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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

leicht verständlich machen und unmöglich ein behagliches Gespräch pflegen konnte, so führte Pater Otto den Hamburger in irgend ein Gasthaus nächst dem Schottenthor, setzte sich ihm gegenüber und sah ihm prüfend ins Gesicht.

Eine Frage gab die andere. Edgar verhehlte gerade nicht, daß er, seit Beide sich zum letzten Mal gesehen, allerhand Wechsel des Schicksals erfahren hatte, doch verweilte er nicht lange bei eigenen Erlebnissen, sondern erkundigte sich lieber um des Paters und auch um Bianca’s Befinden.

Der Chorherr berichtete, ohne irgend Jemand Schuld daran beizumessen, daß seine Verwandte eines gewitterschweren Sommerabends an ihrer Gesundheit Schaden genommen, in Folge dessen an ihrer Stimme merkliche Einbuße erlitten und darum den einst so glänzenden Hoffnungen, auf der Bühne Glück zu machen, entsagt habe. Was sie trotzdem noch als Künstlerin leiste, dessen sei er ja eben gerührter Zeuge gewesen.

Edgar schwieg traurig vor sich hin und mochte wohl mehr auf die Anklagen, die in seinem eigenen Busen dabei laut wurden, als auf den vorsichtigen Priester hören, der, um sein Gegenüber nicht allzu tief in Verlegenheit zu bringen, nun von allerhand gleichgültigen Dingen, die jenen vielleicht früher interessirt hatten, plauderte.

Dabei konnte dieser die Beobachtung nicht unterlassen, daß der einst so elegante Herr nunmehr zwar ein viel gesetzteres, aber auch ein merklich gedrücktes Wesen angenommen habe und daß seine Kleidung zwar ganz anständig, aber weder ganz neu noch nach der letzten Mode sei.

Pater Otto hatte wohl von dem Sinken des Hauses Sperber etwas läuten, aber nicht genau schlagen hören und sich dabei gedacht, wenn die Katzen vom Dach fallen, so fallen sie auf die Füße und laufen wie vordem.

Aber je mehr er Edgar betrachtete, desto deutlicher drängte sich ihm die Wahrnehmung auf, daß eine große Veränderung mit dem Menschen vorgegangen sei, und er sagte das auch in freundschaftlich theilnehmender Weise, die nicht verletzen konnte.

Der Andere bedankte sich für so guten Zuspruch und bestätigte, daß er kein reicher Mann mehr sei, ganz und gar seinen Geschäften lebe und in diesen auch sich jählings zu einer Reise nach Wien entschlossen habe, wo er noch Einiges zu retten hoffe. Er habe sich gern auf diese Reise begeben, fügt’ er hinzu, und allerdings nicht ohne Hoffnung, Fräulein Scandrini wieder zu sehn. Daß er sie gleich heute habe singen hören, sei allerdings nur durch einen unverhofften Zufall geschehen.

„Oder durch Gottes Fürsorge!“ erlaubte sich der Priester zu bemerken.

Das klang Sperbern wie ein Zeichen der Versöhnung, und dadurch rasch ermuthigt, fragte er geradezu: „Glauben Hochwürden, daß Fräulein Bianca, die ich gern wieder einmal in der Nähe sehen möchte, meinen Besuch annehmen würde?“

„Offen gestanden,“. antwortete der Priester, „ich glaub’ es nicht, daß sie Ihren Besuch annehmen würde. Sie hat Sie einst sehr lieb gehabt; aber Sie haben sie schwer gekränkt. Meine Kousine hat das tiefer empfunden als ich es ihr zugetraut hätte. Sehr tief! Ihr Lebenszweck, ihre ganze Lebensanschauung hat sich darnach geändert. Und sie denkt auch über manche Menschen anders, als dazumal.“

„Ja, ja!“ sagte Sperber und sah nachdenklich in sein Glas hinein. Was hätt’ er viel anders sagen sollen in dieser Lage! Da er ein Kaufmann war und einer, der Unglück gehabt hatte noch dazu, dacht’ er vielleicht auch: nicht nur ihr Lebenszweck, sondern auch der meinige hat sich geändert, und da ich keine beneidenswerthe Partie mehr bin, macht der Pfaffe gleich lieber schon von Weitem vor mir die Thür zu.

Pater Otto jedoch überraschte den Argwöhnischen mit dem Vorschlag: „Wissen Sie was, lieber Baron? Ich will mit Bianca reden, ob sie Sie wiedersehen mag. Willigt sie ein, und an mir soll’s nicht liegen, wenn sie es weigert, so send’ ich Ihnen Botschaft in Ihr Hôtel.“

„Heute noch?“

„Ja, heute noch! Verlassen Sie sich darauf, Herr Baron. Wie lange bleiben Sie noch in Wien?“

„Wenn ich keine Nachricht von Ihnen erhalte, Hochwürden, dann denke ich morgen Abend wieder abzureisen.“ –

Nun denn, der gute Herr von Sperber reiste in der That am andern Tage von Wien wieder ab, ohne Bianca wiedergesehen zu haben, denn, so gespannt er auch auf den Boten des Mönches gewartet hatte, es war keiner gekommen. Bianca hatte sich nicht überwinden können, den einst Geliebten wiederzusehen und alte Wunden aufzureißen, die auch im Vernarben noch so heftig schmerzten. Sie war zu stolz und hatte zu viel gelitten, um dem Manne, dem sie zur Frau nicht gut genug gewesen war und der sich über ihren Verlust mit unwürdigen Geschöpfen getröstet hatte, mit offenen Armen und lachenden Lippen entgegenzugehen. Und sie fühlte sich nicht stark genug im Herzen, um ihn, wenn er kam und bat, mit verschränkten Armen und trotzigem Munde wie einen Fremden zu empfangen.

