Seite:Die Gartenlaube (1886) 035.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Ich selbst und meine Kinder sollen mir nicht theurer sein als Gajus Cäsar und seine Schwestern“ – wurde dieser Senatsbeschluß mit jauchzender Begeisterung aufgenommen. Die verknechteten Römer hatten überhaupt, ein triviales, aber zutreffendes Wort zu gebrauchen, an dem „Soldatenstiefelchen“ einen Affen gefressen. Während der drei ersten Monate seiner Herrschaft wurden für seine Gelangung zum Principat den Göttern 160 000, sage einhundert- und sechzigtausend Dankopfer dargebracht.

Es ist die Art bornirter und halbwissender Menschen, sich für ungemein gescheid und für zu allem geschickt zu halten. Sie lieben es, ihre Unzulänglichkeit hinter einer lärmenden Vielgeschäftigkeit zu verstecken. So auch Caligula. Wenigstens zwei volle Monate durch that er so, als ob er alles verstände und alles allerhöchsteigenhändig anfassen, alles selber thun und machen wollte. Natürlich kam dabei nur „viel Lärm um nichts“ heraus oder, was noch schlimmer, eine bedenkliche Störung und Wirrung der Regierungsmaschine. Der Regieruugseifer des kaiserlichen Konfusionärs ließ auch bald nach und seine fahrige Unruhe warf sich auf ein anderes Feld. Auf das der Lustbarkeiten nämlich. Er machte sich, so zu sagen, zum Maître de plaisir und Oberceremonienmeister des römischen Volkes. Er wollte, sagte er, das goldene Zeitalter des Augustus zurückführen, eine Zeit allgemeiner Ergötzung und Freude, und er bot wirklich alles auf, Rom in eine Schlaraffei zu verwandeln. Wagenrennen, Thierhatzen und Fechterspiele jagten sich in den Cirken und Arenen, alles massenhaft, prunkvoll, riesig verschwenderisch, und der Kaiser ging seinen entzückten Unterthanen in gieriger Hingabe an maßlose Genußsucht voran. Die Folgen kamen rasch. Eine furchtbare Vergemeinerung und Verwilderung riß ein. Unerhörtes geschah: des kaiserlichen Beifalls gewiß, erniedrigten sich römische Senatoren zu Wagenlenkern im Cirkus und römische Ritter zu Gladiatoren in der Arena. Noch mehr, Caligula gab in seiner Schamlosigkeit den Römern das beispiellose Schauspiel, daß er unter der Leitung eines beliebten Komödianten öffentlich als Ballettänzer sich sehen und als Sänger sich hören ließ. Ob er, wie die Sage ging, auch als Cirkuskutscher und Gladiator aufgetreten sei, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Gewiß ist dagegen, daß des taumelvollen Lotter- und Lasterlebens für seine Kräfte zu viel war. Er hatte seinen Muskeln und Nerven mehr zugemuthet, als sie auszuhalten vermochten. Er verlor den Appetit und aus dem kargen Schlaf, den er finden konnte („incitabatur insomnia maxime“), wurde er durch grausige Traumgesichte aufgeschreckt. Dann sprang er vom Lager auf und schwankte oder stürmte wie in Fieberdelirien durch die Hallen des Palastes, mit den dräuenden Schattengestalten ringend, welche seine kranke Phantasie ihm vorgaukelte, und angstvoll nach dem ersten Tagesschimmer rufend.

Im achten Monat seiner Kaiserschaft brach er zusammen und fiel in lebensgefährliche Krankheit. Da kamen seine Beliebtheit und die Knechtschaffenheit seiner Unterthanen drastisch zum Vorschein. In der Hauptstadt, wie in den Provinzen, waren Sorge und Traurigkeit geradezu gränzenlos. Bei Tag und Nacht umlagerte eine Volksmenge das Palatium, ängstlich harrend und theilnahmevoll dem Zustande des Kranken nachfragend. Und dabei blieb es nicht. Die Römer waren bekanntlich von jeher stark in der Leistung von Gelöbnissen aller Art und jetzt fanden sich Leute, welche gelobten, ihr Leben für das des Kaisers zu lassen. Ein gewisser Afranius Potitus gab bekannt, daß er das Gelübde gethan, sein Leben zu opfern, wenn Gajus Cäsar genesen würde, und ein sicherer Atanius Secundus that das Gelöbniß, für die Genesung des Kranken in die Arena hinabzusteigen und als Gladiator auf Leben und Tod zu kämpfen. Der wiedergenesene Caligula hat das, falls dem Sueton (Cal. 27) zu glauben ist, ernsthaft genommen und die beiden unterthänigen Gelober gezwungen, ihre Gelübde zu erfüllen. Das sieht freilich wie ein später erfundener „Witz“ aus; aber so ein Witz war dem Caligula schon zuzutrauen.


3.

