa zehn Jahren wiederholt, so enthalten die auf solche Art gewonnenen Karten die Lösung der Frage nach dem oder den äußersten Planeten, und man wird letztere finden müssen. Ja noch mehr. Die photographische Platte ist in der Aufnahme und Wiedergabe der kleinsten Sterne sogar dem beobachtenden Auge direkt überlegen, indem sie noch Objekte zeigt an Stellen des Himmels, wo man auch mit den kraftvollsten Ferngläsern überhaupt nichts mehr sieht.

In dieser Beziehung haben jüngst die Gebrüder Henry eine überaus merkwürdige Entdeckung gemacht. Sie richteten am 16. November ihr großes photographisches Fernrohr auf die Stelle des Himmels, welche der Stern Maja in den Plejaden einnimmt, und fanden nachher auf der Platte außer zahlreichen Sternen einen spiralförmigen Nebelfleck, der gewissermaßen von dem Stern Maja auszugehen schien. Da man an der betreffenden Stelle des Himmels auch mit den größten Teleskopen der Sternwarte zu Paris keine Spur eines solchen Nebels wahrzunehmen vermochte, so wurde am 8. December eine neue photographische Aufnahme gemacht; auch sie zeigte den Nebel, und eine dritte, die am nächsten Tage erhalten wurde, ließ ihn ebenfalls erkennen. Es kann also kein Zweifel darüber sein, daß sich in der Nähe jenes Sternes wirklich ein spiralförmiger Nebelfleck befindet, von dem das Auge direkt selbst mit Hilfe der größten Teleskope nichts wahrzunehmen vermag. Welch’ wunderbare Aussichten für die Zukunft eröffnen sich hier! Eine wahrhafte Astronomie des Unsichtbaren beginnt. Himmelskörper, die unserem unmittelbaren Anblick auf ewig ein Schleier verhüllt, treten in den Kreis der Wahrnehmbarkeit, ja, zeichnen selbst ihr Bild. Das aber ist der höchste Triumph des menschlichen Geistes, daß er im wahren Sinne des Wortes die Natur zwingt, ihm ihre Geheimnisse zu offenbaren; daß ein Lichtstrahl, der in der Tiefe des Weltraums seinen Ursprung nahm zu einer Zeit, als vielleicht noch keines Menschen Fuß die Erde betreten hatte, heute auf einer Tafel selbst Umriß und Gestalt des Weltkörpers entwirft, von dem er einst vor Myriaden von Jahren ausging! Dr. Klein.     


Vom Radfahren.

Das anfänglich viel bespöttelte Reitrad ist auf dem besten Wege, sich eine Art Weltherrschaft zu erobern. In allen Ländern wendet sich die Jugend dem Radfahrsport mit ganz besonderer Vorliebe zu, und wenn die Ausbreitung, welche diese Liebhaberei in den letzten zehn Jahren gewonnen, noch eine Weile in demselben Maße Fortschritte macht, so wird es bald kaum eine Stadt mehr geben, in der sich nicht mindestens ein Radfahrer-Klub aufgethan hätte. Die Erfahrungen, welche die bisherige Pflege der Radfahrkunst geboten hat, kommen dieser selbst auch wesentlich zu statten.

Das erste Velociped nach Freiherrn von Drais 1817.

Das Velociped von 1868.

Es hat sich gezeigt, daß dieser Sport ganz vortrefflich geeignet ist, die körperliche Gewandtheit bei Jenen, die sich ihm widmen, zu entwickeln, und daß er dabei verhältnißmäßig wenig gefährlich ist. So eine Fahrt auf dem windigen, schmalen, schlanken und graziösen Vehikel sieht sich viel halsbrecherischer an, als sie in Wirklichkeit ist. Jeder rechte Junge, der kein Hasenfuß ist und der auch bei anderen körperlichen Uebungen nur halbwegs seinen Mann stellt, kann schon nach wenigen Stunden, sehr oft sogar nach einer einzigen Uebungsstunde schon ein leidlich sattelfester Radfahrer werden. Und dann steht ihm die Welt offen! Er kann auf seinem Rad auch bis nach Asien hineinreiten, ein kleines Vergnügen, das sich schon mehrere Radfahrer beim besten Wohlsein geleistet. Man kann zwar heutzutage seine Reisen, wie männiglich bekannt, auch mit der Eisenbahn und, wo es Noth thun sollte, auch in einer ehrwürdigen Postkutsche und mit Hilfe noch so mancher anderer Gelegenheiten, absolviren, aber man frage einmal so ein junges Blut, ob es etwas Schöneres giebt, als so sich durch eigene Kraft rasch vorwärts zu bringen und auf dem beschwingten Rade lustig in die Welt hineinzureiten!

Das Reitrad ist das allermodernste Verkehrsmittel, und wo es zum ersten Male in Bewegung gesehen wird, wird es kaum weniger angestaunt, als vor Zeiten die ersten Eisenbahnzüge. Es nimmt sich ganz kurios aus, wie ein Mensch sich in voller Sicherheit des Gleichgewichtes mit der Geschwindigkeit eines guten Pferdes auf einem so unglaublich spindeldürren Rade fortbewegt. Und doch ist keine Hexerei dabei. Die ganze Maschine ist so einfach, daß man sich billig darob verwundern kann, daß sie nicht seit Jahrhunderten schon im Gebrauch ist. Thatsächlich reicht die Geschichte des Velocipedes gar nicht weit zurück.

Die Erfindung ist eine deutsche, wenn auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, der deutsche Gedanke erst im Auslande der eigentlichen praktischen Verwerthung zugeführt worden ist. Der großherzoglich badische Forstmeister Karl Freiherr von Drais (nach ihm auch die Bezeichnung Draisine) hat im Jahre 1817 eine Maschine erfunden, welche als die Ahnfrau des heutigen Reitrades zu betrachten ist. Seine Fahrmaschine bestand im Wesentlichen aus zwei hinter einander stehenden Rädern mit einem einfachen Sattelsitz auf der die beiden Räder zusammenhaltenden Stange. Die Fahrt mit dieser Maschine muß sich einigermaßen komisch ausgenommen haben, denn die Fortbewegung erfolgte dadurch, daß der Reiter abwechselnd einmal mit dem rechten, einmal mit dem linken Fuße von der Erde abstieß, um sein Fahrzeug in Bewegung zu bringen und zu erhalten. Freiherr von Drais war im Stande, mit dieser seiner Maschine sieben bis acht Kilometer in der Stunde zurückzulegen. Das Ergebniß ist, wie man sieht, ein geringes, dieselbe Strecke kann heute in einer Viertelstunde zurückgelegt werden. Und dann konnte selbst jenes Resultat nur mit einer so großen Anstrengung erreicht werden, daß diese gar nicht zu jenem im rechten Verhältniß stand, da man dafür gleich ganz

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