Da ihr Gefühl also entschied, drängte der Pater nicht weiter in sie und ließ Edgar ungegrüßt seiner Wege ziehen, obwohl er kein Hehl daraus machte, daß ihm ein anderer Entschluß lieber gewesen wäre. Denn schon als guter Christ mahnte er, Denen Gutes zu thun, die Einem Uebles gethan hatten.

Sie kamen aber nun des Oefteren als bisher wieder auf den Mann in Hamburg zu sprechen, der sich nun so bald nicht wieder bei ihnen melden würde. Pater Otto brauchte seinen Scharfsinn nicht über die Maßen anzustrengen, um zu merken, daß Bianca in der Stille ihres Herzens noch immer an Edgar hing, wie er an ihr, wenn sie das auch nicht Wort haben wollte. Gerade weil Schmerz und Kränkung ihr noch so nahe gingen, überzeugte sich Pater Otto, daß auch die alte Liebe noch unter der Asche glühte. Wäre dieser Sperber ihr gleichgültig geworden, sie hätte ihn gefaßt empfangen und sich mit dem abgedankten Kourmacher ganz leidlich unterhalten.

Darum dacht’ er, daß noch nicht aller Tage Abend sei, und zog derweilen von dort und da, wie’s eben ging, Erkundigungen über Edgar’s dermalige Lage und dessen Aussichten in die Zukunft ein, was ihm, dem weltläufigen Manne, der mit allerhand Geschäften seines Klosters zu schaffen hatte, nicht schwer wurde.

War es nun, daß ihm die Dinge in Hamburg von Anderen schwieriger geschildert wurden, als sie in der That waren, oder daß er bewußtermaßen übertrieb, er machte seinem Mühmchen, als er wieder einmal gemüthlich bei ihr saß, die Mittheilung, daß sich mit ihrem Sperber nicht nur viel geändert habe, sondern daß er, genau betrachtet, ein armer Mann geworden sei.

„Ein armer Mann!„ Bianca ließ es sich noch einmal wiederholen und spießte dabei scheinbar ganz gelassen eine Stahlperle nach der andern mit ihrer Nähnadel aus einem Schächtelchen und stickte damit an einem Kragen herum, der solchen Werth für sie zu haben schien, daß sie nicht einen Blick nach dem Vetter hinüberwandte, obwohl sich dieser einige Mühe gab, ihr aus einander zu legen, was arm sein für einen Menschen bedeute, der in fürstlichem Ueberfluß geboren sich mit vollem Rechte als der Erbe von Millionen betrachten und als solcher gebärden durfte, und der nun darauf angewiesen sei, als reicher, als verwöhnter Mann ein dürftiges Leben von vorn anzufangen und seines Lebens Unterhalt mühsam und kleinweis zu verdienen wie einer, der nie was Besseres gekannt hat und an die liebe Noth gewöhnt ist von Kindesbeinen an.

Pater Otto redete sich ordentlich in Hitze, denn ihn ärgerte der Gleichmuth, mit welchem seine Base die kleinen Perlen aufzuspießen nicht müde ward. War sie wirklich aus Stolz unversöhnlich? Hatten die Jahre sie kalt und gefühlsarm werden lassen? oder that sie nur so dergleichen?

„Master Edgar hat ja Strafe verdient an Dir!“ rief er laut. „Aber, mein Kind, diese Strafe ist hart. Du kannst es glauben! Und Du hättest Dir nichts vergeben, wenn Du dem armen Kerl, der danach verlangte, auch die Erlaubniß ertheilt hättest, Dich persönlich um Verzeihung des Geschehenen zu bitten!“

„Er hat ja andere Bekannte genug im lustigen Wien!“ warf Bianca über ihre Nadel hin.

„Schäme Dich!“ sagte der Chorherr. „Er hat nur aus Liebe zu Dir gefehlt und weil ihm die Liebe, wie das so gemeiniglich geschieht, den Verstand genommen hatte. Diesmal hat er sich um Niemand von seinen alten Bekannten gekümmert –“

„Weißt Du das so gewiß?“ frage Bianca rasch und sah den Pater endlich und etwas überlegen lächelnd an.

Der aber rief, obwohl ein wenig darüber erröthend, daß er sich verrathen hatte, in aller Stille genauere Erkundigungen über Edgar eingezogen zu haben. „Ja, ich weiß es! Ich hab ihn ein wenig beobachten lassen. Er interessirt mich. Er saß im

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