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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Deutschlands Kolonialbestrebungen.

Die Marshall-Inseln.
Von Dr. O. Finsch (Bremen).

Neben den Karolinen sind die Marshalls, auf welchen vor Kurzem die deutsche Flagge gehißt wurde, die bedeutendste Inselgruppe des westlichen Stillen Oceans. Sie erstrecken sich, zwischen dem 5. und 12. Grade nördlicher Breite, über einen ungeheuren Flächenraum von nahezu sieben Breiten- und zwölf Längengraden und zerfallen in eine westliche und eine östliche Inselkette. Erstere, Ralik genannt, zählt elf, letztere, Ratak, dreizehn Atolle, Ring- oder Lagunen-Inseln. Der Gesammtflächeninhalt dieses Archipels wird auf etwa 2000 Quadratkilometer berechnet, die Bevölkerung auf etwa 10000 Seelen, was jedenfalls viel zu hoch gegriffen ist.

Ein Atoll, das bekanntlich mikroskopisch winzigen Korallthierchen seine Entstehung verdankt, besteht aus einer größeren oder geringeren Anzahl von Inseln, die meist ring- oder eiförmig eine ruhige Wasserfläche, die Lagune, umschließen. So wird die an 27 Seemeilen lange und circa 17 Seemeilen breite Lagune des Atoll Jaluit (Dschaluit) oder Bonham von nicht weniger als 58 Inseln und Inselchen umrahmt. Die Gesammtzahl des ganzen Inselreiches ist eine noch ungezählte. Die Inseln, von denen keine eine hervorragendere Größe erreicht, bestehen meist aus länglichen, aber schmalen Streifen Land, die sich nur wenige Fuß über die höchste Fluthmarke erheben und selbst vom Deck eines größeren Schiffes selten weiter als 10 bis 14 Seemeilen erkennbar sind.

Pantomime auf den Marshall-Inseln.
Nach Skizzen von Dr. O. Finsch für die „Gartenlaube“ auf Holz gezeichnet von A. von Roeßler.

Der vielen Riffe halber, welche die Inseln umgeben und die zum Theil bei Ebbe trocken laufen, hat die Schifffahrt mehr Fährlichkeiten als anderwärts. Denn auch die Lagunen sind nicht frei von „Patches“, wie Korallenuntiefen genannt werden, und die oft sehr schmalen Passagen, welche die Lagune mit dem Ocean verbinden, zuweilen gefährlich. Ihre Einsegelung erheischt daher große Vorsicht und Lokalkenntniß, schon der herrschenden Strömungen wegen, die je nach Ebbe und Fluth sehr wechseln. Manche Atolle besitzen mehrere praktikable Passagen, andere gar keine; das Landen ist daher selbst für Boote zuweilen nicht ganz gefahrlos.

So sehr auch der Anblick von Land mit grünen Bäumen nach langer ermüdender Seereise das Auge erfreut, bald lernt man einen der Hauptcharaktere der Atolle, ihre Einförmigkeit, kennen. In der That gehören sie zu den armen Gebieten unseres Planeten, wie dies bei einer vorherrschend steinigen, mit Korall- und Muscheltrümmern bedeckten Erdoberfläche nicht anders sein kann. Nur an wenigen Plätzen hat sich so viel Humus gebildet, daß Brotfrucht und andere Bäume gedeihen, oder daß die Eingeborenen in beschränkter Weise Arrowroot bauen können und so die einzige Landwirtschaft betreiben, soweit von solcher überhaupt die Rede sein kann. An Viehzucht ist natürlich nicht zu denken; nur Schweine und Hühner finden sich in beschränkter Anzahl. Aber das Thierreich entfaltet im Meere einen wunderbaren Reichthum, namentlich an buntfarbigen Fischen, vor deren Genuß übrigens ernstlich zu warnen ist, denn viele sind, wenigstens zu gewissen Zeiten, giftig, und ich habe selbst Eingeborene in Folge einer Fischmahlzeit sterben sehen.

Diese in groben Zügen gegebene Schilderung eines Atolls, die ich sowohl in der Südsee als im Indischen Ocean kennen lernte, paßt im Wesentlichen auf alle. Sie alle verdanken die Möglichkeit, Menschen überhaupt ernähren zu können, einem Baume, der unter diesen bescheidenen Bodenverhältnissen gerade sehr gut gedeiht und wohl mit zu den nützlichsten zählt, welche die Natur hervorbrachte: der Kokospalme! Sie ist es, welche wiederum den weißen Mann veranlaßte, sich auf diesen einsamen Inseln niederzulassen. Denn Kopra, das heißt der in Stücke geschnittene, getrocknete Kern, das Fleisch der Kokosnuß bildet für die Atolle, wie fast für die ganze Südsee überhaupt, den einzigen bedeutungsvollen Ausfuhrartikel nach Europa. Hier wird sie in Fabriken, von denen in Deutschland Harburg und Magdeburg solche besitzen, zu Oel und Seifen verarbeitet, während die Preßrückstände der Viehzucht werthvolle Oelkuchen liefern. Der Preis der Kopra ist stetigen Schwankungen unterworfen. Er betrug vor mehreren Jahren noch 400 Mark pro Tonne, ist aber auf 200 bis 260 herabgegangen. Die Gesammtausfuhr der Marshall-Inseln mag, je nach dem Ausfall der Ernte, zwischen 1000 bis 1500 Tonnen betragen und wird, wie der ganze Handel, fast ausschließlich von zwei deutschen Firmen: der Handels- und Plantagen-Gesellschaft und Robertson und Hernsheim in Hamburg betrieben. Beide Häuser haben ihre wohleingerichteten Etablissements auf der Insel Dschabwor des Atoll Jaluit, welches somit nicht allein fur die Marshalls, sondern für ganz Mikronesien den Centralpunkt des Verkehrs bildet. Auf Jaluit kann man nicht nur ungefähr Alles kaufen, was der civilisirte Mensch zum Leben bedarf, von der Segelnadel bis zur Nähmaschine und vom Schiffsbrot bis zur Straßburger Gänseleber-Pastete, sondern auch in einem regelrecht eingerichteten Hôtel Unterkommen finden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_037.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)