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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

zehn Thaler. Ich schlug es ihr ab; da hat sie geweint, als sei ihr das Schlimmste widerfahren. Mit Hans seinem Unglücksbrief erhielt ich aber zu gleicher Zeit auch noch eine Rechnung von Gerson über ein neues schwarzes Kostüm, das sich Lotte bestellt hat und das heute eintreffen muß. Es ist wahrlich unnöthig für Rotenberg; ich weiß nicht, wie ich es bezahlen soll! Nun, es geht, so lange es geht!“

Sie zuckte die alten müden Schultern, wandte sich und ging hinaus.

Es giebt Tage, an denen man meint, es könne nicht hell werden. Zeiten, da man glaubt, die Sonne scheine nie wieder; wie ein Alp liegt das Dasein auf der wunden Seele. –

Ich stand auf und kleidete mich an. In der Küche rumorte schon die alte Ausgeherin; nun kam sie in das Vorderzimmer, und ich härte ihre Stimme:

„Fräulein! Fräulein Tone!“

Was war es doch, was sollte sie doch? Ach so – das Wort an Fritz Roden, das eine Wort, um das er gebeten – Ich hatte es nicht.

Vorsichtig wollte ich an Lottes Bette vorüber; da packte eine kleine Hand die Falten meines Kleides.

„Tone, einen Moment,“ bat die weiche Mädchenstimme.

„Was willst Du, Lotte?“

„Tone, ich habe furchtbar geträumt, aber ich weiß, das thut man zuweilen; ich wollte Dich jetzt nur fragen , hältst Du Fritz Roden für einen anständigen Charakter? Sag’s ehrlich, Tone – Du weißt, was ich darunter meine – großmüthig, in keiner Weise egoistisch und kleinlich, ein Kavalier?“

„O Gott, Lotte, frage mich nicht!“ bat ich. Ich hielt ihn ja für den Besten auf der Weltl

„Doch, antworte! Glaubst Du, daß er ein Gentleman ist?“

„Ja, das glaube ich,“ murmelte ich.

Sie schwieg und sah zu mir empor, das Antlitz weiß wie die Spitzen ihres Nachtjäckchens, erschreckend ernst das junge Gesicht.

„So laß ihn kommen,“ sagte sie und warf sich herum.

„Du wolltest?“ stotterte ich. „Lotte, liebst Du ihn denn wirklich, sonst – – Mein Gott, Lotte –“

„Ich will!“ klang es halb erstickt aus den Kissen zurück.

Fast schwindelnd trat ich in das Wohnzimmer. Die Frau stand noch dort und wartete auf Geld zum Einkaufen von Milch und Semmel. Ich riß ein Blättchen aus meinem Haushaltungsbuch, schrieb ein „Ja!“ darauf, knickte es und fügte die Adresse hinzu.

„Geben Sie es auf der Domaine ab an Herrn Roden, aber ihm selbst.“

Die Frau machte ein schlaues Gesicht und ging; an der Thür blieb sie stehen.

„Dann haben die Leute doch Recht,“ plapperte sie. „Na, ich spreche nicht darüber, Fräulein von Werthern.“

„Worüber?“

„Daß der Fritz Roden Ihr Schatz ist! Aber das muß wahr sein, er kriegt ’ne gute Frau. Wenn Sie Hochzeit halten, da gehe ich in die Kirche. Sie glauben’s nicht, Fräulein, aber Der hätte ’ne Jede kriegen können, die ganzen vornehmen Fräuleins sind ihm nachgelaufen; aber die Rodens haben sich immer etwas Apartes ausgesucht. Na, entschuldigen Sie nur, Fräulein, ich besorg’s schon.“

Sie ging. Ich hatte kein tadelndes Wort für die Dummdreistigkeit der Frau; ich schlug die Hände vor das Gesicht. Fritz Roden – mein Schatz! Ach, großer Gott.

Um elf Uhr war alles in Ordnung, den Freier zu empfangen. Großmutter saß im schwarzen Seidenkleid auf ihrem Lehnstuhl; sie hielt das Strickzeug in der Hand, aber die Nadeln rührten sich nicht: sie war noch immer starr ob der unerwarteten Thatsache, daß Fritz Roden und Charlotte Freiin von Werthern ein Paar werden sollten. „Die Lotte meint er, wirklich die Lotte?“ hatte sie mich schon dreimal gefragt.

„Ja, liebste Großmama!“

„Und sie will ihn? Lotte, Du willst Fritz Roden heirathen?“

„Ja!“ kam es zum wer weiß wievielten Male von den Lippen des Mädchens. Sie stand mit verschränkten Armen am Kachelofen, hatte die Schultern in die Höhe gezogen und sah aus, als ob sie fror, blaß und so eigen. Die prachtvollen Zöpfe, die sie sonst auf dem Rücken herabhängen ließ, hatte sie am Hinterkopf aufgesteckt. Sie machte den Eindruck, als sei sie um Jahre gealtert, und doch war sie wunderbar schön, schöner als ich sie je gekannt.