Als Lotterbube und Halbnarr war er auf’s Krankenlager gesunken, als Ganznarr und Tyrann der schlimmsten Art erhob er sich von demselben. Aus dem Genußfex war ein Blutfex geworden, ohne daß er aufgehört hätte, ein Schlemmer, Vergeuder und Wüstling zu sein. Was er als solcher verbrach, darüber mag der Schleier des Schweigens gebreitet sein. Auch über das Aergerniß seiner Heiraten und Scheidungen und es genüge, anzugeben, daß er vier Gemahlinnen hatte: Junia Claudilla, Livia Orestilla, Lollia Paulina und Milonia Cäsonia. Die letztgenannte hielt ihn aus, überlebte ihn jedoch kaum um eine Stunde.

Auch so, wie der Kaiser nach seiner Krankheit sich aufführte, blieb er noch lange der Volksliebling. Die Völker haben ja, wie bekannt, stets mehr auf ihre Quäler als auf ihre Wohlthäter gehalten. Diese mußten allzeit froh sein, wenn sie unverhungert, ungesteinigt und ungekreuzigt davonkamen. Jene aber wurden beschmeichelt, bejubelt, vergöttert, namentlich dann, wann sie es nicht verschmähten, mit der unverständigen Menge sich recht „gemeinzumachen“. Caligula machte sich erzgemein. Verrufenes Pack männlicher und weiblicher Sorte war sein liebster Umgang. In der Gesellschaft von Stallknechten und Wagenlenkern verbrachte er Tage und mitunter auch Nächte. Seine Leidenschaft für die Cirkusspiele war toll. Bei einem seiner tobenden Bakchanale machte er einem Cirkuskutscher, Eutychus, welcher im Wettfahren die grüne Farbe – die Parteien des Amphitheaters waren die grüne, die blaue, die rothe und die weiße – siegen gemacht, das kolossale Geschenk von 2 Millionen Sesterzien, weil er, Caligula, zu den „Grünen“ sich hielt. Seinem Lieblingsrenner Heißsporn („Incitatus“) erbaute er einen eigenen Palast, gab ihm einen förmlichen Hofstaat, Purpurdecken, Halsbänder mit Juwelenschmuck und Krippen von Elfenbein. Er soll auch beabsichtigt haben, diesen Gaul zum Consul ernennen zu lassen, und das Biest wäre am Ende aller Enden nicht der schlechteste Consul gewesen, welchen die „stolzen“ Römer sich gefallen ließen.

Caligula’s Cäsarenwahnwitz wechselte zwischen den Erscheinungsformen des sogenannten Verfolgungwahns und des sogeheißenen Größewahns.

In Stunden des Besessenseins von jenem gab er den ihm angestammten Trieben wildester Grausamkeit freien Lauf. Dann war das Morden ihm Wollust und in der Raserei derselben ließ er auch die Rücksichtnahme auf die Volksgunst gänzlich außeracht. So, wenn er, wildgemacht durch den Anblick des strömenden Blutes, bei einem Thierkampfspiel, als die Anzahl der den wilden Bestien vorgeworfenen Verbrecher ihm unzureichend schien, Plötzlich eine Anzahl von Zuschauern hinter den Schranken hervorzerren und die Unglücklichen den Löwen preisgeben ließ. Er quälte sein krankes Gehirn ab, raffinirte Marter- und Hinrichtungsarten zu ersinnen, und liebte es, seine Gräuelthaten mit rohen Spässen zu würzen und seine Opfer zu verhöhnen, bevor er sie schlachtete. Er pflegte sich seine „Gefühllosigkeit“ als höchsten Vorzug anzurechnen, und als ihm seine Großmutter Antonia einmal gerade dieser grausamen Fühllosigkeit halber Vorstellungen zu machen wagte, sagte er barsch: „Vergiß nicht, daß mir alles gegen alle zu thun erlaubt ist.“

Man sieht, die Unterweisungen des jüdischen Prinzen Herodes Agrippa hatten beim Caligula, welcher dafür seinen Präceptor mit Land und Leuten in Palästina ausstattete, ganz prächtig angeschlagen. Der Sultan war fertig, der Allmachtstaumel war tobsüchtig geworden.

Das erste Opfer von des Kaisers Verfolgungswahn ist sein junger Vetter Tiberius Gemellus geworden. Der Prinz war doch immerhin der Enkel des Tiberius und konnte sich einmal – wer weiß? – als Prätendent aufspielen wollen, also möglicherweise gefährlich werden. Schlußfolgerung aus dieser Voraussetzung: „Weg mit ihm! Einer meiner Gardehauptleute soll das in aller Geschwindigkeit und Stille besorgen.“ Und so geschah es. Wozu der Lärm einer gerichtlichen Untersuchung? Der dazu kommandirte Centurio vollzog seine Ordre und der arme Gemellus büßte sein schemenhaftes Dasein ein, ohne daß seine Ermordung etwas anders als ein halb mitleidiges halb verachtungsvolles Achselzucken erregt hätte.

Mehr Aufsehen, großes sogar, machte es, als Caligula dazu verschritt, den Gardegeneral Macro und dessen Gemahlin Ennia zum Orkus hinabzusenden. Die Frau Generalin, welcher er in zärtlichen Stunden versprochen hatte, sie zur Kaiserin zu machen, war ihm verleidet und dem Herrn General konnte er die riesige Summe von Dank, welche er ihm schuldete, nicht verzeihen. Zudem wagte es Macro, welcher ein tüchtiger Soldat und ein

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_035.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)