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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

zum Vorschein gekommen, nun Hanne und Rieke sie gescheuert und gebahnt. Es schaue ganz stattlich aus, und vom Hinterzimmer wäre Aussicht in ihren Garten. Im Frühjahr sei es dort blau von Fliederblüthen und vor Duft kaum auszuhalten, und just in dem Winkel kommen alle Nachtigallen von Rotenberg zusammen. Und nun wünschte sie vielmals „geruhsame gute Nacht“, und die kleinen Fräuleins möchten auf die Träume achten, es wäre gewiß etwas vom künftigen Bräutigam dabei und würde sicherlich wahr. Dann ging sie trippelnd hinaus und schloß so leise die Thür, als lägen wir schon allesammt im tiefsten Schlummer.

„Schlaft wohl!“ sagte nun Großmutter und ging in ihr Stübchen, und still begannen wir uns zum Schlummer zu rüsten. Lotte saß noch in ihrem weißen Frisirmantel auf dem Bette und bürstete die langen dunklen Haare, als ich schon halb im Schlafe war. Da hörte ich sie plötzlich leise vor sich hin lachen.

„Was ist denn, Prinzeßchen?“ fragte ich wieder munter geworden.

Da kam sie zu mir herüber und setzte sich auf meinen Bettrand. „Hilf mir einflechten,“ bat sie. Und während ich die wuchtigen Strähne in einander schlang, lachte sie wieder.

„Weßhalb lachst Du?“ fragte ich noch einmal.

„Weil ich mich amüsire,“ sagte sie und schüttelte aufstehend die Flechten in den Nacken zurück. „Ich finde, wir passen so ausgezeichnet gut in diese Idylle; ich wenigstens. Schlafe wohl, aber träume nicht von diesem ‚trefflichen Jüngling‘, der entschieden ein Jahrhundert zu spät auf die Welt gekommen ist. Morgen lese ich ‚Hermann und Dorothea‘ einmal wieder und denke dabei des ‚wohlgebildeten Sohnes und der sorglichen Hausfrau‘.“

„Mir gefällt es sehr gut hier, Lotte,“ erwiderte ich ärgerlich.

„Ja freilich. Es ist so urgemüthlich, so kuhstallduftig – Du hattest von jeher ein tendre für Dorfgeschichten.“

„Pfui, Lotte!“

„Ach, ich habe Sehnsucht nach Berlin, tödliche Sehnsucht!“ schluchzte sie auf einmal, „ich weiß es, ich sterbe, wenn ich hier bleiben muß!“ Und mit dieser schauerlichen Prophezeiung legte sie ihren schönen Kopf in die Kissen und weinte zum Herzbrechen.

Ich war schon wieder eingeschlafen, da hörte ich noch einmal meinen Namen rufen.

„Was denn, Lottchen – bist Du krank?“

Aber da schallte es leise kichernd durch das dunkle Zimmer: „Tone, hast Du die große Ledertasche gesehen, welche die wackere Hausfrau unter der Schürze hängen hatte? Ein großes rothes Herz aus Saffian ist darauf gesteppt. Da sind die Milchgroschen darin! sie verkauft eigenhändig das schäumende Naß. Was meinst Du, wenn sich der ‚wohlgebildete Sohn‘ in Dich oder mich verliebte und wir bekämen am Hochzeitsabend als Attribute unserer Würde nicht nur Pantoffel und Haube, sondern auch die Geldtasche?“ Und nun lachte sie so herzlich, daß ich mit einstimmen mußte, obgleich ich nichts Lächerliches darin fand.

Dann aber schlief ich ein und, o Wunder! ich stand im Traume an dem weißgescheuerten Milchtisch in dem Hausflur drunten und maß aus blitzendem Messinggefäß schäumende Milch, und auf der Geldtasche flammle das Saffianherz so roth und glühend; und ich war so glücklich im Traum, so ruhig und so dankbar!


Frau Roden hatte nicht zuviel gesagt von unserer Wohnung; es waren fürstliche Räume, die wir am anderen Tage betraten. Freilich mußten wir ein enges Hintertreppchen emporsteigen, das direkt in den Garten führte, der, ehemals wohl zum Kavalierhause gehörig, mit dem Schloßgarten zusammenhing, jetzt aber der Domaine zugetheilt war. Oben angelangt, befand man sich in einem kleinen durch Holzwände abgetheilten Flur, und auf diesen mündeten die drei weißlackirten mit schmalen Goldleisten verzierten Thüren unserer Zimmer. In dem kleinen Kabinett, welches nach dem Garten zu lag, waren die von Stuckguirlanden umrahmten Plafondgemälde noch völlig erhalten, Aurora in flatterndem rosigem Gewande auf Wolken schwebend, von blumenstreuenden Putten umgeben; in den Ecken Medaillons. Die Wände aber hatte man einfach weiß übertüncht, den Kamin vermauert, und daneben in den Winkel gedrängt, als schäme er sich seiner Dürftigkeit, stand ein kleines Kanonenöfchen, verrostet und schief.

