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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„In dem Briefe steht etwas von fünf Jahren, wenn ich recht lese,“ sprach er. „Werden Sie sich auf so lange hier binden, Fräulein?“

„Ich weiß es noch nicht.“

Kleine Pause, dann hob Edgar wieder an:

„Gefällt es Ihnen hier?“

„Wunderbar!“ Und sie lachte herzlich, da sie merken mußte, wie Sperber kleinlaut vor ihr saß und das rechte Wort nicht fand, an alte Zeiten zu erinnern und an ein Herz zu klopfen, das er besser kennen sollte.

Das übermüthige Lachen, wo ihm so bitterbang zu Muthe war, erregte seinen Zorn. Er sprang vom Stuhl auf und ging mit sich selber ringend in dem kleinen Salon auf und nieder.

Plötzlich blieb er mitten im Zimmer stehen, streckte nach Bianca beide Arme hin und sagte, noch den Groll in seinen Augen und Brauen, aber schon ein Lächeln in seinen Mundwinkeln: „Ich habe einst wie ein Narr an Ihnen gefrevelt, Bianca, ich habe Sie wie ein dummer Junge verloren. Könnten Sie mir wieder so gut werden, wie Sie mir schon einmal gewesen sind? … Mit einem Wort, könnten Sie sich entschließen, vor Gott und den Menschen, meine liebe Frau zu werden?“

Bianca zog die Brauen hoch und sagte: „Sie vergessen die Rücksichten, welche Sie Ihrer Familie schuldig sind, Herr von Sperber. Sie würden sich doch nie entschließen, eine Opernsängerin heimzuführen.“

„Ach, Bianca, rächen Sie sich nicht unedel! Unser Stolz ist klein geworden. Wenn Sie jetzt die Frau eines bescheidenen Kaufmanns werden, so geben Sie mir von Ihrem Glanz und Stolz was ab, nicht ich Ihnen von dem meinigen. Sie sind jetzt die bessere Partie, nicht ich!“

„Wer weiß!“

„Nach dem gestrigen Erfolg?! Kostet es mich doch Ueberwindung, um Sie zu freien, nun, nachdem ich verarmt bin und Sie einer glänzenden Zukunft mit Riesenschritten entgegengehen … Aber ich mag und kann ohne Sie nicht leben und würde um Ihre Hand werben, auch wenn Sie die Patti oder die Tochter des Kaisers von China wären!“

„Auch, wenn ich nichts wäre als ein armes Mädel aus der Josefstadt?“

„Herr Gott im Himmel! wären Sie doch nur das! ich wollte Gott auf den Knieen dafür danken! … Sehen Sie mich nicht so zornig an! Ihr Künstlerthum, Ihren Erfolg, Ihre Zukunft in allen Ehren … aber der Gedanke, daß fortan Sie im Süden, ich im Norden weiterleben werde, daß die ganze Länge Deutschlands mich tagtäglich von Ihnen trennen soll, und daß Sie über Ihrem Beruf und was so damit zusammenhängt, mich recht bald vergessen werden, das könnte mich hier auf dieser Stelle rasend machen.“

„Gott bewahre!“ rief Bianca, und dann winkte sie Sperbern, der wieder auf und nieder zu laufen begann, näher heran und sagte: „Edgar!.. knieen Sie einmal gleich hier nieder!“

„Vor Ihnen ?“

„Nein, vor Gott! Um ihm auf den Knieen, wie Sie gewünscht, zu danken, weil ich nichts bin, als ein armes Mädel aus einer Wiener Vorstadt!“

„Bianca!“ rief Sperber, der schon zu ihren Füßen lag und beide Hände vor Verwunderung und Wonne zusammenschlug, derweilen sie den liebenswürdigen Brief des königlichen Intendanten in vier gleiche Theile zerriß. „Um Gotteswillen, ist das Ihr Ernst?“

„Ja, mein Freund, mein voller Ernst, und ich setze hinzu: mein bitterer Ernst! Denn ich hab’ es anders im Sinn gehabt, stolzer, vielleicht auch schöner. Mit Schmerz entsag’ ich einer Laufbahn, für die ich mein Leben gegeben hätte und auf der ich mich an Ihrem Uebermuth zu rächen hoffen durfte. Aber ich muß ihr entsagen.“

„Was, Sie müssen?“ rief Sperber und sprang heftig auf die Füße. „Nach einem Erfolg wie der gestrige, der ohne Beispiel ist?!“

