Seite:Die Gartenlaube (1885) 862.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Hôtel und wartete auf meine Botschaft. Und dann fuhr er betrübt ab, der doch gern geblieben wäre. Mit seinem früheren Leben hat er gebrochen. Aber die Sehnsucht nach Dir leuchtete dem armen Teufel nur so aus den treuen Augen …“

„Jetzt,“ sagte Bianca, das Angesicht tief auf ihre Stickerei beugend, „weil der Teufel arm geworden ist.“

„Na, eben weil er arm geworden ist, hättest Du ihn ohne Bangen empfangen können, da so doch nichts mehr aus Euch werden kann, wenn er kein Geld hat und Du auch keins!“

„Ah!“ sagte Bianca und ihr Blick haftete nun im Gesichte Pater Otto’s, das spöttisch lächelte, weil er dem verschmitzten Mädchen eins gegeben hatte, das traf.

Aber dieses sagte kein Wort weiter, weil sie dem Vetter noch nicht verrathen wollte, was sie dachte, und die Gedanken sich selbst doch wie ein Wirbel in ihrem schönen blonden Köpfchen drehten.

Als der Priester sie allein gelassen, sprang sie jäh vom Sitz auf, warf Nadel und Perlen bei Seite und kniete vor den ersten besten Stuhl am Boden, die Ellenbogen auf den Sitz gestemmt, das schwindelnde Haupt in beiden Händen, und weinte jämmerlich – Thränen des Mitleids und Thränen der Freude in Eins.

Freute sie sich, weil den Geliebten Schaden getroffen hatte? Nicht doch! Das leicht erregbare Künstlerblut spiegelte ihr ein phantastisches Bild naher Zukunft vor, das sie ganz glückselig machte und allen Kummer und Gram der Vergangenheit von ihr zu nehmen versprach.

Wochen und Monate beherrschte fortan ein und derselbe Entschluß ihr Denken, Thun und Lassen.

Wenn sich in letzten Zeiten die deutlichen Beweise mehrten, daß Bianca’s Gesang in der Kirche die Menschen entzückt und erquickt habe, wenn Freunde des Hauses ihr das Lob der andächtigen Hörer zutrugen, wenn sie in Zeitungen ihren Namen ehrenvoll erwähnt fand, dann klopfte jedesmal und immer eindringlicher die Frage bei ihr an: solltest Du’s nicht doch wieder mit dem Theater versuchen?

Im Anfang hörte sie gar nicht auf den sanften Reiz. Als aber einmal selbst ein berufener Kritiker bei Gelegenheit einer ihrer kirchlichen Leistungen sein Bedauern darüber aussprach, daß solch eine schöne und geschulte Stimme nicht für die Oper gewonnen würde, wo man statt dessen so oft mit altgewordenem Material vorlieb nehmen müßte, da hatt’ es schon mehr Noth, die Versuchung zu bekämpfen. Allein ihr Verstand lieh ihr noch tüchtige Wehr und Waffen dagegen.

Sie sagte sich, daß ihre Stimme nicht wieder zur alten Kraft gelangt sei, auch wohl nie wieder zur alten Kraft gelangen werde, daß sie nicht hoffen dürfe, anstrengende Opernrollen glorreich zu Ende zu führen, tadellos vom ersten bis zum letzten Ton, und daß ihre jetzigen Stimmmittel den Geboten fortlaufender Thätigkeit in einem anspruchsvollen Opernrepertoire über kurz oder lang erliegen müßten.

Nach und nach versuchte sie dann in Stunden antreibender Hoffnung wieder jeden dieser Gegengründe sich selbst zu widerlegen, denn die Lust, mit Leib und Seele zur aufgegebenen Bühnenkunst zurückzukehren, wuchs mit jedem neuen Erfolg, mit jedem neuen Sonntag.

Da aber Erkenntniß und Besorgniß doch nicht ganz vor der Lust und Liebe zum Beruf sich ergeben wollten, setzte sie die Entscheidung außer sich und vermaß sich, auf ein Zeichen zu harren, welches ihr das Schicksal geben werde, wenn sie so, wie sie war, den gefährlichen Weg auf die Bretter mit Entschiedenheit betreten sollte.

Nun, meinte sie, war die Entscheidung gefallen, nun war das Zeichen von ihrem Schicksal gegeben worden! Und mit inniger Wonne malte sie sich aus, wie ihr Weg sie in die Höhe tragen werde zu Ruhm und Glück, und wie sie dann zu dem geliebten Manne sagen werde: Ich weiß, daß du bereust, ich weiß, daß du mich noch liebst! Komm und theile mit mir, was Gott und mein Talent mir beschieden haben, denn du nur fehlst mir noch, um ganz glücklich zu sein!

Sie prüfte sich selbst, erst maßvoll, dann in gesteigerter Anstrengung ihrer Stimme. Sie ging wieder zu ihrem alten Lehrer und forderte sein Urtheil heraus. Es war das einstige schwärmerische, verheißende nicht mehr, aber es war immerhin ein gutes, sofern ihre Stimme sich ausdauernd beweisen würde. Doch das sei Sache der Zukunft und müsse erprobt werden. Ihr Herz gab heftig pochend die Versicherung dazu, sie werde die Probe bestehen. Und als sie ganz mit sich im Reinen war, trug sie endlich auch Pater Otto ihren Entschluß vor, den sie bereits einen unabänderlichen nannte.