Als die bekannten Schritte auf der Treppe erklangen, ward sie noch um eine Schattirung bleicher; es war, als wollte sie davonlaufen; dann blieben ihre umherirrenden Blicke an einem Bilde hängen über dem Sofa – Hans in voller Uniform; eine große prächtige Photographie, die erst neuerdings bezahlt worden war von dem letzten Rest meines ersparten Taschengeldes. Sie schüttelte sich nervös und blieb.

Die Großmutter schritt zur Thür hinüber, und auf sein Klopfen öffnete sie selbst. In dem Augenblick, da er hereinkam, ging ich in das Schlafzimmer und zog die Thür hinter mir zu. Nichts hören! Nichts sehen! Nur allein – am liebsten todt! schrie es in mir. Konnte es möglich sein, konnte man solche Qualen erdulden und nicht vergehen? Und so stand ich und hörte das Sprechen, das gedämpft und undeutlich an mein Ohr schlug, hörte den bewegten Klang heraus, der gestern in seiner Stimme bebte; ich sah sein Gesicht vor mir, so ernst, so zuckend vor Bewegung, und ich hielt den Drücker der Balkonthür krampfhaft gefaßt und schaute hinaus in das winterlich öde Land, arm an Allem, sogar an Hoffnung!

Dann leise Schritte hinter mir. Sie war an meiner Seite plötzlich auf einen Stuhl gesunken. So sieht doch keine selige Braut aus!

„Geh mit,“ stotterte sie und packte meine Hand, „ich soll zu seiner Mutter.“

Sie sah mich so flehend an, ich konnte nicht widerstehen. Wir nahmen Hüte und Mäntel und kamen zusammen in das Wohnzimmer zurück. Er hielt Großmutters Hände und sprach. Ihn, den Stillen, hatte das Glück redselig gemacht; es waren Betheuerungen der innigsten Liebe und Dankbarkeit, und die alte Frauenhand strich uber den blonden Männerkopf: „Ich glaube Ihnen, lieber Roden, ich glaube Ihnen!“

Ich reichte ihm die Hand, aber ich konnte ihn nicht ansehen. Er flüsterte mir herzlichen Dank zu und drängte nun zum Aufbruch. „Meine Mutter wartet,“ sagte er.

„Tone kommt mit,“ erwiderte Lotte wie ein ängstliches Kind. Er schwieg; er hatte sich gefreut, allein mit ihr zu sein, aber sie zog mich an den Falten des Kleides nach, und so schritten wir Drei den langen mit Buchsbaum eingefaßten Weg hinunter. Er führte die schlanke Gestalt, die kaum die Fingerspitzen auf seinen Arm gelegt hatte. Am Hofthor zog sie die Hand zurück. „Es geht sich besser allein auf dem Pflaster.“

„O, thue mir den Gefallen!“ flehte er und bot den Arm aufs neue, „dort steht die Mutter am Fenster.“

Und nun gingen sie neben einander über den Hof, an den Ställen vorüber dem Wohnhause zu. Auf die Schwelle war Frau Roden getreten, als sich das junge Paar näherte. Die hellen Thränen rannen ihr aus den Augen, wie sie Lotte beide Hände entgegenstreckte. „Das walte Gott!“ sagte sie und zog das Mädchen an ihr Herz. Und als wir im Wohnzimmer standen, da sprach sie noch einmal: „Das walte Gott! Ach, machen Sie den Jungen glücklich, er ist mein Einziger – –“

Sie setzte sich in ihren Stuhl und schluchzte in das große Taschentuch laut und bitterlich. Lotte stand ruhig daneben. Sie und wir Alle mußten fühlen, daß die alte Frau an ihrer Fähigkeit, den Sohn zu beglücken, zweifelte. Zumal der Bräutigam empfand es bitter.

„Mutter!“ rief er fast streng.

Und nun trocknete sie die Augen, und um es gut zu machen, trippelte sie an den Schreibtisch und nahm aus einem Fach ein blitzendes Schmuckstück in Form eines Kreuzes, dessen Mitte ein sprühender Brillant bezeichnete.

„Das,“ sagte sie, und aus den Thränen leuchtete es freudig verschämt auf, „das schenkte mir mein guter Mann an unserem Verlobungstage; nehmen Sie es – möge es eine so herzlich glückliche Braut schmücken, wie ich es gewesen bin.“

Das schöne Mädchen hielt das funkelnde Kreuz in der Hand, ohne das geringste Zeichen von Bewegung; dann beugte sie sich, bot den Mund zum Kuß und stammelte einen Dank. Fritz Roden aber öffnete die Thür und rief in den Flur hinaus mit seiner

Löwenstimme: „Heda, Leute! Mamsell, Rike, Minna! kommt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_087.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2022)