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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Ich gehe oft hinüber und erzähle dann wohl den Kindern von einem kleinen Mädchen, das sich nicht trösten lassen wollte über ihre alte Puppe, obgleich sie eine neue, weit prächtigere bekommen sollte. Dann lacht die Ilse so herzlich, und die Kinder stimmen mit ein.

Horch! da sind sie! „Nur hier herein, gleich wird’s so weit sein.“

„Nun müssen die Kleinen beten,“ sagt die junge Frau ernst, und der Junge und das Mädchen, das eben erst plappern gelernt hat, falten die Händchen und sprechen:

„Das Kind, das heut geboren ist,
Der liebe Heiland Jesus Christ,
Der leitet unsre Herzen gern
Zum rechten Weg aus irrer Fern.“

„Amen, Ihr Kinder!“

Da klingelt’s drüben, jubelnd springen sie voran, die Ilse aber hängt an meinem Arm.

„Weißt Du noch?“ fragt sie, „vor sechs Jahren, da leitete Er auch mein Herz zum rechten Wege.“

„Ja, mein Töchterchen! Mir klingt noch immer der schrille Ton der Glocke in den Ohren.“

Wieder steckt mir das Wort in der Kehle, so ungestüm zieht’s an der Klingel.

„Geht nur hinein, Kinder, ich komme bald nach; aber hab ich’s nicht gesagt? gleich zu Anfang! Nicht einmal am heutigen Abend hat unser Einer Ruhe!“

„Was soll’s denn sein?“

„Wie? Der Wittwe Merkern ihr Sohn, der Soldat, ist auf Urlaub gekommen. Ob es der Kranken schadet, wenn er ans Bette tritt?“

„Gott bewahre! Freude schadet nie, besonders nicht am heiligen Weihnachtsabend. Ich lasse grüßen.“

Fröhliche Feiertage!


Christnacht im Walde.
Von Julius Lohmeyer. Mit Illustration von Hermann Vogel. (S. 857.)

Ueber des Bergkamms starrenden Tann
Wandelt ein Licht in der Ferne,
Näher und näher wallt es heran
Gleich einem irrenden Sterne;
Ueber die Gründe, verweht und verschneit,
Schwebt es auf silbernen Schwingen,
Bricht in die schweigende Waldeinsamkeit
Mächtig mit Leuchten und Klingen.

Christkindlein zieht durch den Wald in der Nacht,
Himmlische Schaar zum Geleite,
Blitzend aufleuchtet des Eiswaldes Pracht
Ueber dem Zug in die Weite.
Wo in die Gründe hinfluthet ein Strahl
Läuten zur Weihnacht die Glocken,
Lauschen zur Höhe die Rehe im Thal,
Flüchten die Wichtlein erschrocken.

Eisgraue Männlein aus Baumhohl und Spalt,
Uralt’ verwittert’ Gezwerge
Schaut, wie geblendet, den Zug durch den Wald
Nieder sich winden vom Berge.
Waldmännlein küssen des Kindes Gewand,
Knieen anbetend am Pfade,
Christkindlein hebet mit Lächeln die Hand,
Segnet die Kleinen in Gnade.

Christkindlein segnet die Waldkreatur,
Häslein und Rehlein am Wege;
Wo es dahinzog, die goldige Spur
Funkelt noch lang’ durchs Gehege.
Weit in die nächtigen Thäler hinein
Fluthet der himmlische Schimmer –
Drunten im Dorfe der Fensterlein Reih’n
Glüh’n schon im Weihnachtsgeflimmer.

Weit durch die Lande – ein leuchtender Strom –
Wogt es mit Blitzen und Klingen:
„Ehre sei Gott!“ Zu der Sternenwelt Dom
Braust es auf mächtigen Schwingen. – –
Also herab durch den starrenden Tann
Nieder ins Erdengetriebe
Wandelt durch Winter- und Todesbann
Welterlösend die Liebe.




Ein wunderlicher Heiliger.

Novelle von Hans Hopfen.
(Fortsetzung.)

Zwischen den feierlichen gewaltigen weithinhallenden Schlägen sonntäglichen Glockengeläutes hört man das Zwitschern der Schwalben, die in wonniger Hast über den Minoritenplatz hin und her schießen. Der alterthümlich schöne Platz ist sonst wohl der stillste in der geräuschvollen Altstadt Wiens; aber kurz vor dem Hochamt rollt da eine Herrschaftskutsche nach der anderen herbei, und die Leute drängen sich vor dem prächtigen Ostportal der italienischen Kirche.

Es sieht nun zwar so ziemlich jeden Sonn- und Feiertag hier um diese Zeit also aus; denn erstens gilt es für vornehm,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_856.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)