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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

reichte es ihm. Dann kehrte sie in die Stube zurück, während Dori die Kellertreppe hinunterstieg. Als er drunten die Kraxe auf die Fliesen gestellt hatte, lauschte er nach dem Hausflur empor, nickte befriedigt vor sich hin und brachte aus der Kraxe ein zierliches Sträußchen von Edelweißblüthen zum Vorschein. „Ich steck’s ihr hinter d’ Thürschnallen ’nein, nachher findt sie’s gleich in aller Früh,“ flüsterte er mit listiger Freude vor sich hin, streifte die Schuhe von den Füßen, huschte lautlos hinauf in den Hausflur und der Treppe zu, die nach dem oberen Stocke führte. Inmitten der Treppe hielt er erschrocken inne – er sah an Veverl’s Kammer die Thür offen und drinnen auf der Kommode den Leuchter mit der brennenden Kerze stehen. Schon wollte er geräuschlos den Rückzug antreten, da hörte er über sich aus einer Ecke des Ganges eine leise zischelnde Stimme: „Und ich rath’ Dir’s im Guten, daß kein Muckser net thust, ehvor ich net draußen bin aus’m Haus!“ Das Blut wollte ihm gerinnen beim wohlbekannten Klange dieser Stimme. Er starrte durch die Geländerstäbe der Richtung zu, aus der er sie gehört – sah Veverl zitternd in eine Ecke gedrückt und vor ihr die dunkle Gestalt des Burschen, den er an der Stimme erkannt hatte, noch eh’ er in dem halb gebrochenen Dunkel die scharfen Züge und den lang niederhängenden Schnurrbart gewahrte. „Lump – Lump – is noch net g’nug am Gidi – willst auch noch der Veverl ’was anhaben?“ so fuhr er mit gellenden Schreien auf und stürzte die Treppe empor. Doch eh’ er noch die oberste Stufe erreichte, warf sich Valtl schon über ihn her – dem Dori brachen unter der Wucht dieses Anpralles die Kniee, im Stürzen aber riß er den Burschen mit sich nieder, und so rollten sie über einander hin mit dröhnendem Gepolter die Treppe hinunter bis auf die Steinplatten des Hausflurs. Unter kreischenden Hilferufen eilte Veverl der Treppe zu, hörte einen stöhnenden Aufschrei, den nur Dori ausgestoßen haben konnte, und sah, wie Valtl sich in die Höhe zerrte, die Hausthüre aufriß, und wie ihm, bevor er noch das Freie gewinnen konnte, Dori mit beiden Händen schon wieder am Halse hing.

Da flog die Stubenthüre auf, und Mariann’ erschien mit einem Lichte in der Hand auf der Schwelle. „Ja um Gotteswillen, was is denn? Was is denn –“

„Der Dori und der Valtl –“ stammelte Veverl, während sie über die Treppe niederwankte, „und – in mei’m Kammerl bin ich g’wesen, und da hab’ ich gleich schon g’meint, ich hätt’ an Schritt g’hört über mir am Boden droben – und nachher is mir’s g’wesen, als ging’ wer ’runter über d’ Bodenstieg’ – und so will ich nachschaun – und wie ich d’ Thür’ aufmach’, steht der Valtl vor mir da und halt’ mir ’s Messer hin –“

„O Jesus, Jesus, Jesus –“ stotterte die Bäuerin, eilte zur Hausthüre hinaus, sah einen dunklen Knäul über den Hof hin der Straße sich zuwälzen, hörte Dori’s röchelnde Schreie: „Du willst der Veverl ’was anhaben – Du – Du – Du willst der Veverl ’was anhaben!“ – und zitternd vor Angst und Sorge schrie sie in die Nacht hinaus: „Leut’! Leut’! Um Gotteswillen! Leut’! Leut’!“

Da stürzten sie auch schon herbei, aus dem Gesindehause, aus allen Nachbarhöfen, mit Stöcken, mit Lichtern – alle rannten sie der Straße zu, geleitet von Dori’s gellenden Worten – und da fanden sie den Valtl ausgestreckt im Staube, das blutige Messer in der seitwärts gestreckten, zuckenden Faust, am Halse gewürgt von Dori’s Händen, der über ihm lag mit dem ganzen Gewicht seines Körpers. Die Weiber kreischten und schrieen, während die Männer und Bursche sich über die Beiden warfen – die einen rissen das Messer aus Valtl’s Fingern, die andern suchten den Dori emporzuzerren – der aber hing wie angewachsen mit seinen Händen an Valtl’s Kehle, und unablässig schrillte es von seinen Lippen: „Du willst der Veverl ’was anhaben – Du – Du –“ und diese seine Schreie verstummten auch nicht, als es den Männern endlich gelang, ihn emporzureißen und fortzuzerren gegen den Straßenrain. Da stürzte sich nun ein Theil der Bursche über Valtl hin, um ihn dingfest zu machen; erschrocken aber fuhren sie zurück, als er keinen Finger zur Abwehr regte. Leblos lag er zu ihren Füßen – – erdrosselt von Dori’s Händen.

