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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

aus kostbaren Edelsteinen. Ueber 150 Millionen Mark kostete dieser Thron; der Kiosk „Marokko“ ist somit nur ein schwacher Abglanz der orientalischen Pracht, des „Paradieses auf Erden“, das ein siegreicher Eroberer binnen wenigen Tagen in einen Trümmerhaufen verwandelte.

In einiger Entfernung rechts vom Kiosk befindet sich die Bauhütte mit den Wohnungen verschiedener Beamter und deren Familien, des Maschinenmeisters, der beiden Gendarmen, des Grottenwärters und einiger Anderer. Weiter oben in der Nähe der Bergwände liegen ein Gebäude für die ständigen Arbeiter und das Maschinenhaus mit Gasanstalt und den Apparaten zur Erzeugung von elektrischem Lichte. Das Maschinenhaus und seine Arbeiter stehen hauptsächlich im Dienste des Interessantesten, was der Linderhof birgt, im Dienste des Geheimnisses vom Linderhofe: der Grotte.

Du stehst vor einem unscheinbaren, rasenbedeckten Hügel, dessen eine Seite graues Felsgestein bildet. Nichts Außergewöhnliches läßt dich vermuthen, daß hier ein lichtschimmerndes, glanzsprühendes Wunder in die Erde gezaubert worden ist, daß hier die köstlichsten glanzdurchglühten Märchen volle, blendend-schöne, sinnbetäubende Verwirklichung gefunden haben.

In verzauberten Schlössern, in weltverlorenen alten Burgen berührt der Märchenprinz mit seinem Talisman den Felsen. Und sieh! von geheimnißvollen, wunderbaren Kräften bewegt, öffnet sich derselbe und, staunender Bewunderung voll, schaut sein Auge, erschreckt und verzückt zugleich, hinein in diese ungeahnte Welt voll Pracht und Glanz. So auch hier. In einer Nische des Felsens verborgen ruht ein Schlüssel. Und kaum berührt dieser das Gestein, so dreht sich ein gewaltiger Theil der Felswand geräuschlos und mit Leichtigkeit in verborgenen Angeln. Du trittst ein. Ein paar Schritte legst du zurück in einem hohen Gange zwischen den Felsen und – stehst geblendet, verwirrt. Eine hohe, weite Tropfsteinhöhle mit mannigfachen Nebenhöhlen, mit heimlichen Nischen und verborgenen Schlupfwinkeln ist es, vor welcher du stehst. Aus allen Winkeln, aus allen Ecken, aus allen Nischen und Spalten des Gesteins, aus zahlreichen mit farbigen Gläsern überdeckten Vertiefungen zur Rechten, zur Linken, über, unter, neben dir leuchtet, flackert, flammt, glüht, sprüht ein Meer von Lichtfluthen bald gelben, bald grünen, bald violetten, bald rosarothen, bald rothen, bald blauen Scheines in überraschendem, plötzlichem Wechsel durch den wunderbaren Raum, alle Theile desselben mit einer unsäglichen Fülle von Licht und Glanz übergießend. Hold und lieblich wölbt ein Regenbogen sein mildes Licht über all’ diese flammende Schönheit.

Allmählich lernt das Auge den ungewohnten Glanz ertragen. Du vermagst die Raumverhältnisse dieser wunderbaren Schöpfung zu schätzen, die einzelnen Theile derselben zu unterscheiden. Ein weißer, unter der Einwirkung des wunderbaren Lichtes blinkender fester Kalkstaub, die natürliche Absonderung des Tropfsteins, bedeckt Alles. Die Haupthöhle bildet einen Raum von etwa 15 Meter Durchmesser und 10 Meter Höhe. Aus dem Hintergrunde derselben rauscht, gleich flüssigem Silber, tausendfältig glitzernd und sprühend, in schäumenden Kaskaden die Felswand durchbrechend, ein Wasserfall herein in den Raum. Derselbe speist einen die Basis der Haupthöhle zu drei Viertheilen füllenden See, dessen klare Fläche die blendenden Lichter in zauberhafter Schönheit zurückstrahlt. Auf dem Spiegel des Sees wiegt sich ein goldener, von Rosengewinden umschlungener Kahn, dessen Rückseite zu einer Muschel sich erweitert. Auf dem Bug des Schiffleins stehend spannt Amor, unter schelmischem Lächeln das Ziel nehmend, den Bogen. Den Bord zur Rechten und Linken schmücken rothe Korallen. Ein Taubenpaar, dessen Schnäbel sich kosend im Kusse vereinigen, steht im Begriff, sich auf der linken Seite des Schiffleins niederzulassen. Zwei goldene Ruder harren der kundigen Führung des Schiffers. Mehr aber noch als auf die Fahrt mag dieser achthaben auf sein Herz. Dort drüben, auf dem Felsgestein ruht sie, Liebe heischend, in berückender Schönheit, die Unheil bringende Lorelei, und kämmt mit goldenem Kamme das golden schimmernde Haar. Horch! Vernimmst du es nicht, das lockende Lied der Sirene?

