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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„In die Latschen hab’ ich d’ Nacht derwart’,“ fuhr er nach einer Weile mit ruhigerer Stimme fort, „nachher bin ich ’nunter ins Ort – und wie ich mei’m Jörgenbruder sein’ Freud’ und sein’ Jubel g’sehn hab’, da is mir mein Leben dengert auch wieder werth worden. Ich hab’ ihm verzählt, wie Alles zu’gangen is, hab’ ihm verzählt von dem fürchtigen G’höhl, das ich im Berg drin g’funden hab’ – und da hat er g’sagt: ,Ferdl! Wo Dich unser Herrgott hing’führt hat, da bleibst! D’Leut’ reden von Dir wie von ei’m Todten, kein Mensch mehr fragt Dir nach – und da kannst jetzt bleiben, so lang’, bis alles verraucht und vergessen is. Was nachher weiter g’schehen soll, das wird sich schon finden mit der Zeit!‘ Und – so bin ich halt ’blieben. Acht Tag’ is der Jörg heroben g’wesen bei mir und hat mir arbeiten g’holfen, den Höhlboden von die Steiner säubern und den Zugang weiter machen, damit man leichter beischaffen könnt’, was nöthig war. Draußt vor’m Ausgang haben wir an mannshohen Steinblock über Walzen g’legt, so daß er mit ei’m leichten Drucker schon auf d’ Seiten ’gangen is – g’rad wie a Thür! Sein’ ganze Sennhütten hat der Jörg nachher ausg’räumt, damit er mir ’s Hausen daherinn a bißl leichter macht – und mit allem hat er mich versorgt, was ich ’braucht hab’ zum Leben und zum Zeitvertreib. Und von da an is der Tag mein’ Nacht g’wesen, und d’ Nacht mein Tag – eh’ net d’ Stern’ am Himmel g’standen sind, hab’ ich mich ja nie net ’rauswagen dürfen aus’m Berg. A paar a drei Wochen hab’ ich’s gern derlitten – aber nachher – nachher is mir mein g’storbenes Leben härter und härter an’kommen mit jedem Tag. Bei all dem Sinnieren in meiner Einschicht’ is mir mein Herz und mein G’wissen so steinschwer ’worden – und wenn ich auch um Deinetwegen, Luitpold, a bißl leichter ’denkt hab’, wie mir’s durch mein’ Jörg bekannt worden is, daß’s besser geht mit Dir, so hat mich doch mein’ andere Schuld, wo ich in der Verzweiflung so mitverübt hab’, ohne dran z’denken, schwerer und schwerer ’druckt in mei’m Stolz und in meiner Ehr’. Ich bin ja Soldat g’wesen mit Leib und Seel’ – und ich hab’s auch bewiesen, wie’s golten hat, drin in Frankreich – und ich, der ich so stolz g’wesen bin auf meine zwei Kreuzln und auf mei’m lieben König sein farbigs Tuch, ich hab’ mein’ Fahn’ verlassen und hab’s selber g’macht wie Einer, vor dem ich amal ausg’spieen hab’ in Abscheu und Verachtung.“

Aufstöhnend drückte Ferdl die zitternden Fäuste über die Augen, aus denen ihm die dicken Thränen niederrollten über die blassen Wangen.

„G’wiß wahr! Hundertmal für einmal hab’ ich mir g’sagt: „Ferdl, geh’ hin, stell’ Dich wieder beim Regiment, thu’s, thu’s und frag’ net, was darnach kommt – aber wann ich mei’m Jörgenbruder in die traurigen Augen g’schaut hab’, war’s wieder aus und gar mit all’ mei’m Muth! Bald aber hat sich ’s Blattl g’wendt. Da hab’ ich am Bleiben halten müssen – und er hat ’trieben, daß ich jetzt bald fort sollt’ über d’ Grenz’! Ich hab’ eben g’merkt, mit was für Gedanken als er sich tragt. Sein’ Finkenhof will er verkaufen – sein’ Finkenhof! wo schon seit hundert und hundert Jahr’ allweil nach’m Vater der Sohn g’haust hat – und mir z’lieb will er’s thun, damit er mit mir und seine Leut’ fortziehen könnt’ – fort ins Amerika. Aber ehnder ich so ’was zulass’, lieber verbring’ ich mein ganz’ Leben daherin im Berg, wenn auch gleich seit die letzten Tag’ was über mich ’kommen is, was mich mit doppelter G’walt ’nauszieht ins Licht und unter d’ Menschen!“

„Und Du wirst zurückkehren zu den Menschen – zu jenen, die Dir lieb sind!“ fiel Luitpold mit bewegten Worten ein. „Eines ist schon geschehen, um Dir diese Rückkehr zu erleichtern. Alle, die Dich um meinetwillen anklagten, glauben heute, daß Dich nur Entsetzen und falsche Furcht zur Flucht getrieben, nicht das Gefühl der Schuld.“

„Ich weiß, was D’ sagen willst. Heut’ in der Nacht noch is der Jörg bei mir g’wesen, und – – aber so ’was därf ich net zulassen –“

