Seite:Die Gartenlaube (1885) 868.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

den Leithnerhof, umzingelten das Haus und durchsuchten es bis auf den letzten Winkel – erfolglos freilich. Jetzt war es wieder der Brennerwastl, der den Verdacht aussprach, ob sich nicht etwa der Valtl gerade dort verborgen haben könnte, wo man ihn am wenigsten vermuthen möchte – im Finkenhof, an welchem ja der ehemalige Knecht jeden Schlupf und Winkel kennen müßte, wie seine Tasche. Mit dieser Weisheit aber kam der Wastl übel an, der ganze Dank, den er erntete, war ein schallendes Gelächter. Der erste Mißerfolg hatte die Gemüther ziemlich abgekühlt, und so wurde einstimmig ein gar friedlicher Vorschlag angenommen: man zog unter Singen und Johlen ins Wirthshaus. Wastl wüthete und stürmte in seinem zornigen Trotze ganz allein dem Finkenhofe zu, wo er dem Knecht und dem Schmiede so lange in den Ohren lag, bis ihm die Beiden den Gefallen thaten und mit ihm alle Bodenräume des Gesindehauses, alle Ställe, Scheunen und Schupfen durchstöberten. Als er aber auch das Wohnhaus mit seiner geschäftigen Sicherheitssorge bedenken wollte, vertraten ihm die Beiden den Weg, da sie sich nicht zu denken wußten, wie Valtl in das Haus hätte kommen können. Vielleicht hätte er seinen Willen doch noch durchgesetzt, wenn nicht ein Menschenauflauf auf der Straße seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte. Da draußen brachten sie gerade den Gidi von der Bründlalm, um ihn nach dem Schlosse zu tragen. Enzi schritt an der Seite der Bahre und hielt des Jägers Hand gefaßt. Den Trägern folgte Luitpold mit dem Doktor – und mehr noch als den Verwundeten starrten die Leute den jungen Grafen an, der in dem grauen, rupfigen Wettermantel und unter dem grobfilzigen Bauernhute allerdings ein seltsames Bild gewährte.

Vor Abend noch fuhr Luitpold zum Dorfe hinaus, nachdem er vom Arzte erfahren hatte, daß Gidi’s Verwundung zwar eine immerhin bedenkliche wäre, daß aber bei der eisernen Gesundheit des Jägers und bei der trefflichen Pflege, die ihm in sicherer Aussicht zu stehen scheine, das Beste zu hoffen wäre.

Um Gebetläuten kam dann die Enzi in den Finkenhof. Zuerst mußte sie erzählen, was sie zu erzählen wußte. „Gelt, Finkenbäuerin,“ sagte sie dann, „das siehst schon ein, daß mich mein Gidi im Jaagerhäusl jetzt nöthiger braucht, als wie der Finkenbauer auf der Bründlalm. Und da wär’ ich Dir schon recht viel dankbar, wann mich a paar Wochen verurlauben thätst und thätst derweil die alte Waben in mein Hütten ’naufschicken.“

Mit einem Worte war das zugestanden, und so wackelte am anderen Morgen die Waben über den Bergsteig empor zur Bründlalm.

Als Dori, der unter der Hüttenthüre stand, die Alte über das Almfeld „daherknotschen“ sah, fuhr er sich mit beiden Händen hinter die Ohren: „J ... jeh! die alte Waben! Jetzt is g’recht! So ’was muß mir auch noch passiren! Ein Unglück ums andere!“

„Schöne Sachen! Schöne Sachen g’schehen daheroben!“ pfiff es durch die Zahnlücken der Alten, als sie vor der Hüttenthüre verschnaufend stille hielt.

„Ah was! Drunten muß auch net alles bei Verstand sein, sonst hätten s’ mir Dich net da ’rauf g’chickt!“ knurrte Dori und verschwand in der Hütte.

Keifend folgte ihm die Alte, aber als sie dem Dori in das vergrämte Gesicht schaute, frug sie doch mit besorgten Worten, was ihm fehle. „Nix!“ war die kurze Antwort, die sie erhielt. Nun erkundigte sie sich noch nach dem Befinden der Kühe, dann begann sie zu erzählen: von dem Unglück, das den Finkenbauer betroffen hätte, wie von der „g’spaßigen“ Krankheit, von der das Veverl befallen worden wäre.

„Ja – gestern in aller Fruh, da muß das Deandl wo g’wesem sein, und bald drauf, wie ’s heim’kommen is, hab’ ich d’ Finkenbäuerin in der Stuben drin schreien hören: Waben, Waben, Waben! Und wie ich ’neinkomm’, liegt ’s Deandl auf’m Stubenboden, völlig damisch – ja – und schier a Stund lang hat s’ Dir ’braucht, bis wieder d’ Augen aufg’macht hat. Und seit der Zeit is ’s Deandl wie verwendt. Mit gar kei’m redt’s kein Wörtl net, und allweil steht ihr ’s Wasser in die Augen. A böse Sach’ – a böse Sach’!“

Wortlos hatte Dori zugehört. Jetzt sprang auf, holte vom Heuboden die Kraxe herunter und begann sie in zitternder Hast mit dem Almgewinn der letzten Tage zu beladen.

„Ja, was is denn jetzt auf amal?“ staunte die alte Waben.

„Abtragen muß ich!“ erwiderte Dori, und weiter sprach er kein Wort mehr bis zu dem „B’hüt Dich!“ mit dem er die Hütte verließ.

