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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Black Tom“, der schwarze Thomas, ein Neger aus Süd-Karolina oder daherum, der, wie er selbst sagt, „der erste Weiße“ war, der sich auf Samoa niederließ, hat endlich auf Jaluit ein ruhiges Plätzchen gefunden, nachdem er Samoa wegen Einbruchs schleunigst verlassen mußte und später auf Madjuru von den Eingeborenen fast erschlagen wurde, weil er ihre Kopra für die seinige hielt. Black Tom ist jetzt ein wohlsituirter Mann und eine jener Südsee-Typen, die hoffentlich immer seltener werden. Und dazu wird das neue deutsche Protektorat jedenfalls das Seinige beitragen, damit auch hier Jene unlauteren Elemente verschwinden, welche bisher in der Südsee eine oft nur allzu große Rolle der Willkür spielten und den Eingeborenen in keiner Weise als Vorbild dienten.

Außer Jaluit besitzen nur noch Ebon, Namerik, Milli, Madjuru und Arno Stationen von Kleinhändlern, welche für die genannten Firmen oder auf eigene Rechnung Kopra von den Eingeborenen tauschen oder kaufen, denn in den Marshalls ist vielfach bereits Geld und zwar der chilenische Dollar eingeführt. Auf Ebon verlangen die Eingeborenen bereits einen solchen als Tagelohn! Die Mission, welche schon an 25 Jahre und mehr in den Marshalls thätig ist, über die vorher genannten Inseln aber bisher nicht hinauskam, hat die Eingeborenen eben klug gemacht, im Ganzen aber keine großen Erfolge zu verzeichnen. Die Gesammtzahl der Getauften geht über mehr als 300 wenig hinaus; auf Jaluit mit angeblich an 1400 Einwohnern giebt es kaum 20 Kirchengänger.

Marshall-Insulanerin (Jaluit).
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. O. Finsch.

Marshall-Insulaner (Jaluit).
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. O. Finsch.

Von Plantagenwirthschaft kann auf den Marshalls nur die der Kokospalme in Betracht kommen. Adolf Capelle, ein Braunschweiger, der Erste, welcher sich vor mehr als 20 Jahren als Kaufmann in der Gruppe niederließ und die Eingeborenen Kopra machen lehrte, hat eine solche Kokospflanzung auf der ihm gehörigen Insel Liekip angelegt.

Ueber die Eingeborenen, welche der braunen, schlichthaarigen Südsee-Rasse, den eigentlichen Polynesiern angehören, da eine Absonderung in „Mikronesier“ ganz unhaltbar ist, läßt sich im Ganzen wenig sagen. Ich habe schon früher in diesem Blatte (Jahrg. 1881, Nr. 42, S. 700) ein anschauliches Bild ihres Lebens, ihrer Sitten, socialen Zustände und ihres Charakters entworfen, das noch heute zutreffend ist, nur daß die Eingeborenen noch mehr an Originalität verloren haben. Auch Konig Lebon Kabua hat die Regierungssorgen aufgegeben und sich seinen Gläubigern auf eine der nördlicheren Inseln entzogen. Loiak, sein damaliger Gegner, führt gegenwärtig die schattenhafte Macht eines „Iroidsch-lablab“ oder „Ober-Häuptlings“, welche hauptsächlich in der Oberaufsicht der heirathsfähigen Mädchen besteht, die einen erheblichen Theil seiner Revenuen bilden.

Auf den nördlichen Inseln der Gruppe mag noch heutigen Tages mehr Originalität herrschen, wie ich sie vor fünf Jahren fand. Hier kleidet man sich zum Theil noch in die schönen Matten, deren Rand mit zierlichen Mustern in aufgenähter Arbeit versehen ist. Oder der Mann und Krieger schreitet in dem charakteristischen „Ihu“, einem langen, aus Pflanzenbast verfertigten Rocke einher, das lange Haar auf dem Wirbel in einen Knoten geschürzt. Tätowirung und Blumenschmuck sind zur Verschönerung noch im Schwange, wozu auch die oft enorme Ausdehnung des Ohrlappens gehört, wie ihn unsere Abbildung nach einer von mir gefertigten Photographie zeigt. Hier konnte man noch originelle und lebensvolle Bilder des Volkslebens sehen, Scenen, wie die auf unserem Hauptbilde (S. 37) dargestellte. Sie betrifft eine jener mimischen Vorstellungen, wie sie gerade für die Marshall-Insulaner charakteristisch sind. Der Hauptacteur, gewöhnlich ein Häuptling oder Vornehmer, sitzt fein geschmückt in der Mitte und giebt seine Künste zum Besten, die in nichts bestehen als zitternden Armbewegungen, Kopf- und Augenverdrehungen! Die Frauen und Mädchen singen dazu eine einfache Strophe, welche mit ohrenzerreißendem Gellen endet und bei der mächtige hölzerne, mit Haifischhaut überzogene Trommeln die wirksame Begleitung und den Takt abgeben. Ein solches Musikfest, dessen Schönheit zu begreifen man geborener Kanaker sein muß, dauert oft eine ganze Nacht.