„Ja! Mag dieser Erfolg für Diejenigen gelten, die mich nicht kannten. Wer das ausgestanden hat, was ich gestern, während das weite Haus vom Beifall erdröhnte, der hat sich erkannt, der hat sich gerichtet. Was ist der äußere Erfolg, wenn der innere im eigenen Busen fehlt! … Während ich gestern die tausend Hände klatschend zu mir aufgehoben sah, fragt ich mit Todesangst, ob ich denn die Kraft haben würde, die Partie zu Ende zu singen? und die Antwort hieß immer: nein! nein! nein! … Als ich in der gemalten Kirche auf den Knieen lag, verzweifelte ich wirklich und nicht nur im Spiel, eine an sich selbst Verzweifelnde rang ich an der Erde, und während ich die Worte des Dichters sang, gelobt’ ich mit ganz anderen Worten meinem Schutzheiligen, daß ich nie wieder eine Bühne betreten würde, wenn er mich diesmal gnädig bis ans Ende führte und nur dies eine Mal mit Ehren bestehen ließe.“

„Sie haben mit Ehren bestanden. Mit kolossalen Ehren!“ rief Sperber, und die Rührung, die er niederkämpfte, brach seine Stimme.

„Gott sei Dank! Und damit genug! Und wenn Sie wollen, Edgar, so will ich allem Prunk und Ruhm der Bühne entsagen … der Bühne, nicht der Kunst! … und mit Ihnen an die Alster ziehen und ein stilles bescheidenes Frauchen werden, mit dem Sie zufrieden sein sollen und das auch dem hohen Hause Sperber keine Schande machen wird.“

„O Bianca, der Stern und Stolz des Hauses werden Sie sein!“ Er konnte nicht weiterreden, denn nun übermannte ihn die Rührung doch, und wieder lag er auf den Knieen, aber dicht an ihres Kleides Falten, und schloß sich selbst den Mund mit ihren Händen.

Derweilen fuhr Bianca fort. „Es wird ja auch bei Euch eine katholische Kirche geben, und Du wirst mir schon erlauben, mein Licht leuchten zu lassen vor dem Herrn in der Gemeinde. Vielleicht trägt die Kunst auch einen Groschen und einen Thaler ein, und, da Schmalhans Küchenmeister bei uns sein wird, darf auch das willkommen sein.“

Edgar von Sperber richtete sich da etwas befremdet auf und sagte halblächelnden Mundes: „Liebe Bianca, so schlimm steht’s denn doch nicht mehr. Es gab eine harte Zeit. Aber sie ist vorbei, und der Sturm ist beschworen. Es geht mit den Sperbern wieder in die Höhe. Langsam, aber es geht. Du wirst nichts entbehren. Und in etlichen Jahren hoff’ ich Dir jeden Vorzug und jede Bequemlichkeit gewähren zu können, die Frauen unseres Hauses zukommen.“

„Was?!“ rief das staunende Mädchen. „Du bist also gar kein armer Mann mehr?! O weh! das ändert die Sache, und die bösen Worte der alten Zeit leben wieder auf. Da möge mir Gott verzeihen, ich breche mein Gelübde ... die Ehre über Alles! … und nehme den Antrag des guten Intendanten an, geh’s wie’s wolle!“

Sie bückte sich nach rechts und nach links, nahm die vier Fetzen des Briefes vom Boden auf und legte sie sorgsam wieder zusammen. Ueber dieser Thätigkeit war Pater Otto eingetreten und sah verwundert auf das Thun seiner Muhme.

Da schritt Edgar auf ihn zu und führte ihn an der Hand vor Bianca hin, indem er sagte: „Laß das Zerrissene zerrissen sein für immer und schäme Dich, nicht mir in mein Haus zu folgen, wenn es auch nicht das Haus eines Bettlers ist. Daß es mit den Sperbern wieder in die Höhe geht, dank’ ich nicht zum kleinsten Theil der freundschaftlichen Sorgfalt und Güte dieses Mannes, der Dein Vetter ist und der mir im Unglück seine freiwillige Hilfe gewährte, nicht zum geringsten wohl aus dem Grunde, weil Du seine Base bist und er wußte, daß ich Dich über Alles in der Welt liebe. Du vergiebst Dir also nichts, wenn Du an einem bescheidenen Wohlstande theil nimmst, der zum Theil das Werk Deines Vetters ist und der mir ohne Dich wohl nie geworden wäre! … Bianca, willst Du?“

Sie antwortete nicht gleich mit Worten. Die Empfindung des Glückes schnürte ihr die Kehle zu. Aber sie sank in seine Arme, sank an seine Brust, und Pater Otto legte segnend seine Hände auf die blonden Häupter seiner beiden Freunde.


Die Zeit vergeht. Sie ist auch über Edgar und Bianca nicht spurlos hingegangen. Aber obwohl ihr Aeltester demnächst sein Abiturientenexamen machen wird, ist seine Mutter noch immer eine schöne Frau. Etwas stattlicher freilich als damals, da sie zur Opernschule ging, aber bei guten Formen. Ihre Stimme klingt noch wunderschön, und alljährlich, wenn mich im Herbst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_878.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2023)