Dort, an der Felswand im Vordergrunde des Märchensees, der doch volle Wirklichkeit ist, Hackl’s herzbewegend-schönes Bild: Tannhäuser, schlummernd in Venus’ Schoße. Voll sinnigen Ernstes, mit einem Hauche von Trauer fast, ruht der Blick des dämonisch schönen Weibes auf dem entschlummerten Geliebten. Ist es eine Ahnung vom Weh des Scheidens, die ihm durch die Seele zieht? Genien der Liebe, Grazien und badende Nymphen umgeben beide, Rosengewinde um sie schlingend, Blumen streuend.

Der Wartburg- und Tannhäuserscene schrägüber führt eine Biegung in einem der Gänge in eine verlorene Ecke. Gestalten treten dir aus derselben entgegen. Betroffen willst[WS 1] du dich zurückziehen. Da bemerkst du, daß du selbst es bist, dem du begegnest. Du stehst vor dem Spiegel, einer riesigen Scheibe von etwa 3½ Meter Höhe und 2 Meter Breite. Drei derartige Scheiben sollen auf dem Transporte zerbrochen oder beschädigt worden sein, bis endlich die vierte unversehrt in das Gestein eingelassen werden konnte.

In der Nähe der Spiegelgrotte führt ein schmaler mit Holzgeländer versehener Steig, etwa 7 Meter am Felsen empor, hinauf nach dem Königssitz. Es ist ein Sitz in der Länge von etwa 2 Meter, auf der Rückseite von einer goldenen Riesenmuschel umrahmt. Rosengewinde umschlingen dieselbe und Schilfrohrblätter umgeben sie. Hier pflegt König Ludwig II. niederzusitzen und sich der Bilder des Lebens, der Liebe und der Schönheit, wie er sie in diesem seltenen Raume so wunderbar geschaffen, einsam zu freuen.

Ueber die technische Seite der komplicirten Einrichtungen zur Erzielung der wunderbaren Wirkungen nur einiges Wenige. Die Gasanstalt und die Apparate zur Erzeugung des elektrischen Lichtes befinden sich, wie bereits erwähnt, in dem Maschinenhause. Hunderte von Leitungsdrähten kommuniciren von diesem aus mit einer technischen Abtheilung in der Grotte. Telegraphie und Telephonie vermitteln den Verkehr zwischen Maschinenhaus und Grotte. Ein Wink und anstatt z. B. in rothem flammt alles in blauem Lichte. Elektrisches Licht, Gas und Glas sind die einfachen Mittel, durch welche die unbeschreiblich-großartigen magischen Lichtwirkungen erzielt werden. Die zur Anwendung gelangende telegraphische Chiffreschrift, wie sie an den Apparaten selbst bemerkt ist, ist die folgende:

bedeutet: Achtung.
– – " Drehen.
– – – " Wechsel.
. . . – " Veränderte Reihenfolge.
. " Gelb.
. . " Grün.
. . . " Violett.
. . . . " Rosa.
. . . . . " Roth.
. . . . . . " Blau.
. . . . . . . . . . " Irrungszeichen.
– . – . " Nachsehen.
. – " Aus.

Wie Beklemmung fast liegt es dir beim Scheiden aus dem wunderbaren Raum auf dem Gemüth. Die Seele ist bewegt, verwirrt. Aufathmend grüßest du wieder den goldenen Tag. Aber unauslöschlich werden die Eindrücke dir vor der Seele stehen, welche du in der Grotte empfingst, dem Märchen des Linderhofes.

*  *  *

Wir fürchten unsere Leser zu ermüden, wenn wir ihnen noch von den weiteren einsam im Gebirge liegenden zum Theil unvollendeten Prachtbauten des Königs erzählen wollten, so von der großartigen Nachahmung des Versailler Schlosses auf der Herreninsel im Chiemsee, von welcher bis jetzt der imposante Mittelbau und ein Seitenflügel fertig steht und die theilweise auch im Innern mit einer alles Andere überbietenden Pracht ausgestattet ist; von dem neuen Schloß bei Hohenschwangau, der sogenannten Gralsburg, deren Grundmauern allein Hunderttausende verschlangen. Was wird das Schicksal all’ dieser Bauten werden? Die Beantwortung dieser Frage kann nur tief traurig stimmen, besonders wenn man dabei bedenkt, wie viel Mühe und Geld in den Ruinen dieser zum Theil halb fertigen Schlösser begraben liegen wird, und selbst der Gedanke, daß diese Schöpfungen zur Hebung des Kunstgewerbes mit beigetragen und eine Zeitlang vielen Menschen Arbeit gegeben haben, vermag an dieser Stimmung nicht viel zu ändern.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: millst
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_107.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)