„Hier würden die Kinder schlafen,“ entschied die Großmutter. Frau Roden aber öffnete eine Thür und hieß uns hinaustreten auf den winzigen, von zierlichem schmiedeeisernem Gitter umfaßten Balkon. Das war herrlich! In leuchtend bunten Farben lag der weite Garten zu unseren Füßen, und durch die halbentlaubten Aeste flog der Blick ins Land hinaus bis dorthin, wo eine ferne blaue Bergkette den Horizont begrenzt.

„Hier unten, diesen Theil des Gartens können Sie ruhig als ihr Eigenthum betrachten,“ sagte die alte Frau, „es ist hier so ein bischen romantische Wildniß, aber das haben junge Menschenkinder gern, mein Fritz wenigsten. Wenn ich ihn suchen wollte, dann fand ich ihn immer hier unter den hohen Bäumen, irgend ein schönes Buch lesend. Na, jetzt hat er dazu keine Zeit mehr. Aber hier, liebste Frau von Werthern, das sind die Vorderzimmer.“

Zwei stattliche Räume in der That! Hohe Fenster, reicher Stuck an der Decke und ein Paar vertrauenerweckende Kachelöfen. „Das ist ja mehr, als wir erwarten durften!“ meinte die Großmutter erfreut.

„Ja, beste Werthern! Ein jeder hätte es auch nicht bekommen, oder meinen Sie, dem Fritz und mir wäre es gleichgültig, wer durch unsern Hof und Garten läuft, um hierher zu gelangen? Ja, nicht wahr, Fräulein Lottchen, das ist eine ganz vornehme Aussicht, die Beletage des herzoglichen Schlosses gegenüber, just die Zimmer, die immer bewohnt werden! Sehen Sie, die Anita benutzt noch einmal den schönen Herbsttag und sperrt die Fenster auf.“

Ich trat zu Lotte, und wir sahen hinüber. Dort bog sich eben aus einem der hohen Fenster eine weibliche Gestalt und schlug die grünen Jalousien weit zurück; aus den dämmerigen Räumen blitzten regenbogenfarbige Lichter herüber, die ein verirrter Sonnenstrahl den Bergkrystallen der Kronleuchter entlockte, der auch zugleich die reich vergoldeten Bilderrahmen streifte. Von dem gelbseidenen Vorhang, den der Zugwind eben aus einander blähte, hob sich die zierliche Figur des tief brünetten Mädchens, die jetzt sinnend verweilte; oder war es eine Frau? Jung war sie augenscheinlich nicht mehr, und doch frappirte dieses feingeschnittene Gesicht; es lag etwas Ungewöhnliches in der Erscheinung.

„Wer ist das?“ fragten Lotte und ich wie aus einem Munde.

Das Gesicht der alten Dame nahm einen ärgerlichen Ausdruck an.

„Die Pflegetochter des Kastellans,“ erwiderte sie, „aus Italien oder Griechenland ist sie hergekommen, man weiß nicht recht wie – so als siebzehnjähriges Dingelchen. Der alte Kastellan hat sie adoptiren müssen, denn –“ Sie machte der Großmutter eine Handbewegung zu, als wollte sie sagen: „Reden wir nicht davon.“

„Sie gefällt mir," sagte Lotte.

„Ei, das ist kein Umgang für Sie, Kindchen,“ eiferte ganz roth die Frau Amtsräthin. „Wenn Sie Verkehr suchen – da hat unser Pfarrer ein niedliches Töchterchen, und beim Bürgermeister giebt’s sogar ihrer Drei, ehrbare, gute Kinder.“

Lotte hatte sich umgewandt und sah verwundert auf die hastig Sprechende hernieder.

„Ich – Umgang? Ich suche keinen hier!“ kam es von ihren Lippen.

„Nun! Nun!“ begütigte die alte Dame, „da haben wir uns falsch verstanden, Kindchen – nichts für ungut! Aber um Einsiedlerin zu werden, sind Sie noch viel zu jung, und Jugend drängt zu Jugend. Hier giebt’s auch lustige junge Füße, die gern tanzen, und droben im Rathaussaal, da klingen um Fastnacht herum die schönsten Hopser vom Orchester; Sie sollen einmal sehen, wie mein Fritz walzen kann. Nicht böse sein, Kindchen! So lange Einem das Herz weh thut, denkt man natürlich nicht an dergleichen, das versteht sich. Aber, so Gott will, kommt Jugendlust und Freude auch wieder zu Ihnen.“

Lotte hatte sich schon bei den ersten Worten umgewandt, auch jetzt würdigte sie die Sprecherin keines Blickes mehr, sondern betrachtete angelegentlich die lange Fensterreihe des fürstlichen Schlosses, das uns eine Seitenfront zuwendete. Ein schmales Boskett zog sich an der Mauer hin, die chaussirte Fahrstraße zwischen ihm und unserem Hause führte zum sogenannten Schloßplatz, dem das Gebäude seine Front präsentirte, und mündete geradeaus in den Domainenhof, dessen Einfahrt durch eine Gruppe herrlicher alter Kastanien fast versteckt ward.

Großmutter rief mich nach einem Weilchen in das zweite Zimmer, erklärte, hier wolle sie wohnen, und nun vertieften wir uns angelegentlich in die Vertheilung der Meubel, sprachen mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_032.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)