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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

und weiße Erde, welche aus den Kieselpanzern von abgestorbenen Infusorien besteht, mit Kornmehl vermischt genossen. Namentlich aber findet sich der Gebrauch der Erde als Speise in Ländern der heißen Zone – Erde, und zwar fette, schmierige, wird am Orinoko, in Peru, an den Küsten von Guinea, auf Java, in Persien, Syrien, auf der Insel Sardinien gegessen; hier verzehrt man ein Brot aus Eicheln, die in Erde verbacken werden, eine Probe davon befindet sich in Montegazza’s anthropologischem Museum. Der beste Beweis für die Verbreitung der Sitte ist, daß die Erde wie andere Lebensmittel auf den Markt gebracht wird, zu kleinen Kuchen, Plätzchen, Röllchen oder Kügelchen geformt, dann und wann geröstet und mit Cocablättern vermischt, kurz, als ein normales Naschwerk behandelt wird. Nicht bloß als Naschwerk: die Otomaken, deren Lebensweise Alexander von Humboldt in seinen „Ansichten der Natur“ beschrieben hat, genießen ihre Thonkugeln wie Brot zu Fischen und Schildkröten, zwei bis drei Monate lang jedes Jahr ausschließlich. Dabei befinden sich diese Leute völlig wohl. Also es ist nicht der Hunger, der die Bewohner der heißen Zone treibt, in Ermangelung eines Besseren Erde zu verschlingen, sondern sie haben sich gewöhnt, das tägliche Nahrungsbedürfniß mit Erde zu befriedigen, auch wenn sie vollauf zu leben haben; sie fressen den Staub mit Lust, wie die Muhme des Mephistopheles.

„Jeder nach seinem Geschmacke,“ sagte der Bauer, da aß er Roßkastanien für Bratäpfel. In der That, wenn wir die vorstehenden Thatsachen überblicken, so bleibt kaum ein irdischer Stoff übrig, der nicht schon einmal gegessen worden wäre, ja, was mehr sagen will, es bleibt kaum einer übrig, den man von vornherein unter die „Allotria“ zählen könnte. Allerdings beruht die Allotriophagie zunächst auf einem krankhaften Gelüste, aber wenn man genauer hinsieht, so ist der gesündeste Mensch bei seiner frugalen Kost ein Allotriophage, der Dinge zu sich nimmt, die er niemals gebrauchen kann; die Kolniker und die Kahle verschlingen Steine, ja, die Neger und die Indianer weiden sich an der sanften Erde, und die Arbeiter vom Kyffhäuser streichen die Steinbutter auf ihr Brot, des wackeren Burschen nicht achtend, der singt:

„Mich will es schier bedünken,
Als thät uns Eines Noth,
Das ist ein roher Schinken,
Ha, mit sanftem Butterbrot.“

Rechnen wir hinzu, was gelegentlich aus Versehen oder aus einer sonderbaren Vorsicht verschluckt wird, so möchten wir an unserem Magen ganz irre werden. Und was uns das Leben an bittern Pillen sonst zu verschlucken giebt! –

Aber ich will mit einem guten Wunsche schließen. Wenn sich ein Schüler mit andern Dingen abgiebt, als die sind, mit denen er sich beschäftigen sollte, so sagt man, er treibe Allotria. Wenn er das einmal thut, so ist das kein großes Unglück, er soll nur für gewöhnlich fein hinter den Büchern sitzen und die gesunde Nahrung, die seinem Geiste und Herzen geboten wird, nicht verschmähen. Wenn ihm die fehlte, so wäre es freilich schlimm. Und so wünsche ich denn auch jedem Leser dieser Zeilen, daß er sein Lebenlang etwas Solides zu beißen und zu brechen habe und daß ihm der Geschmack dafür nie abhanden kommen möge. Wenn er dabei hin und wieder Allotria verschluckt, so braucht er sich nicht zu fürchten. Erst wenn er ausschließlich auf Allotria erpicht ist, tritt Gefahr für seine Gesundheit ein. Dann leidet er an einer Krankheit, er hat Allotriophagie.


Die Photographie des Himmels.

Zu den großartigsten Errungenschaften der Neuzeit gehört zweifellos die Verwendung der überaus leichtempfindlichen Trockenplatten in der Photographie, wodurch es möglich wird, den niederfahrenden Blitz, das trabende Pferd, die brandende Woge, das vom Sturm bewegte Laub abzubilden. Es ist ja noch gar nicht abzusehen, welche vielseitigen Anwendungen diese neue Methode in den praktischen Naturwissenschaften finden wird. Hier soll nur eine ihrer mehrfachen Anwendungen, nämlich die Benutzung zur Aufnahme des Sternenhimmels besprochen werden.