Je weiter er sich von der Alm entfernte, desto hastiger wurden seine Schritte. Und als er aus dem Walde auf die Wiesen trat, tropfte der Schweiß von ihm, und keuchend ging sein Athem.

Schon näherte er sich der Höllbachmühle, an welcher sein Weg vorüberführte, da stutzte er plötzlich. Hastig warf er den Bergstock bei Seite, stellte die Kraxe nieder und schlich in geduckter Stellung dem Bache zu. Hinter einem der Erlenbüsche, mit denen das Ufer bewachsen war, verbarg er sich. Ein Fuchs, der die zum Opfer ausersehene Henne belauscht, kann keine gieriger lauernden Augen machen, als Dori sie machte, während er durch die Lücken des Buschwerkes die Bewegungen des sechsjährigen Müllersöhnchens verfolgte, das mit übermüthiger Keckheit über den schwankenden Balken hin und her spazierte, der unterhalb des Mühlausflusses den schäumenden Bach überspannte. So oft das Bürschlein ins Wanken gerieth, zuckte die helle Freude in Dori’s Zügen auf, die sich wieder verfinsterten, sobald der kleine Uebermuth mit schlagenden Armen das Gleichgewicht zu gewinnen wußte. So zwischen Hoffnung und Enttäuschung hin und her geworfen, spähte und lauerte er, bis ihm ein ganz unerwarteter Gedanke sagte, was er denn eigentlich that. Da erschrak er vor sich selbst und stammelte. „Na, na, ich bin Einer! Kann da sitzen und drauf passen, ob dem armen Schluckerl an Unglück g’schieht! Jetzt gehst mir aber gleich weiter!“ Ingrimmig fuhr er auf und schoß mit einem langen Schritte aus dem Buschwerk. Das Büblein aus dem Balken aber hörte die Büsche rascheln, sah über das Laub ein bleiches, grinsendes Gesicht auftauchen, erschrak, gerieth ins Wanken und stürzte mit einem kreischenden Schrei vom Balken in die schäumenden Wellen.

„Gottlob! Jetzt hat’s ihn dengerst g’rissen!“ jubelte Dori und sprang mit einem mächtigen Satze dem Knaben nach in den Bach. Glücklich erwischte er ihn beim Kittelchen, zerrte ihn ans Ufer, herzte und küßte ihn, daß dem Knaben Hören und Sehen verging, dann ließ er ihn stehen, wie er stand, und rannte davon über die Wiese. Als er die Stelle erreichte, wo seine Kraxe stand, warf er sich der ganzen Länge nach ins Gras, wälzte sich wie ein Pudel und stammelte und schluchzte in überquellender Freude: „Ich hab’ ei’m Menschen ’s Leben g’rett’! Ich hab’ ei’m Menschen ’s Leben g’rett’! Jetzt darf ich selber wieder leben! Mein’ Sünd’ is gut g’macht und vergessen! Ich hab’ mein Leben wieder g’wonnen – mein Leben – mein Leben – mein Leben!“ Und kaum versiegen wollten die Thränen seiner Freude. Als er sich endlich dennoch erhob, schaute er mit einem vergnüglich lächelnden Blicke an seinem triefenden Gewande nieder. „So kann ich doch net gut ins Ort nein geh’n! Da muß ich mich schon z’erst a bißl trocknen.“ Er nahm die Kraxe auf und lief dem Waldsaume zu. Hier hängte er seine Joppe über einen Fichtenbusch und streckte sich an einem Plätzchen ins Moos, auf welches die Sonne ihre ganze, brennende Mittagshitze niedergoß. Trunkene Freude füllte sein Herz, fröhliche Bilder gaukelten vor seinen Augen, eine rieselnde Wärme begann in seinem Körper zu erwachen und das that ihm so wohl, daß er vor Behagen die Lider schloß. Als er endlich auffuhr aus dem Schlafe, der ihn wider Wissen überkommen hatte, lag schon die tiefe Dämmerung über Berg und Thal. Unter sprudelnden Selbstvorwürfen schlüpfte er in die Joppe, raffte die Kraxe auf und rannte dem Dorfe zu.

Er erreichte den Finkenhof und sah durch die erleuchteten Fenster des Dienstbotenhauses die Ehhalten bei der Schüssel sitzen. Auch die Stubenfenster des Wohnhauses waren erleuchtet, die Thüre aber fand er verschlossen. Er pochte, und die Bäuerin öffnete ihm. Sein erstes Wort war eine Frage, wie die Sache mit dem Finkenbauer stünde – hoffentlich gut, wie er meinte.

„Ah ja – mußt Dich net sorgen! Es wird sich schon Alles wieder machen!“ gab die Bäuerin kleinlaut zur Antwort.

„Und han – wo is denn ’s Veverl?“

„Sie is schon droben in der Kammer.“

„So! Aber – sag’ Bäuerin – was ich von der Waben g’hört hab’, wär’ ’s Veverl derkrankt?“

„Ah na! Gar kein’ Schein net! Jetzt das is amal an alte Ratschen! Aber – mach weiter! Jetzt is doch kein Zeit net zu ei’m Diskurs im Hausgang. Geh’, lad’ Dein’ Kraxen ab und trag’s in Keller ’nunter. Da geh’ her, da is a Licht.“ Sie schritt ihm voraus in die Küche, entzündete ein Kerzenlicht und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_868.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2023)