Und jetzt erloschen auch Dori’s Worte in gurgelndem Stammeln, über den wirren Lärm hörte man eine Frauenstimme aufkreischen: „Jesus Maria – es reißt ihn um!“ – und einer der Männer schrie: „No freilich – no freilich – so schauts nur g’rad her – es rinnt ja ’s Blut von ihm in helle Bacherln!“

„Holts den Pfarrer! Laufts um an Dokter! Tragts ihn ’nein ins Haus! Reißts ihm doch ’s G’wand auf!“ schrie und kreischte es in schauerlichem Wechsel aus der Gruppe der Leute, die den Todwunden umstanden.

„Mich laßts durch – mich laßts durch!“ schrie der Schmied vom Finkenhofe, drängte sich durch den Kreis, schlang die Arme um Dori’s Körper, hob ihn von der Erde und trug ihn hastigen Laufes hinein in die Gesindestube. Hier legte er ihn auf die Kissen und Kotzen nieder, die aus der Mägdekammer herbeigeschleppt und über die Dielen gebreitet wurden.

Die Bäuerin rannte in das Wohnhaus hinüber, um Tücher und Wasser herbeizuschaffen. Aber Veverl kniete an Dori’s Seite, zitternd und weinend, und hielt seine Hand umschlungen mit beiden Händen.

Ein mattes Lächeln lag auf Dori’s Lippen, und ein schimmernder Glanz war in den Augen, mit denen er an Veverl’s schreckensbleichen Zügen hing.

„Mußt net weinen, Veverl,“ klang es mit mattem Stammeln von seinem Munde, „Mußt net weinen – es is Dir ja nix g’schehen, Veverl – is Dir ja nix g’schehen!“

„Dori, Dori, mein lieber Dori!“ schluchzte das Mädchen auf.

„Ah mein – geh’ – mußt Dich net sorgen, Veverl, net sorgen um mich! Das macht sich schon wieder! Ich därf ja jetzt leben – ich hab’ mir mein’ Leben ja wieder g’wonnen! Heut’ erst, Veverl – heut! Denn daß ich Dir’s sag’ – ja – weißt –“ und Dori’s Stimme dämpfte sich zu tonlosem Flüstern, „weißt – selbigsmal in der Nacht – eh’ d’Hann’ heim’bracht worden is – da hab’ ich an Streit g’habt – mit ’m Valtl, weißt – und nach ’m Beten, wie ich – nimmer da dran ’denkt hab’ – da – da bin ich zur Stuben, ’naus – und da hat er mir – aufpaßt g’habt und is mir nach – ja – derwischt aber hat er mich net – weißt – auf an Baum bin ich ’nauf – ja – drent’ beim Haus – und – in der Hanni ihrem – ihrem Stüberl – da hab’ ich Dich g’sehen – ja – und ang’rufen hab’ ich Dich – ganz stad – und wie das Schüsserl nachher zum Fenster g’stellt hast – und den Wecken – da – da hab’ ich g’meint – es g’hört’ für mich – und – und –“

In einem Röcheln erstickten seine Worte, schwer hob sich seine Brust, ein schmerzvolles Zucken flog über sein Gesicht, und tief drückte er den Kopf in das Kissen, so daß die kalkweiß abstehenden Ohren fast die blutleeren Wangen berührten.

Mit starrem Entsetzen hingen Veverl’s Blicke an Dori’s brechenden Augen, an seinen erschlaffenden Zügen und an seinen bläulichen Lippen, die nun wieder unter flüsternden Worten müde sich bewegten.

„Sorg’ Dich net, Veverl, – sorg’ Dich net – ich weiß schon – es war a Sünd’, a fürchtige Sünd’ – es war ja – an Armeseelenmahl – aber – aber mein’ Sünd’ is ’büßt und ich därf wieder leben – und därf net sterben – und – d’rum kann ’s mir nix schaden – na – gar kein bißl net! Ich hab ja an Menschen vom Tod derrett’ – ja, Veverl – heut’ erst – heut’ um Mittag – da hab’ ich ’s Müllerbüberl – aus ’m Wasser ’zogen – und so hab’, ich mir wieder mein Leben g’wonnen – und muß net sterben – na – na – jetzt – jetzt – jetzt därf ich leben – leben – –“ Müder und leiser von Wort zu Wort war seine Stimme geworden, um in gurgelndem Stöhnen zu erlöschen, ein Zittern überrann seinen Körper, die Hände griffen nach dem Herzen, der schwere Kopf schien zwischen seinen Schultern zu versinken – so lag er wenige Sekunden regungslos – nun streckte er sich mit einem ächzenden Seufzer – „leben – leben –“ hauchte es noch von seinem Munde, dann blieben seine Lippen regungslos, und über seine Augen legte sich die Starre des Todes.

„Dori! Dori! Armer Dori!“ schrie Veverl schluchzend auf, indeß die Anderen, die den Todten umstanden, mit murmelnden Stimmen zu beten begannen.

Als dann der Arzt erschien, den man gerufen, blieb ihm nichts Anderes zu thun mehr übrig, als die Todesursache festzustellen. Er fand in Dori’s Brust und Schultern sieben Stiche.

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Zwei Tage vergingen, Dori wurde zu Grab getragen, und das war ein Leichenzug, als würde der reichste Bauer des Thales zur ewigen Ruh’ gebracht, nicht der ärmste Hüterbub’ des Dorfes.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_870.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2023)