Wenn es ein unabänderlicher wäre, meinte Pater Otto die Achseln hochziehend, dann wollt’ er sich bei einem so hartköpfigen Frauenzimmer nicht der fruchtlosen Mühe unterziehen, denselben zu erschüttern. Er wünsche ihr Glück dazu und werde in Gottes Namen dazu helfen, soweit es in seinen Kräften liege.

Nun hockten die Zweie wieder oft beisammen und schmiedeten Pläne und brüteten über Anerbietungen, wie solche mit Hilfe eines neuen Agenten, der für Bianca’s Kirchengesang schwärmte, eingingen. Otto machte gute Miene zum bösen Spiel und machte sich auch seine eigenen Gedanken, die er aber nicht alle laut werden ließ.

Er ging manchmal ganz allein zum Agenten und überraschte eines Abends seine Kousine mit einer Nachricht, die er ihr aus Vorsicht nur langsam und wohlvorbereitet beibringen mochte. Es war nämlich ein Antrag eingegangen, der Bianca, wenn sie wollte, die Aussicht eröffnete, an einem der angesehensten Opernhäuser Deutschlands ein Probegastspiel auf Engagement zu absolviren.

(Schluß folgt.)

Blätter und Blüthen.

Ein Weihnachtsbrief.0 Von C. Lionheart.

Manchester, den 10. December 1885.     
  Meine liebste Elli!
Du bittest um eine Antwort mit Postwendung, ob Du Lizzy’s Einladung annehmen sollst und unsern lichtstrahlenden deutschen Christbaum vertauschen gegen die immergrüne Weihnachtskrone Alt-Englands? Da hast Du meine Entscheidung: Geh’ auf alle Fälle, aber nimm meinen Rath auf den Weg: hüte Dich vor dem tückischen mistletoe! Ich glaube, ohne diesen gefährlichen mistletoe hätte ich mich nicht eben durch jenen erstickenden schwefelathmenden Nebel zu kämpfen brauchen, den nur das Klima meines neuen Heimathlandes zu solcher Intensität entwickeln kann – das wäre was für Dich gewesen, Du herzige Lachtaube! Keine zwei Schritte vor Augen sehen, sich forttappen mit ausgestreckten Händen, um nicht gegen einen Fremden anzurennen, dessen Gestalt wie ein unheimlicher Schemen silhouettenhaft durch den grauen Dunst Dir entgegenschwebt! Wie auf Wolken gleitest Du ängstlich dahin – denn selbst der Boden ist mit der dicken Atmosphäre wie bedeckt und das Licht der Gasflammen ist jetzt um die zwölfte Mittagsstunde von diesen schwebenden Dünsten wie verschlungen und erstickt. Jetzt fallen zarte, leichte Schneesternchen sacht zur Erde. Werden wir doch noch eine weiße Weihnacht haben wie im vorigen Jahre, wo Lizzy Brook mich ohne viel Umstände mit sich nach Hause entführte?

Weißt Du noch, Elli? Du Aermste mußtest das schöne Fest ja in der Pension vertrauern, weil Dir die böse Lungenentzündung das Heimreisen noch nicht gestattete, und nicht besser wäre es mir ergangen, hätten sich Lizzy’s Eltern nicht meiner erbarmt und Lizzy’s Bruder Tom (ein Herr, der mir erstaunlich nahe lebt und eben mein Ohrläppchen zwickt, da ich seinen Namen schreibe) uns von Dresden abgeholt. Im Hause meines Vormundes war die Masernepidemie ja noch nicht völlig überwunden, unsere alten Pensionsfräuleins fürchteten die Ansteckung für mich: ergo die mögliche Einschleppung für unser Dresdener Tusculum, und so mußte ich heimathsloses Waisenkind denn in die Welt pilgern, um überhaupt zu wissen, daß es Festtage waren. Und welche Festtage! Ja, dabei fällt mir ein, ich wollte Dich vor dem mistletoe warnen, ich habe ja noch ein halbes Dutzend Schwäger in den verschiedensten Jahrgängen und darf Dich in der Ahnungslosigkoit Deiner 17 Jahre unmöglich gleichen Fährlichkeiten harmlos entgegenziehen lassen, ohne … Tommy kneipt schon wieder; er sagt, ich sei schändlich undankbar gegen den mistletoe, der inzwischen zu einer Brautkrone für mich angewachsen, ich verleumde ihn barbarisch. Gut, ich werde Dir also nur ganz objektiv von den Weihnachtsbräuchen hier zu Lande referiren, und Du magst daraus die Dir nützlichen Schlüsse selber ziehen.

Wir kamen also im vorigen Jahre einen Tag vor Weihnachten glücklich in Lizzy’s Vaterhause an, nebenbei gesagt, eines der prächtigsten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_862.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)