Im Anschluß an meine frühere Schilderung des Krieges von 1880 will ich ergänzend noch bemerken, daß derselbe auf Jaluit zwar keine Opfer, dagegen im Norden der Ralikkette einen blutigen Abschluß fand. Die beiden kleinen Inseln Ronelap und Ronerik, je mit etwa 100 Einwohnern, hatten kaum erfahren, daß ihre beiderseitigen Herren Kabua und Loiak in Fehde lagen, als sie über einander herfielen. Dabei wurden die Bewohner der einen Insel fast sämmtlich erschlagen und zwar nur mit den landesüblichen Waffen, denn Gewehre besaßen diese Insulaner noch nicht.


Blätter und Blüthen.

Zum hundertjährigen Todestag Moses Mendelssohn’s († am 4. Januar 1786). Was Moses Mendelssohn, der jüdische Kaufmann und Weltweise, seinen wissenschaftlichen Fachgenossen, den Philosophen, war und ist, das ausführlicher darzulegen ist hier nicht der Ort. Aber den gebildeten Laien, insofern er sich für philosophische Betrachtungen interessirt, wollen wir am heutigen Tage an Mendelssohn's „Phädon“ erinnern, in welchem der scharfe Denker für den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele eintritt und die Lücken der Beweisführung in dem gleichnamigen und denselben Gegenstand behandelnden Dialog des Plato mit den Ergebnissen der neueren Philosophie auszufüllen unternimmt. Moses Mendelssohn war kein Philosoph in der strengsten Bedeutung des Wortes, sondern ein Popular-Philosoph, kein Denker von urwüchsiger Eigenart, sondern ein Eklektiker, der, hervorgegangen aus der Leibniz-Wolff’schen Schule, sich mit wichtigen Ueberzeugungen anderer Philosophen, wie Locke’s und Shaftesbury’s, in Einklang zu setzen suchte. Er gehört der Periode vor Kant an und mußte es mit vielen anderen Fachgenossen über sich ergehen lassen, durch jenen Riesen in den Hintergrund geschoben zu werden.

Weit interessanter ist uns Mendelssohn als Freund Lessing’s. Man hat die Beziehungen der beiden Männer zu einander mit denen Goethe’s und Schiller’s verglichen, und abgesehen davon, daß der letztere Freundschaftsbund von zwei vollkommen ebenbürtigen Geistern geschlossen wurde, während Mendelssohn an Lessing’s Höhe nicht hinanreicht, hat man auch Grund zu diesem Vergleiche. Wie wir der Freundschaft Goethe’s und Schiller’s einen Briefwechsel von unschätzbarem Werthe verdanken, so hat auch der Briefwechsel Lessing’s und Mendelssohn’s in Rücksicht auf bedeutenden Inhalt wenige seines Gleichen. Diese briefliche Unterhaltung dreht sich namentlich um Lessing’s und Mendelssohn’s Schriften, behandelt im Zusammmenhang damit wichtige Fragen der Philosophie und besonders der Aesthetik, z. B. Mendelssohn’s Lehre von den vermischten Empfindungen, giebt interessante Aufschlüsse über Fabel und Drama, Aristoteles und Spinoza etc. Die Verdienste der beiden Männer um einander sind der wichtigsten und mannigfaltigsten Art. So waren die Freunde einander die ersten Kritiker, die Kritiker vor dem Abschluß und Druck ihrer Werke, die zugleich mit liebendem und strengem Auge die geistigen Sprößlinge des Anderen aufwachsen sahen. Ferner hat Lessing Mendelssohn als Schriftsteller eingeführt, er hat seinen Bestrebungen Koncentration gegeben, er hat ihn zurückgehalten, an ein halbes poetisches Talent seine Zeit wegzuwerfen, er hat seine hervorragenden Geisteskräfte auch für die Kunstkritik fruchtbar gemacht.

Und andererseits hat Mendelssohn an verschiedenen Hauptwerken Lessing’s einen sehr erheblichen Antheil, wie z. B. am Laokoon, einen ganz eigenartigen Antheil aber am Nathan. Denn wenn man bei einer solchen Idealfigur überhaupt von einem Modell sprechen will, so war dieses Niemand anders als Moses Mendelssohn, der wie Nathan Kaufmann und Weltweiser zugleich war und wie Nathan, treu dem Glauben seiner Väter, doch durch Vernunft und Gemüth auf die Höhe vorurtheilsfreiester Duldsamkeit emporgehoben wurde. Wie hoch Lessing die Bedeutung dieses edlen und dabei durch und durch deutschen Juden anschlug, einen wie großen Werth er auf seine Freundschaft legte, lehren seine Briefe. „Möchte ich Ihrer Wahl so würdig sein, als Sie der meinigen sind.“ – „Werden Sie nicht müde, mich zu bessern, so werden Sie auch nicht müde werden, mich zu lieben.“ – „Schreiben Sie, mein lieber Moses, so viel, als Ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_038.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2024)