„Auch nicht, wenn ich Dein Schweigen fordern würde – bei dem Angedenken an unsere Johanna? Wo kein Kläger ist, Ferdinand, da wird auch kein Richter sein. Hast Du nicht selbst gesagt, daß wir wett sind, wir Beide unter einander? Es wäre ja auch nie so weit gekommen, wär’ ich nicht durch Tage und Wochen schwerkrank darniedergelegen – nicht durch die Wunde auf meiner Stirne – durch die Wunde in meinem Herzen. Und als das Fieber in mir erlosch und die Besserung begann, haben sie mir Deinen vermeintlichen Tod verheimlicht, um meine zögernde Genesung nicht aufs Neue zu gefährden. Da auch Niemand kam, um eine Aussage von mir zu begehren, dachte ich nichts Anderes, als daß wir Beide allein, nur Du und ich, von jener Begegnung auf der Schwelle meines Zimmers wüßten. Man glaubt ja, was man hofft – selbst wenn sich die Hoffnung an die Unmöglichkeit und an den Widersinn klammert. In der trübsinnigen Schwermuth, in der ich in meinem Schmerze um Johanna die Tage auf dem Krankenlager verbrachte, war ich ja auch nicht fähig zu ruhigem und klarem Denken. Dann führte mich meine Mutter auf den Rath der Aerzte nach dem Süden – und erst vor wenigen Tagen bin ich zurückgekehrt. Es drängte mich, Dich aufzusuchen, mich mit Dir auszusprechen – ich ging zu Deinem Regimente, um Deinen jetzigen Aufenthalt zu erfragen – und da starrten sie mich an wie einen Wahnsinnigen – und nun erst hab’ ich erfahren, was Alle, Alle in meinem Hause vor mir verschwiegen. Mein erstes Gefühl bei dieser erschütternden Nachricht hat nur die Worte auf die Zunge getrieben, die Dich frei sprachen von aller um meinetwillen Dir aufgebürdeten Schuld. Und jetzt – und jetzt!“ In überwallender Bewegung faßte er Ferdl’s beide Hände und schaute ihm mit einem freudig glänzenden Blicke in die bangen Augen. „Wie dank’ ich es meinem Herzen, daß es mich hieher getrieben! Jetzt kann Alles, Alles noch gut werden, was noch gut zu machen ist. Was Du als Soldat gethan – freilich – es ist ein Vergehen, und Du wirst die Strafe auf Dich nehmen müssen, die sie Dir zuerkennen Werden, – aber ich hoffe, sie wird nicht eine allzu strenge sein. Ich habe mächtige Freunde, ich will ihren ganzen Einfluß für Dich geltend machen – und – die beste Fürsprache hast Du an der guten, ehrenvollen Erinnerung, in der Du um Deiner früheren Führung willen bei den Officieren Deines Regimentes stehst. Und jetzt –“ vom Lager aufspringend löste er seine Hände aus denen Ferdl’s, um in nachlässiger Hast sein Gewand zu ordnen, „jetzt führe mich, Ferdinand, laß mich gehen, es drängt mich, bald zu thun, was ich zu thun vermag. Und Du versprich mir, nichts zu unternehmen, nicht von hier zu gehen, eh’ ich Dir nicht Nachricht sende oder eh’ ich Dich nicht selbst von hier forthole. Komm’ – komm’ – laß uns gehen! Es drängt mich ja auch, den Gidi, den guten Burschen, von der Sorge zu befreien, die er wohl um mich fühlen mag, da er ja glauben muß –“

„Der Gidi – der Gidi war net in der Hütten?“ schrie Ferdl freudig auf.

„Nein – ich habe sein Lager leer gesehen – und es war auch die Thüre von außen verschlossen. Wohin er gegangen ist –“ ein feines Lächeln spielte um Luitpold’s Lippen, „ich kann es vielleicht vermuthen –“

„Na – na! Da is was net in der Ordnung,“ stieß Ferdl in neu erwachender Sorge hervor, „das muß ich mir sagen, wenn ich an Alles denk’, wenn ich mich auf den Schuß b’sinn, den ich g’hört hab’ –“

„Ein Schuß?“ fuhr Luitpold erschrocken auf. „Der kann nur ihm gegolten haben! Und wir stehen noch hier, während vielleicht der arme Bursche –“

Kaum hörte er noch auf Ferdl’s Worte, der ihm seinen Wettermantel und einen Hut aufzudrängen suchte – und er war schon in der Mündung des Felsenganges verschwunden, ehe noch Ferdl die Fackel von der Wand zu reißen vermochte.

Sie gewannen das Freie und stiegen am Rande des Höllbachgrabens nieder. Von der Stelle, auf welcher die Jagdhütte gestanden, schimmerte ihnen nur noch ein mattes Glosten entgegen. Als sie den Almensteig erreichten, löschte Ferdl die Fackel – sie hörten Stimmen und Tritte näher kommen. Es waren zwei Holzknechte, die zur Holzerhütte zurückkehrten. Von ihnen erfuhren sie Alles, was mit Gidi sich begeben.

„Jetzt liegt er droben in der Bründlhütten – auf der Sennerin ihrem Kreister,“ berichtete der Eine. „Diemal macht er schon d’ Augen auf, fällt aber aus ei’m Taumel in andern. Es is a halber Schuß, den er ’kriegt hat, und er wird d’ran z’beißen haben, wann er’s durchreißen will. Da auf der rechten Brustseiten hat ihn der Lump ’neing’schossen, durch d’ Schulter is d’ Kugel durchaus, und den Hals hat’s auch noch a bißl g’streift Ja – dran z’ beißen wird er haben.“,

In hastigem Gange folgten Luitpold und Ferdl dem Steige.

(Schluß folgt.)

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