Fig. 1 Theil des Sternbildes der Zwillinge, gesehen mit bloßem Auge.

Wer ein Urtheil über die Zahl der Sterne, die dem bloßen Auge in klarer Winternacht sichtbar sind, abgeben soll, pflegt fast immer diese Zahl zu überschätzen. Der Laie spricht von Hunderttausenden, ja von Millionen Sternen, die er mit bloßem Auge wahrzunehmen behauptet. Solche Schätzungen gehen jedoch weit über die Wahrheit hinaus, und wenn irgend etwas als sicher gelten kann, so ist es die Thatsache, daß die Zahl der mit bloßem Auge am Himmel sichtbaren Sterne sehr gering ist. Alle Sterne, welche das schärfste menschliche Auge ohne Fernrohr wahrnehmen kann, sind längst in Karten niedergelegt und ganz genau – im wahren Sinne des Wortes: haarscharf – nach ihrem Orte am Himmelsgewölbe bestimmt; ihre Gesammtzahl erreicht aber, wenn man alle nach und nach im Laufe des Jahres sichtbar werdenden Theile des Sternenhimmels für unsere Gegenden zusammennimmt, bei Weitem nicht die Summe von 7000. Nimmt man jedoch ein Fernrohr zur Hand, so gestaltet sich die Sache ganz anders, denn es werden alsdann immer mehr Sterne sichtbar, je stärker das Teleskop ist, welches man benutzt. In der nebenstehenden Abbildung (Fig. 1) ist eine gewisse Stelle des Himmels dargestellt, wie sie sich dem bloßen Auge zeigt. Man erblickt zwei hellere Sterne und mehrere kleinere. Dieselbe Stelle, aber gesehen durch ein mächtiges Teleskop, zeigt die Fig. 2, und diese Abbildung ist nicht etwa auf gut Glück entworfen, sondern jedes Pünktchen bis zu den kleinsten wurde genau nach Beobachtungen am Himmel eingetragen und zwar in einer großen Sternkarte, aus der vorstehende Abbildung eine verkleinerte Kopie ist. Hier wird das Sprichwort vom „Sternengewimmel“ zur Wahrheit! Und jeder dieser Sterne bis zu den kleinsten ist ein gewaltiger Weltkörper, eine leuchtende Sonne, vergleichbar in seiner Heimath der unserigen an Glanz, Gluth und Größe! Jede dieser Sonnen wandelt seit Anbeginn ihre vorgeschriebene Bahn und spielt ihre eigenthümliche Rolle im großen Organismus des Weltalls. Solche Sternkarten sind Blätter aus dem großen Buche der Weltallsgeschichte, einem Buche, in dem zu lesen die Astronomie lehrt und in welchem auch das Ende unseres Planeten beschrieben ist auf einem Blatt, von dem schon ein gutes Theil entziffert wurde.

Fig. 2. Theil des Sternbildes der Zwillinge, gesehen mit dem Teleskop.

Leicht begreiflich ist es sonach, daß die Himmelsforscher Alles daran setzen, in den Besitz einer möglichst großen Anzahl zuverlässiger Kopien dieser Blätter einer Geschichte der Welt zu gelangen, mit anderen Worten, möglichst ausgedehnte, auch die kleinsten Lichtpünktchen des Himmels umfassende Sternkarten zu besitzen. Welche ungeheure Mühe indessen die Herstellung solcher Karten nothwendig verursacht, läßt sich denken, ja eigentlich handelt es sich hierbei um eine Aufgabe, die alle menschliche Kraft übersteigt. Die Karte, von welcher die obige Abbildung eine Kopie ist, wird auf der Sternwarte zu Paris hergestellt, und zwar arbeitet man dort schon seit vielen Jahrzehnten an der Fortführung derselben. Seit Jahren sind es die Gebrüder Paul und Prosper Henry, welche mit diesem mühevollen Unternehmen sich beschäftigen, allein trotz der großen Erfahrungen, die sie nach und nach erwarben, drohte ihrer Arbeit 1884 ein jähes Ende. Sie kamen nämlich im Verfolge ihrer Aufzeichnungen damals in die Gegend des Himmels, welche von der Milchstraße durchzogen ist. Der mild leuchtende Schein der Milchstraße wird aber bekanntlich hervorgerufen durch eine Ansammlung unzählbarer Millionen von Sternen, die in unergründlicher Tiefe hinter einander stehen. Diese Millionen Sternchen in Karten wiederzugeben erwies sich als geradezu unausführbar. Da erinnerten sich die beiden Beobachter der jüngst so vervollkommneten Photographie und beschlossen, dieselbe zu Hilfe zu nehmen. Freilich konnten sie dafür die gewöhnlichen Apparate des

Photographen nicht gebrauchen, sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_128.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2024)